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Holk Kulturfestival

Landesarchiv Stade wird zur Bühne für Jelinek

In der Rolle einer Botin nimmt Isabelle Menke das Geschehen auf Schloss Rechnitz in den Blick. Foto: Toni Suter

In der Rolle einer Botin nimmt Isabelle Menke das Geschehen auf Schloss Rechnitz in den Blick. Foto: Toni Suter

Mit ihren Theatertexten hält Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek die Wunden der Geschichte offen. Gegen das Vergessen. Das gilt auch für ihr Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“, das jetzt beim Holk Kulturfestival zu sehen ist - vor einer Kulisse, die passender kaum sein könnte.

Dienstag, 06.09.2022, 17:00 Uhr

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Das Stadeum zeigt das mehrfach preisgekrönte Jelinek-Stück am Sonnabend, 10. September, um 19.45 Uhr im Niedersächsischen Landesarchiv in Stade. Die Inszenierung von Leonhard Koppelmann entstand für das Schauspielhaus Zürich.

Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ handelt von einer überstürzten Abreise. Man will schnell weg von Schloss Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze, die Rote Armee steht vor der Tür. Stunden zuvor haben die Schloss-Gäste noch gefeiert und aus einer perfiden Laune heraus bei einem Massaker 180 Menschen ermordet.

Verbrechen wurde nie wirklich aufgeklärt

In der Nacht zum 25. März 1945 feiert Gräfin Margit von Batthyány, eine Thyssen-Enkelin, auf ihrem Schloss in Rechnitz eines ihrer berüchtigten Feste mit SS-Offizieren, Gestapo-Führern und einheimischen Nazi-Kollaborateuren. Gegen Mitternacht werden 180 arbeitsunfähige jüdische Zwangsarbeiter zusammengetrieben und von einer Schar Angetrunkener erschossen. Die Täter fliehen kurz darauf ins Ausland, Schloss Rechnitz geht in Flammen auf, die Russen marschieren ein. Nach dem Krieg verschwinden Zeugen des Massakers, Strafverfahren enden im Nichts. Die Leichen sind bis heute nicht gefunden - aber wollte man das überhaupt?

Zu diesem NS-Verbrechen entwickelte Elfriede Jelinek einen Theatertext von monumentaler Wucht und Bedrohlichkeit. Sie lässt Boten sprechen, und zwar in heutiger Zeit, in der Zeugenschaft über die NS-Verbrechen ein rares Gut geworden ist. Im Landesarchiv begleitet das Publikum die Schauspielerin Isabelle Menke auf ihrer Flucht. In den mit Geschichte gefüllten Archivräumen - einem Ort gegen das Vergessen - bestreitet sie den Jelinek-Text alleine, aber sie ist viele. Auf der Folie von Luis Bunuels „Der Würgeengel“ berichtet in dieser Fassung des Schauspielhauses Zürich eine Botin stellvertretend für alle von dieser Tat, die bis heute Fragen aufwirft.

„Man muss die Wunde offenhalten“

Als „Nachfahren“ jedweder Herkunft sind wir alle Boten. Das Stück erteilt den Auftrag, zu berichten, so wie Elfriede Jelinek weiter dem Schweigen und Verdrängen entgegenwirkt und sagt: „Es ist ja ein Thema, bei dem die meisten sagen: Nicht schon wieder! (…) wir wollen das nicht mehr hören. Es gibt diesen Scheinüberdruss einer überdrüssigen Gesellschaft, die sich vom immer Gleichen zumüllen lässt, bis es ihr zu viel wird. Mein Impetus ist eine große Wut darüber, dass man bestimmte Dinge so leicht wegdrücken kann. Da sage ich mir: Jetzt sag ich’s euch aber noch mal rein. Man muss die Wunde offenhalten.“

Tickets kosten 26 Euro und sind telefonisch erhältlich unter 0 41 41/ 40 91 40 sowie im Internet unter www.stadeum.de. (st)

www.holkkulturfestival.de

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