Zähl Pixel
Praxen geschlossen

Sind 146.000 Euro im Jahr zu wenig für einen Arzt?

Ärzteverbände haben dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen bundesweit zwischen den Jahren geschlossen zu halten.

Ärzteverbände haben dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen bundesweit zwischen den Jahren geschlossen zu halten. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Im Streit um bundesweite Praxisschließungen hat sich der Ton zwischen Ärzteverbänden und Bundesgesundheitsminister verschärft. Sollte es Anfang Januar keine Einigung geben, drohen längere Streiks.

Von Jan Drebes und Benedikt Heider Freitag, 29.12.2023, 13:15 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Berlin/Landkreis. Vor dem Hintergrund des aktuellen Ärztestreiks hat sich eine Debatte über die Einkommen niedergelassener Ärzte entsponnen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte sein Unverständnis über die Forderung der Ärzte nach mehr Geld damit begründet, dass diese im internationalen Vergleich sehr gut verdienen würden.

Ihre Einnahmen erzielen Arztpraxen zu mehr als 70 Prozent aus der Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen. Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts für 2021 lagen die durchschnittlichen Einnahmen bei 756.000 Euro. Dem standen Aufwendungen von 420.000 Euro gegenüber. Daraus ergab sich ein durchschnittlicher Reinertrag von 336.000 Euro je Praxis. Beeinflusst werde dieser Wert aber durch Praxen mit sehr hohen Einnahmen und Ausgaben, hieß es. Die Abweichungen je Fachgruppe und Standort der Praxis sind sehr hoch. Mit Blick auf die verfügbaren Statistiken hatte etwa die Hälfte Einnahmen von bis zu 464.000 Euro und einen Reinertrag von bis zu 233.000 Euro. Die Angaben beziehen sich auch auf Gemeinschaftspraxen und Versorgungszentren mit mehreren Ärzten.

Rufe nach Ende von Honorar-Obergrenzen

Der Reinertrag sei aber nicht mit dem Gewinn beziehungsweise dem Einkommen der Ärzte gleichzusetzen, erläuterten die Statistiker. Er stelle das Ergebnis des Geschäftsjahres der gesamten Praxis dar, berücksichtige aber zum Beispiel nicht Aufwendungen für Alters-, Invaliditäts-, Hinterbliebenen- und Krankenversicherung der Praxisinhaber. Kosten für Personal seien in den Aufwendungen enthalten. Nach Angaben des Virchowbunds, des Verbands der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, sind auch Einkommenssteuer und Investitionen in medizinische Geräte daraus zu bezahlen. Im Durchschnitt bleibe am Ende weniger als ein Viertel des Gesamthonorarumsatzes übrig. Zudem verwiesen Experten darauf, dass die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2021 Sonderzahlungen für die Ärzte enthielten, also nicht repräsentativ für andere Jahre seien.

Einnahmen und Ausgaben der Praxen

Mit Blick auf das durchschnittliche Fachärztegehalt innerhalb der EU landet Deutschland laut OECD nur auf dem fünften Platz. Wie eine aktuelle Statistik der Organisation zeigt, aus der der französische Sender Euronews zitiert, verdienen Fachärzte in Luxemburg umgerechnet durchschnittlich 258.552 Euro im Jahr, irische Fachärzte 172.882 Euro, niederländische Spezialisten 160.869 Euro und dänische 156.061. Erst dann folgen die deutschen Ärzte mit durchschnittlich 146.200 Euro.

Lauterbach lehnt mehr Geld für Ärzte konsequent ab

Aus Sicht des Virchowbundes, der die Interessen der streikenden Ärzte vertritt, geht die Debatte jedoch an den Anliegen der Mediziner vorbei. „Gesundheitsminister Karl Lauterbach zettelt lieber Neiddebatten an, als die Ungerechtigkeiten im aktuellen Vergütungssystem zu beheben“, sagte Verbandschef Dirk Heinrich unserer Redaktion. „Niedergelassene Ärzte verdienen nicht so viel, wie der Minister suggeriert.“ Fachärzte in Hamburg etwa bekämen bei der Behandlung von gesetzlich Versicherten nur 70 Euro vergütet, in Bayern seien es 96 Euro.

„Die Spielräume für Honorarzuwächse, die sehe ich nicht“, sagte Lauterbach im ZDF. Praxen bräuchten weniger Bürokratie, und Geld müsse gerechter verteilt werden. Der Minister hat für Januar ein Treffen zu Verbesserungen vor allem bei Hausärztinnen und Hausärzten angekündigt. (dpa/bal)

  • Kommentar von Jan Drebes

Neiddebatte über Ärztegehälter ist wenig hilfreich

Der Posten des Bundesministers für Gesundheit war noch nie einer, mit dem man besonders viele Beliebtheitspunkte in der Bevölkerung sammeln konnte – und erst recht nicht bei den Beschäftigten im Gesundheitssektor. Nun sollte Beliebtheit ja nicht der vordergründige Antrieb von Berufspolitikern sein, sondern der Gestaltungswille und der Anspruch, Dinge besser machen zu wollen zum Wohle der Allgemeinheit.

Das deutsche Gesundheitssystem ist jedoch hinreichend komplex. Mit jedem Reformversuch kommen neue Fallstricke hinzu, überbordende Bürokratie und komplizierte Vergütungsstrukturen machen den Akteuren auf allen Ebenen zu schaffen. Das ist alles nicht neu. Doch wie bei einem chronisch kranken Patienten braucht es ab und an den Mut, neue Therapieansätze auszuprobieren.

Das ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach zugutezuhalten. Dass er Reformen anstößt, die teils jahrzehntelang liegen geblieben sind. Das betrifft etwa die Vorhaben zur Digitalisierung und Datennutzung und auch das versprochene Ende der Budgetierung von Hausärzten. Eine von ihm angezettelte Neiddebatte über die Gehälter von Ärzten ist jedoch wenig hilfreich. Zweifelsohne gibt es niedergelassene Fachärzte, die insbesondere über die Behandlung von ausschließlich Privatpatienten extrem hohe Einkommen generieren können. Ihnen das aber persönlich vorzuwerfen, auf internationale Vergleichszahlen zu verweisen und dann die Anliegen vieler Tausend anderer Fachärzte abzuschmettern, führt am Problem vorbei. So war Lauterbach zuletzt zu verstehen, auch wenn er es vielleicht anders gemeint hatte.

Maximale Konfrontation bringt gar nichts

Lauterbach rennt die Zeit davon. Will er wirklich als Reformminister in die Geschichte eingehen, der dicke Krusten aufgebrochen und im Sinne der Patienten agiert hat, muss er die Ärzte mitnehmen. Das bedeutet natürlich nicht, alle ihre Bedingungen zu erfüllen. Jedoch sollte Lauterbach lieber häufiger in den Konflikt mit seinen Koalitionspartnern gehen, als aus Rücksicht auf die Positionen von FDP oder Grünen notwendige Reformen liegen zu lassen.

Auf maximale Konfrontation mit den Ärzten zu setzen, bringt da gar nichts. Die Menschen erwarten zurecht, dass die Versorgung, für die deutsche Gesundheitsminister sich international gern rühmen, aufrechterhalten und gestärkt wird. 2024 wird, das zeichnet sich bereits ab, ein anstrengendes Jahr für niedergelassene Ärzte, für Ärzte in Kliniken, für das Pflegepersonal und alle anderen Akteure im Gesundheitssektor. Lauterbach täte gut daran, mehr Empathie zu zeigen und sich von notwendigen Reformen nicht abbringen zu lassen.

A
Anna-Luise Wiedemann
29.12.202310:12 Uhr

Ihr Gesicht, Herr Minister Lauterbach, möchte ich sehen, wenn Sie vor der geschlossenen Türe Ihres Arztes stehen. Streik !! Oder, gelten für Sie andere Gesetze ?? Wir, die Bürger und Bürgerinnen wissen den Rat und die Hilfe unseres Hausarztes - dem Arzt unseres Vetrauens - sehr zu schätzen. Wir brauchen unseren Doktor und keine Bürokratiemaschine. Herr Minister, Sie und alle Verantwortlichen sollten endlich mal begreifen und zu schätzen wissen, was unser Doktor - die Schwestern und Pfleger im Krankenhaus und im Seniorenheim für segensreiche Arbeit leisten. Da ist doch wohl kein Dank zu klein -auch finanziell gesehen. Aufwachen !

C
Carl-Heinz Thor Straten Wolf
29.12.202309:34 Uhr

Da erübrigt sich doch die Frage, warum haben wir in Deutschland einen Ärztemangel wenn rund um in der EU mehr verdient wird. Die überbordende Bürokratie ist nach wie vor das Hauptproblem, die abzuschaffen sollte Priorität haben, damit sich Ärzte mehr um die Patienten kümmern können, denn mehr Patienten dürften sich am Ende bezahlt machen.

Weitere Artikel