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Herzklopfen ohne Barrieren bei besonderer Flirtparty

Katrin und Willi nehmen als Paar an der Party teil. Das Projekt «Schatzkiste» ist eine Partnervermittlung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Katrin und Willi nehmen als Paar an der Party teil. Das Projekt «Schatzkiste» ist eine Partnervermittlung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Foto: Alicia Windzio/dpa

Die „Schatzkiste“ ist eine Partnervermittlung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Neben der Vermittlung und Begleitung von Dates steht in Hildesheim erstmals eine Kontaktparty auf dem Programm.

Von Alicia Windzio, dpa Sonntag, 27.10.2024, 18:00 Uhr

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Hildesheim. Dating-Apps, Kontaktbörsen im Internet oder Single-Partys gehören für viele Menschen bei der Partnersuche dazu. Den oder die Richtige zu finden, gestaltet sich aber noch genauso schwierig wie in der Zeit ohne virtuelle Plattformen. Dies gilt auch für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Zum Jahresende 2023 lebten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 7,9 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung. Beeinträchtigt ist also ein erheblicher Teil der Bevölkerung. Vielleicht sind in den vergangenen Jahren deshalb so viele Dating-Angebote für diese Zielgruppe entstanden. Laut dem Bundesverband der Lebenshilfe gehören dazu etwa die Projekte „Herzenssache“, „Handicap Love“ oder „Flirt Projekt“.

„Finde deinen Schatz“

Die „Schatzkiste“ ist eine solche Partnervermittlung, „Finde deinen Schatz“ lautet das Motto. Es gibt sie bundesweit in vielen Städten, in Hildesheim ist sie beim Verein Lebenshilfe Hildesheim angesiedelt. Die beeinträchtigten Menschen, die sich registrieren lassen möchten, werden bei der Partnersuche unterstützt und können sich in einem geschützten Raum kennenlernen.

„Dieses Bedürfnis ‚Hilf mir dabei, ich möchte jemanden kennenlernen‘, ist ganz, ganz präsent“, sagt Michael Lübben. Lübben und Ines Lemke sind die Ansprechpartner der Schatzkiste Hildesheim. Wichtig sei der Schutzgedanke, sagt Lübben. Auf anderen Dating-Plattformen hätten die Menschen oft schlechte Erfahrungen mit Fakes oder Mobbing gemacht. Dass viele auf der Suche nach der großen Liebe auf Fakes hereinfallen, gilt nicht nur für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Teilnehmer Vekko ist bereits auf der Tanzfläche.

Teilnehmer Vekko ist bereits auf der Tanzfläche. Foto: Alicia Windzio/dpa

„Wenn ich zum Beispiel mit meinen männlichen Bekannten rede, die auf Tinder unterwegs sind, die fallen teilweise regelmäßig auf Fake-Profile rein“, sagt die Autorin Nadine Primo, die unter anderem über Diversität, Sex und Liebe schreibt und Vorträge hält.

Viele wünschen sich „kleine blonde Fee“

Das Projekt „Schatzkiste“ wird gefördert und ist für die Teilnehmenden kostenlos. Menschen mit Beeinträchtigungen können die Vermittler anrufen und einen Termin vereinbaren. Nach einem Gespräch über die Vorstellungen wird die Person in die Kartei aufgenommen.

Die Vorstellungen müssten oft mit der Realität in Einklang gebracht werden, sagt Lübben: „Viele wünschen sich Helene Fischer als Partnerin. Eine kleine blonde Fee, die mich rettet. Das ist ein häufiges Muster, was auftritt, wo man einfach ganz viel über Erwartungen sprechen muss.“

Begleitete Treffen und erste Flirt-Party

Die Dates werden von den Mitarbeitenden der „Schatzkiste“ begleitet. Zudem organisierte das Projekt in Hildesheim vor Kurzem erstmals eine Flirt-Party mit mehr als 200 Teilnehmenden. Im Tanzhaus, einer barrierefreien Event-Location, konnten sie tanzen, essen und trinken und sich für ruhige Unterhaltungen zurückziehen.

Unterstützung bekamen die Singles von Helferinnen und Helfern, die sich Flirtengel nannten und Kontaktkarten einsammelten. Eine Person namens Glückspilz führte dann diejenigen zusammen, die ein Kennenlernen wünschten.

„Ich konnte die letzte Nacht nicht schlafen“

Der 32-jährige Marc hatte zwar schon Beziehungen, sie seien aus demselben Grund gescheitert: „Die Frauen wollten immer Kinder, aber ich nicht.“ Auf der Party erhofft er sich, eine langfristige Partnerin finden zu können. Vor dem Abend sei er sehr aufgeregt gewesen: „Ich konnte die letzte Nacht nicht schlafen.“

Auch Luisa ist auf der Suche: „Ich wünsche mir eine Partnerin.“ Die 42-Jährige hatte bisher Beziehungen mit Männern. Die seien gescheitert, erzählt sie. Auf der Party habe sie noch niemandem im Blick. Andere haben mehr Glück: Der Glückspilz hat ein „Match“ gefunden. Alexandra und Kan möchten sich besser kennenlernen und gehen von der lauten Tanzfläche in den Vorraum, um reden zu können.

Die beiden Organisatoren von der Lebenshilfe Hildesheim sind mit der ersten Kontaktparty zufrieden. „Es liefen an dem Abend einige Paare händchenhaltend herum oder haben sich geküsst und haben mir erzählt, dass sie sich heute Abend erst kennengelernt haben“, sagt Lübben. Einzelne seien aber auch enttäuscht gewesen, niemanden gefunden zu haben.

In einer Ansprache werden die Teilnehmer begrüßt.

In einer Ansprache werden die Teilnehmer begrüßt. Foto: Alicia Windzio/dpa

Ob es letztendlich zwischen zwei Menschen funkt, kann niemand beeinflussen, weder die Algorithmen eines herkömmlichen Dating-Portals noch die Unterstützer der Schatzkiste. „Bei einem Treffen dachte ich mir: Das war furchtbar. Die haben irgendwie gar nicht richtig miteinander reden können“, erzählt Lübben von der Begleitung eines ersten Dates. „Und dann erzählt mir die Mutter am Telefon: Die treffen sich jetzt jede Woche und sind ein Liebespaar.“

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