Klausur im Haus am See: Kabinett will durchstarten

Kabinettsklausur an neuem Ort: eine Villa am See statt ein Schloss auf dem Land. (Archivbild) Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Der Anfang war holprig. Jetzt will die Bundesregierung endlich zeigen, dass sie an einem Strang ziehen kann, um Deutschland nach vorn zu bringen. Dafür zieht sie sich in eine Villa am See zurück.
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Berlin. Knapp fünf Monate nach seiner Vereidigung kommt das schwarz-rote Bundeskabinett zu seiner ersten Klausurtagung zusammen, um nach einem holprigen Start zu neuem Teamgeist zu finden. Inhaltlich soll es bei den zweitägigen Beratungen in der Villa Borsig am Tegeler See im Nordwesten Berlins vor allem um Bürokratieabbau und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gehen.
„Die Unternehmen stehen zum Teil mit dem Rücken zur Wand oder mit dem Fuß am Abgrund. Und deswegen müssen wir hier auch schnell zu Ergebnissen kommen“, mahnte Kanzler Friedrich Merz (CDU) vor Beginn der Klausur. Am Mittwoch soll eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung beschlossen werden, die zu einer Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent oder 16 Milliarden Euro führen soll, etwa durch eine Reduzierung des Bundespersonals um 8 Prozent.
Der Ort: Industriellen-Villa statt Barock-Schloss
Schon die Wahl des Tagungsorts ist ein Statement. Die Ampel-Regierung hatte sich für ihre Kabinettsklausuren ins Schloss Meseberg 70 Kilometer nördlich von Berlin zurückgezogen. In dem Gästehaus der Bundesregierung haben sich Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) mehrfach geschworen, nicht mehr so viel zu streiten - und dann hat es doch wieder nicht geklappt.
Vielleicht hat dieser ungute „Geist von Meseberg“ dafür gesorgt, dass das schwarz-rote Kabinett nun lieber in Berlin bleibt. Eine ehemalige Industriellen-Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert passt außerdem besser zu der „schnörkellosen Arbeitskoalition“, die Merz einmal ausgerufen hat, als ein Barock-Schloss auf dem Land. Der Kanzler hat das Gästehaus des Auswärtigen Amts auf einer Halbinsel im Tegeler See schon bei einem Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausprobiert - und für gut befunden.
Anders als in Meseberg werden Merz und seine 17 Ministerinnen und Minister aber nicht auf dem Gelände übernachten. Einen geselligen Teil der Klausur soll es trotzdem geben. Nach dem Arbeitsprogramm um 19 Uhr ist ein gemeinsames Essen geplant.

Der Start von Schwarz-Rot war holprig. Jetzt soll die Koalition noch einmal durchstarten. (Archivbild) Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Das Ziel: Neuer Teamgeist
Kanzlerwahl erst im zweiten Anlauf, verpatzte Richterwahl, Streit um die Strompreissenkung: Der Start von Schwarz-Rot war holprig und hat Union und SPD in den Umfragen abschmieren lassen. Bei keinem Institut kommt die Koalition aktuell noch auf eine Mehrheit. Stattdessen ist die AfD teilweise bereits stärkste Partei.
Seit der Sommerpause bemühen sich die Koalitionäre nun, die Kurve zu bekommen und einen neuen Teamgeist zu kreieren. Eine gemeinsame Klausurtagung der Fraktionsvorstände von Union und SPD in Würzburg machte im August den Anfang. Es folgten eine gemeinsame Reise der Fraktionschefs nach Kiew, ein Grillabend der Koalitionsabgeordneten in Berlin und zuletzt ein Besuch der Parteivorsitzenden auf dem Oktoberfest in München. Nun also die Kabinettsklausur in der Villa am See.
Die Inhalte: Modernisierungsagenda im Mittelpunkt
Am ersten Tag geht es um das Thema Wettbewerbsfähigkeit, zu dem mehrere Gäste aus Wirtschaft und Forschung vortragen sollen. Konkret soll über eine Haushalts- und Finanzpolitik für mehr Wachstum, weniger Handelsbarrieren, weniger Regulierung, einen smarten Umwelt- und Klimaschutz und die Modernisierung der Infrastruktur gesprochen werden.
Konkrete Beschlüsse soll es erst am zweiten Tag der Klausur geben. Dann wird das Kabinett eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung auf den Weg bringen. Der federführende Minister für Staatsmodernisierung und Digitales, Karsten Wildberger (CDU), erläuterte vorab, es gehe dabei um rund 80 Einzelmaßnahmen. Unter anderem soll es künftig ein einheitliches Portal für die Online-Zulassung von Autos geben. Bisher regeln das Bundesländer und Kommunalverwaltungen selbst. Angedacht ist auch die Einrichtung eines digitalen Bürokratiemeldeportals, auf dem Bürger konkrete Verbesserungsvorschläge machen können.

Karsten Wildberger (CDU) soll bei der Modernisierung helfen. (Archivbild) Foto: Michael Kappeler/dpa
Außerdem sind Schulungen und KI-Tools für Mitarbeiter der Ministerien, die Gesetzestexte erarbeiten, im Gespräch, so dass praxistauglicheres und bürokratieärmeres Recht entsteht. In Wildbergers Ministerium wird darauf verwiesen, dass es nicht darum geht, auf einen Schlag alles besser zu machen. „Eine solche Veränderung, wenn ein Land sich so verknotet hat, ein Stück weit auch über so viele, sagen wir mal 20 Jahre, 25 Jahre, ich weiß es nicht genau, dann wird das eben auch ein Prozess sein“, sagt der ehemalige MediaMarktSaturn-Manager Wildberger.
Und was kommt danach?
Nach der Klausur in der Villa geht es zurück in den Alltag mit den wirklich großen Herausforderungen. Die Reformen im Sozial- und Gesundheitsbereich sind die eigentliche Bewährungsprobe für die Koalition. Damit befassen sich derzeit aber noch Kommissionen, bevor die Regierung Hand anlegt. Den „Herbst der Reformen“ hat der Kanzler schon einmal vorsorglich in die Vier-Jahreszeiten-Reform umgewandelt. „Es wird sich ein Winter, ein Frühling, ein Sommer, ein nächster Herbst anschließen mit Reformen“, sagte er kürzlich im Bundestag.