IG BAU beklagt Zunahme von Schwarzarbeit im Kreis Stade

61 Ermittlungsverfahren im Baugewerbe hat es in der Region nach Kontrollen des Zolls gegeben. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Illegale Beschäftigung, Sozialbetrug und Mindestlohnverstöße: Das scheint es jetzt auf Baustellen häufiger als früher zu geben. Jedenfalls deuten die Ergebnisse von Kontrollen des Hauptzollamts Oldenburg darauf hin.
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Schwarze Schafe auf dem Bau: Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat kriminelle Praktiken auf Baustellen beklagt. So habe das Hauptzollamt Oldenburg, das auch für den Landkreis Stade zuständig ist, allein im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres in der Region insgesamt 61 Ermittlungsverfahren im Baugewerbe eingeleitet. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) deckte bei ihren Kontrollen vor allem illegale Beschäftigung, Sozialbetrug und Mindestlohnverstöße auf. Insgesamt habe die vom Oldenburger Zoll ermittelte Schadenssumme durch nicht gezahlte Steuern und Sozialabgaben auf dem Bau rund 1,9 Millionen Euro betragen, so die IG BAU Hamburg. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres leitete das Hauptzollamt Oldenburg 45 Ermittlungsverfahren auf dem Bau ein.
Die Baugewerkschaft beruft sich dabei auf Zahlen, die das Bundesfinanzministerium auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Bernhard Daldrup (SPD) zur Kontroll-Bilanz des Zolls auf dem Bau mitgeteilt hat.
IG BAU will „saubere Baustellen im Kreis Stade“
„Die hohe Zahl der Ermittlungsverfahren zeigt, dass kriminelle Methoden auf dem Bau auch in unserer Region zum Alltag gehören. Die tatsächlich aufgedeckten Verstöße sind nur die Spitze des Eisbergs“, so der Bezirksvorsitzende der IG BAU Hamburg, Achim Bartels. Neben den vielen „sauber arbeitenden Unternehmen“ gäbe es noch immer unseriöse Firmen, für die Lohndumping und illegale Beschäftigung bei Bauaufträgen zum Geschäftsmodell gehörten.
Und Bartels warnt vor einer weiteren Zunahme illegaler Machenschaften: „Die hohe Inflation, steigende Bauzinsen, hohe Material- und Energiekosten – alles führt zu einem wachsenden Kostendruck auf dem Bau. Unseriöse Chefs werden deshalb jetzt erst recht versuchen, ihre Kosten durch Lohndumping zu senken. Und sie werden sich noch mehr Tricksereien einfallen lassen, um Steuern und Sozialabgaben zu hinterziehen. Dadurch geraten Arbeitgeber, die sich an den Bau-Tarifvertrag halten, weiter unter Druck.
Vor diesem Hintergrund fordert der IG BAU Bezirksverband Hamburg deutlich mehr Kontrollen und eine stärkere Präsenz des Zolls auf den Baustellen. „Auch im Kreis Stade wollen wir ‚saubere Baustellen‘. Der Staat muss sicherstellen, dass kriminelle Praktiken auf Baustellen keine Chance mehr haben.“ Zudem müssten auffällig gewordene Firmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. „Wir brauchen ein ‚Sündenregister für Schwarzarbeit‘ – eine öffentliche Kartei, in der die Betriebe aufgelistet werden, deren Geschäftsmodell auf illegaler Beschäftigung und Lohnprellerei beruht“, so Bartels.
IG BAU sieht viele Arbeitsrechtsverletzungen bei Saisonarbeit
Die Gewerkschaft IG BAU beklagt zudem schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende Kontrollen bei der Saisonarbeit in der Landwirtschaft. Viele Menschen hätten etwa im vergangenen Sommer bei großer Hitze ohne Schutz auf den Feldern gearbeitet und seien nur schlecht krankenversichert gewesen, und Mindestlöhne würden etwa durch „Wuchermieten“ für die Unterbringung unterlaufen, wie sich bei Feldbesuchen der Initiative Faire Landarbeit gezeigt habe. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt, Harald Schaum, sprach von teils unhaltbaren Zuständen. Saisonkräfte dürften keine Beschäftigten zweiter Klasse sein.
Trotzdem gehe man davon aus, dass dank der Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro auch in diesem Jahr genügend Saisonarbeiterinnen und -arbeiter nach Deutschland kämen, sagte Benjamin Luig von der Initiative. „Ich würde davon ausgehen, dass der gestiegene Mindestlohn ein Anreiz ist.“ Im Jahr kämen rund 270.000 Saisonkräfte nach Deutschland, vor allem aus Rumänien und Polen, zunehmend aber auch aus der Ukraine, Kirgistan, Usbekistan und Georgien. Sie pflücken Erdbeeren, stechen Spargel, helfen bei der Weinlese oder verpacken Obst und Gemüse.
Vom Deutschen Bauernverband hieß es, man weise „die Vorwürfe in ihrer Pauschalität zurück, da diese nicht nachvollziehbar sind. Nach den uns vorliegenden Daten aus den behördlichen Kontrollen ist die Häufigkeit der Beanstandungen in anderen Branchen deutlich höher als in der Landwirtschaft“, so der Verband.
Vorwürfe: Zoll kontrolliert Agrarbetriebe zu selten
Schaum von der IG BAU erklärte, die Berliner Ampel habe im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt, für vollen Krankenversicherungsschutz von Saisonarbeitern ab dem ersten Tag zu sorgen - passiert sei bisher wenig. Aufgrund einer seit 2022 geltenden gesetzlichen Verpflichtung meldeten Betriebe ihre Saisonkräfte zwar bei privaten Gruppen-Krankenversicherungen an, doch bekämen viele Betroffene keine Versicherungsnachweise ausgehändigt, und teils seien nicht alle Behandlungskosten übernommen worden, so dass Betroffene große Summen selbst hätten tragen müssen. Auf Nachfragen bei den zuständigen Ministerien sei darauf verwiesen worden, dass das Thema in der Ressortabstimmung sei, sagte Schaum. Dabei seien die ersten Saisonarbeiter wieder auf den Feldern unterwegs.
Große Lücken sehen die Gewerkschaft und die Initiative auch bei den Kontrollen. Weniger als ein Prozent der Agrarbetriebe mit Beschäftigten seien 2022 laut Zollstatistik darauf kontrolliert worden, ob der Mindestlohn korrekt gezahlt worden sei - und damit etwas weniger als im Vorjahr. Problematisch sei auch eine mangelnde Koordination der Kontrollen, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Nur vereinzelt hätten Zoll und Arbeitsschutz Betriebe gemeinsam überprüft. Vom Prinzip her arbeiteten sie nebeneinander her.
Die Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis gewerkschaftsnaher Beratungsstellen, der IG BAU, kirchlicher Beratungsstellen und weiterer Organisationen. (dpa/st)