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Butjadingen

Ein LNG-Schiff von der Resterampe?

Dieses Schiff, die „Höegh Esperanza“, soll dazu beitragen, dass Deutschland von russischem Gas unabhängig wird. Doch es gibt Kritik an dem schwimmenden Flüssiggasterminal.

Dieses Schiff, die „Höegh Esperanza“, soll dazu beitragen, dass Deutschland von russischem Gas unabhängig wird. Doch es gibt Kritik an dem schwimmenden Flüssiggasterminal.

Nach dem NABU schlägt auch die Deutsche Umweltstiftung Alarm wegen des im Bau befindlichen LNG-Terminals in Wilhelmshaven. Das Spezialschiff, das dort eingesetzt werden soll, sei andernorts durch die Umweltprüfung gerasselt.

Donnerstag, 20.10.2022, 06:00 Uhr

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Möglichst schnell soll Deutschland unabhängig werden von russischem Gas. Deshalb forciert die Bundesregierung den Bau von LNG-Terminals, an denen verflüssigtes Gas mit Tankschiffen angeliefert und dann an Bord von sogenannten Floating Storage and Regasification Units (FSRU) zur weiteren Verwertung in einen gasförmigen Zustand zurückversetzt wird. Ein solches Terminal entsteht zurzeit auch an der Küste von Wilhelmshaven - und damit genau gegenüber von Butjadingen. Ende des Jahres soll der Betrieb beginnen.

Die Gemeinde Butjadingen befürchtet, dass beim Bau des Terminals in Wilhelmshaven zusätzlicher Schlick anfällt, der den Fedderwarder Priel und die Zufahrt zum Fedderwardersieler Hafen verstopft - ein Problem, dass auch schon ohne LNG-Terminal existenzbedrohend für den Kutterhafen ist.

Umwelthilfe fürchtet „schleichenden Chemieunfall“

Natur- und Umweltschutzverbände machen sich andere Sorgen. Sie fürchten, dass die sensible Ökologie des Wattenmeers Schaden durch den Terminal-Betrieb nimmt. Konkreten Anlass dazu gibt die geplante Einleitung von mit Chlor belastetem Seewasser, das beim Betrieb eines FSRU anfällt. In der vergangenen Woche hatte die Bezirksgruppe Oldenburger Land des Naturschutzbundes (NABU) dieses Vorhaben in einer ausführlichen Stellungnahme bereits scharf kritisiert.

Einen anderen Aspekt in diesem Zusammenhang greift die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf. Sie wirft die Frage auf, ob Deutschland sich ein Schiff „von der Resterampe“ für den Einsatz am Terminal in Wilhelmshaven gechartert habe, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Der Hintergrund: Die „Höegh Esperanza“ habe eigentlich bei einem LNG-Projekt in Australien eingesetzt werden sollen. Die australischen Behörden hätten aber die Betriebserlaubnis verweigert, so die Umwelthilfe - das Terminalschiff sei durch die Umwelt-Zulassung gerasselt. „Die Bundesregierung droht hinter internationale Umweltstandards zurückzufallen“, sagt Constantin Zerger, der bei der Umwelthilfe den Bereich Energie und Klimaschutz verantwortet. „In Wilhelmshaven und an den übrigen LNG-Standorten droht ein schleichender Chemieunfall“, ergänzt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Genehmigungsverfahren läuft

Flüssiggas wird mit einer Temperatur von minus 162 Grad angeliefert. Um es wieder in einen gasförmigen Zustand zu bringen, muss es erwärmt werden. Dafür wird Meerwasser genutzt. Damit die Rohrsysteme nicht durch Muscheln, Seepocken und andere Meeresorganismen verstopft werden, wird Chlor als Biozid eingesetzt. Am Ende des Prozesses wird das Wasser zurück ins Meer abgelassen. Es weist dann noch Restmengen des Chlors auf.

Das verstaatliche Gasunternehmen Uniper, das den FSRU in Wilhelmshaven betreiben wird, hat die Einleitung von jährlich bis zu 178 Millionen Kubikmetern mit Biozid behandelten Seewassers beantragt. Aktuell laufen das emissionsschutzrechtliche sowie das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren.

Die „Höegh Esperanza“ wird Wasser mit einem Chlorgehalt von 0,2 Milligramm pro Liter zurück in die Jade leiten. Das summiert sich pro Einsatztag auf 106 Kilogramm Chlor, die vor Wilhelmshaven ins Meer gelangen. Bei dem geplanten Einsatz in Australien standen 0,1 Milligramm pro Liter in Rede, die Hälfte also. Und schon das sei den dortigen Behörden viel zu viel gewesen, heißt es von der Umwelthilfe.

Laut Trinkwasserverordnung liegt der Grenzwert für Leitungswasser bei 0,3 Milligramm Chlor pro Liter. Sind die 0,2 Milligramm, die von der „Höegh Esperanza“ in den Jadebusen eingeleitet werden sollen, demnach nicht völlig harmlos? Nein, sagt Imke Zwoch, Vorsitzende des Kreisverbands Wilhelmshaven des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Denn im Meer geht es um Lebewesen, die viel kleiner als Menschen sind - und für die demnach auch viel geringere Mengen Chlor gefährlich oder gar tödlich sind.

Zudem, so kritisiert Zwoch, entspreche der Einsatz von Chlor beim Antifouling nicht dem Stand der Technik. In anderen Kühl- oder Wärmetauschersystemen seien mechanische Verfahren etabliert. Sie funktionierten mittels kleiner Kautschukbälle, die durch die Rohre geleitet werden, wie eine Bürste die Innenwände säubern und am Ende aufgefangen und dann über einen längeren Zeitraum immer wiederverwendet werden können.

Das LNG-Terminal liegt zwar nicht direkt im Weltnaturerbe und Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, es befindet sich aber in dessen unmittelbarer Nähe. Die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven beschäftigt sich nach Auskunft von Dr. Gregor Scheiffarth zurzeit intensiv mit dem Thema. Der Wattökologe und seine Kollegen gehen vor allem der Frage nach, zu welchen Verdünnungseffekten es nach dem Einleiten des chlorhaltigen Wassers im Jadebusen kommt und wie viel Chlor tatsächlich im Nationalpark ankommt - und damit auch an der Butjadinger Küste.

Liegt ein abschließendes Ergebnis vor, wird es in eine Stellungnahme einfließen. Die Nationalparkverwaltung zählt zu den sogenannten Trägern öffentlicher Belange, für die längere Fristen bestehen als für Privatpersonen. Für die Stellungnahme ist noch bis um 28. Oktober Zeit.

Schwimmendes Flüssiggas-Terminal

Die „Höegh Esperanza“ ist ein schwimmendes Flüssiggasterminal Floating Storage and Regasification Unit, FSRU). Sie soll ab Ende dieses Jahres in Wilhelmshaven eingesetzt werden und dazu beitragen, dass Deutschland unabhängig von russischem Erdgas wird.

Das Spezialschiff wurde bei Hyundai Heavy Industries in Südkorea gebaut. Die Kiellegung erfolgte am 28. Dezember 2015, der Stapellauf am 17. März 2017. Die „Höegh Esperanza“ ist 290 Meter lang und 46 Meter breit. Sie hat eine Speicherkapazität von 170.000 Kubikmetern Flüssigerdgas.

Die Bundesregierung hat 2,94 Milliarden Euro für das Mieten und den Betrieb von FSRU sowie für die Infrastruktur an Land bereitgestellt. Für ein FSRU wie die „Höegh Esperanza“ ist eine Charterrate von 200.000 Euro am Tag üblich.

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