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Bus und Bahn

Deutschland-Ticket: Seefried mischt sich ein – Beschwerden bei Kündigung

Der Stader Landrat Kai Seefried fordert, dass die Finanzierung des Deutschland-Tickets nicht auf die Kommunen übertragen werden darf.

Der Stader Landrat Kai Seefried fordert, dass die Finanzierung des Deutschland-Tickets nicht auf die Kommunen übertragen werden darf.

Nach dem Bund-Länder-Gipfel bleiben beim 49-Euro-Ticket viele Fragen offen. Wird der Preis erhöht? Wie groß ist Nachfrage? Wo hakt es? Das TAGEBLATT liefert Antworten.

Von Redaktion Freitag, 10.11.2023, 10:08 Uhr

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Landkreis. Der Stader Landrat Kai Seefried hat in einer ersten Stellungnahme auf die Beratungen von Bund und Ländern zur Weiterfinanzierung des Deutschland-Tickets im öffentlichen Nahverkehr reagiert. „Leider hat die Ministerpräsidentenkonferenz das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben“, kritisierte der CDU-Politiker. „Eines ist klar: Die Kosten dürfen im Ergebnis nicht auf die bereits jetzt finanziell stark belasteten Kommunen abgewälzt werden“, betonte Seefried. Land und Bund dürften sich bei der Verkehrswende nicht aus der Verantwortung stehlen.

Bund und Länder hatten sich am Montag zwar darauf verständigt, dass es das Deutschland-Ticket auch im kommenden Jahr geben wird - die Finanzierung ist aber weiterhin nicht in allen Punkten geregelt. Die Verkehrsminister der Länder wurden aufgerufen, ein Konzept für die Zukunft des Deutschlandtickets über den 1. Mai 2024 hinaus zu entwickeln - inklusive einer möglichen Preiserhöhung. 49 Euro kostet das Abo im Monat - noch.

Laut Experten ist das Deutschlandticket schon jetzt zu teuer.

Laut Experten ist das Deutschlandticket schon jetzt zu teuer. Foto: Boris Roessler/dpa/dpa-tmn

Landrat Seefried: Deutschland-Ticket muss fortgesetzt werden

Ob Tarifzonen, Tarifwaben oder Tarifbereiche - die unübersichtliche Struktur im öffentlichen Personennahverkehr kann Millionen Fahrgästen seit einem halben Jahr egal sein. Mit dem Deutschland-Ticket haben sie seit Anfang Mai die Möglichkeit, für den Pauschalpreis in den Bus oder Regionalzug zu steigen und so weit zu fahren, wie sie wollen. Ganz ohne Sorge, ob ihre Fahrkarte die richtige ist.

Für Landrat Seefried ist das Deutschland-Ticket ein Erfolg: „Die Benutzung des ÖPNV ist deutlich bequemer geworden. Der Tarifdschungel wurde auf einen Schlag aufgelöst.“ Der HVV sei hier Vorreiter. Die große Nachfrage zeige, dass die Einführung des Deutschlandticket der richtige Weg war. Der Erfolg dieses Ticketmodells dürfe durch eine nicht endende Debatte über die Finanzierung nicht gefährdet werden.

Deutschland-Ticket: Nachfrage hat Plateau erreicht

Rund zehn Millionen 49-Euro-Abos gibt es dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zufolge inzwischen. „Die Zahl ist recht stabil, auch wenn auf niedrigem Niveau weitere hinzukommen“, sagte Alexander Möller, ÖPNV-Geschäftsführer beim VDV. Rund die Hälfte der Inhaberinnen und Inhaber kommt demnach aus bestehenden Abos, sind also keine neuen ÖPNV-Dauerkunden. Die andere Hälfte war bislang mit Einzelfahrscheinen oder Zeitkarten unterwegs. Der Verband wertete das als Erfolg. „Wir binden Kunden stärker an den ÖPNV durch diese Flatrate“, betonte Möller.

Im Hamburger Verkehrsverbund hat das Deutschland-Ticket zu Rekorden bei den Abo- und Fahrgastzahlen geführt. Rund 860.000 Kunden nutzten es, darunter 333.000 neue. „Insgesamt hat der HVV mittlerweile mehr als eine Million Abonnentinnen und Abonnenten. Mit dieser historischen Bestmarke wird selbst das Vor-Corona-Niveau deutlich übertroffen“, hieß es.

Im Hamburger Verkehrsverbund hat das Deutschland-Ticket zu Rekorden bei den Abo- und Fahrgastzahlen geführt.

Im Hamburger Verkehrsverbund hat das Deutschland-Ticket zu Rekorden bei den Abo- und Fahrgastzahlen geführt. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Nie zuvor seien so viele Fahrgäste im HVV unterwegs gewesen, auch nicht während des 9-Euro-Ticket-Zeitraums, sagte ein HVV-Sprecher.

Aus Sicht des VDV bräuchte es eigentlich eine Debatte darüber, wie das Ticket weiterentwickelt werden soll. Noch immer fehle etwa eine Regelung für Universitäten und Studenten. Der Verband fordert zudem, dass auch die Mitnahme von Familienmitgliedern, Freunden oder Haustieren ermöglicht wird.

Was das Deutschland-Ticket wirklich gebracht hat

Immerhin fast ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger hatte inzwischen mindestens für einen Monat das Deutschland-Ticket. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des YouGov-Instituts im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur hervor. Diese macht deutlich: Die meisten Nutzerinnen und Nutzer verändern auch ihr Mobilitätsverhalten. So sind rund ein Drittel (33 Prozent) der befragten Abonnenten und Abonnentinnen insgesamt mehr unterwegs als zuvor. Fast ebensoviele (31 Prozent) lassen öfter das Auto stehen, seit sie das Deutschlandabo besitzen. Fast jeder zehnte Inhaber wiederum geht seltener zu Fuß oder fährt weniger mit dem Rad. 37 Prozent gaben hingegen an, ihr Mobilitätsverhalten nicht umgestellt zu haben.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob das geklappt hat. Eine der wenigen zahlengestützten Aussagen dazu kommt erneut vom VDV. „Acht bis zehn Prozent der D-Ticket-Nutzerinnen und -Nutzer sind echte ÖPNV-Einsteiger, sind also vorher zum Beispiel Auto gefahren“, ermittelte der Verband in Umfragen. „Schon heute wären fünf Prozent aller Fahrten mit dem Deutschland-Ticket sonst mit dem Auto unternommen worden.“

Experte: Deutschland-Ticket schon jetzt zu teuer

Angesichts der Diskussionen hat ein Mobilitätsexperte vor einer Preiserhöhung gewarnt. „Nach unseren Berechnungen nutzen rund 10 Millionen Menschen derzeit das Deutschlandticket. Sollte der Preis auf 59 Euro steigen, blieben vielleicht noch sechs bis sieben Millionen“, sagte Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. „Das Ticket müsste eigentlich 29 Euro kosten, dann hätte man viel mehr Menschen in den Zügen.“ Von den aktuellen politischen Entwicklungen sei er „bestürzt“.

Wissenschaftler Knie kritisierte, dass das Ticket bereits jetzt ein Fahrschein für Menschen mit höherem Einkommen sei. Er geht davon aus, dass lediglich 400.000 bis 500.000 Menschen, die vorher gar kein ÖPNV-Ticket hatten, mit dem Deutschland-Ticket nun Busse und Bahnen nutzen. Vor allem Menschen, die in den Speckgürteln großer Städte wohnen und vor dem Deutschlandticket teils dreistellige Beträge für einen Monatsfahrschein zur Arbeit ausgeben mussten, profitierten vom 49-Euro-Angebot.

49 Euro für viele die Schmerzgrenze

Allerdings sind viele gar nicht bereit, mehr zu zahlen, wie eine Umfrage des Yougov-Instituts im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigt. Demnach ist für mehr als ein Drittel der Deutschlandticket-Inhaber und -Interessenten (37 Prozent) der derzeitige Preis von 49 Euro pro Monat die Schmerzgrenze. Sie würden das Abonnement für den öffentlichen Personennahverkehr kündigen beziehungsweise nicht weiter in Erwägung ziehen, sollte es eines Tages teurer werden.

23 Prozent würden bei einer Erhöhung um zehn auf 59 Euro noch mitgehen, ab dann aber ebenfalls aussteigen. Immerhin fast jeder dritte Abonnent oder Interessent würde auch ein noch teureres Ticket behalten oder kaufen. Sechs Prozent der Befragten wären sogar bereit, bis zu 89 Euro pro Monat zu zahlen.

Minister: Bei Verkehrsverbünden sparen

Um das Deutschland-Ticket günstiger anbieten zu können, sollten die Verkehrsverbünde bei der Bürokratie sparen - hier gebe es viel Potenzial. „Man könnte ja sparen, aber bei den Verkehrsverbünden tut man sich schwer“, sagte Knie. In Deutschland gibt es mehr als 60 Verkehrsverbünde. In manchen Regionen hat auch diese Zersplitterung in der Vergangenheit zu komplizierten Tarifstrukturen geführt, die durch das Deutschlandticket Geschichte sein sollen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich zuletzt mehrfach dafür ausgesprochen, die Zahl der Verkehrsverbünde zu reduzieren, um so zu effizienteren Strukturen zu kommen und Geld für Verwaltungsaufgaben einzusparen.

„Wissing hat recht, es gibt zum Teil schon sehr aufgeblähte Strukturen bei den Verkehrsverbünden und Aufgabenträgern“, meint auch der Berliner Verkehrsforscher Christian Böttger. Die fehlende Einigung bei der Ministerpräsidentenkonferenz sei letztlich ein Sparauftrag an die Länder. Der öffentliche Nahverkehr sei allerdings einer der wenigen Bereiche, in denen Landes- und Kommunalpolitiker noch eigenen Entscheidungsspielraum hätten - und dieser werde nun verteidigt. „Da geht es auch um Jobs vor Ort, die wegfallen würden, wenn es beispielsweise ein bundeseinheitliches Ticketsystem geben würde“, sagte Böttger.

49-Euro-Ticket: Preis ist nicht alles - Bessere Infrastruktur

Immer wieder betonen Fachleute, dass der Preis nicht die einzige Stellschraube sein kann, um die Menschen vom Umstieg auf den ÖPNV zu überzeugen. Es braucht vor allem mehr und eine bessere Infrastruktur, um die steigende Nachfrage überhaupt bedienen zu können. Wer im Sommer das DeutschlandTicket für Fahrten in Urlaubsregionen nutzte, steckte oft in überfüllten Zügen - oder konnte die Fahrt nicht antreten, weil fürs Fahrrad kein Platz mehr war. Aus Sicht des Interessenverbands Allianz pro Schiene braucht es insbesondere auf dem Land ein größeres ÖPNV-Angebot, damit das Ticket dort überhaupt genutzt werden kann. Dem Verband Pro Bahn zufolge gibt Niedersachsen im Bundesländervergleich am wenigsten Geld pro Einwohner für den Schienenverkehr aus.

Der Verband forderte die Beteiligten auf, nicht nur an die jeweils eigenen Finanzen, sondern ans Gemeinwohl zu denken. „Wenn es knapp wird, dürfen gerne auch ein paar Straßenbauprojekte gestrichen werden“, teilte Pro Bahn mit.

Der Fahrgastverband kritisierte die öffentlichen Diskussionen rund um die Finanzierung des Tickets. Dies habe zahlreiche Fahrgäste stark verunsichert, sagte der Landesvorsitzende für Niedersachsen und Bremen, Malte Diehl.

Deutschlandticket: Beschwerden über Kündigungsprobleme

Dem Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) liegen Beschwerden dazu vor, dass Nutzerinnen und Nutzer länger an ihr Deutschland-Ticket gebunden werden als gewünscht. Selbst bei fristgerechter Kündigung laufen die Zahlungen in manchen Fällen weiter.

Verbraucherschützer Gregor Kolbe rät Betroffenen, in solchen Fällen Ruhe zu bewahren. Abbuchungen, die trotz korrekter Kündigung weiterliefen, seien nicht mehr vom Vertrag gedeckt und damit nicht rechtskräftig. Vertragspartner, die die Kündigung verspätet bearbeiten - etwa weil sie aufgrund der vielen Zuschriften nicht mehr nachkommen - müssten zu Unrecht abgebuchte Beträge zurückzahlen. Die Bahn verspricht das zu tun. „Wichtig ist natürlich, dass Sie fristgerecht gekündigt haben und das nachweisen können“, so Kolbe.

Das Abo des Deutschlandtickets verlängert sich automatisch von Monat zu Monat, wenn es nicht rechtzeitig bis zum 10. eines Monats gekündigt wird. Einige Anbieter sind laut Kolbe sogar deutlich kulanter. Ihre Kündigung sollten Abonnenten entweder online über die Webseite oder das Buchungsportal ihres Vertragspartners vornehmen oder schriftlich per Mail oder Brief an diesen richten und den Vorgang entsprechend dokumentieren.

Mit wem der Vertrag letztlich geschlossen wurde, können Nutzerinnen und Nutzer ihrer Bestellbestätigung entnehmen. Für alle Tickets, die auf bahn.de oder im DB Navigator gekauft werden, ist der Vertragspartner die Deutsche Bahn, sagt eine Sprecherin des Konzerns. Für die Kündigung solcher Abos rät die Bahn-Sprecherin zum Aboportal oder dem Kündigungsformular auf bahn.de. Auf diese Weise würde die Kündigung am schnellsten - weil automatisiert - vorgenommen. (dpa/st)

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