Mogelpackungen im Supermarkt immer dreister – Beschwerde-Rekord

Nicht nur Markenartikel sind von versteckten Preiserhöhungen betroffen, auch Eigenmarken in Discountern nutzen den Trick. Symbolfoto: Büttner/dpa
Was im vergangenen Jahr massenhaft begann, hat in deutschen Supermärkten eine neue Qualität erreicht. Die Verbraucherzentrale registriert eine Rekordzahl an versteckten Preiserhöhungen und zeigt ziemlich abgezockte Produkte.
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Wer geht schon mit alten Packungen einkaufen, um Inhaltsmengen zu vergleichen? Wenn Sie beim Einkauf auf Packungen Aufdrucke wie „New Size“ oder „Neue Form für feineren Genuss“ entdecken, sollten Ihre Alarmglocken schrillen. Was sich im ersten Moment nach verbraucherfreundlichen Vorteilen anhört, könnten versteckte Preiserhöhungen sein.
Darauf weisen erneut die Verbraucherzentrale Hamburg und die Stiftung Warentest in der Zeitschrift „test“ (Ausgabe 09/2023) hin. Das Ausmaß der versteckten Preiserhöhungen über Mogelpackungen hat dabei ein neues Maß erreicht.
65 Fälle registrierte die Verbraucherzentrale allein in diesem Jahr von Januar bis Juni. Das ist Rekord. Laut Verbraucherschützer Armin Valet hat der Trend bereits 2022 begonnen: Vom ersten auf das zweite Halbjahr hatten sich die bestätigten Fälle fast verdoppelt. Fiel das Phänomen früher überwiegend bei klassischen Marken auf, sind inzwischen öfter auch Discounter- und Biomarken betroffen.
Auch die Menge an Beschwerden sei so groß wie nie zuvor. Rund 2000 Meldungen gingen allein bei der VBZ Hamburg im ersten Halbjahr dieses Jahres ein.
Versteckte Preiserhöhungen im Supermarkt auf Rekordniveau
Weniger Inhalt in kaum merkbar veränderter Packung nennt sich auch Shrinkflation. Der Begriff setzt sich aus dem englischen Wort „shrink“ für „schrumpfen“ und Inflation zusammen. Shrinkflation kenne dabei mehrere Spielarten. Neben verringerter Füllmenge bei gleichem Preis könne aber auch der Preis steigen und der Inhalt schrumpfen. Oder der Preis sinkt und der Inhalt noch viel mehr.
Illegal sei das nicht, aber eine Kostenfalle, so die Verbraucherschützer.
Die Verbraucherschützer raten daher, sich die Inhaltsmengen von Produkten, die man öfter kauft, zu notieren. Skepsis sei auch bei Innovationen, Preisaktionen, modernerer Aufmachung, neuen Sorten oder Maxigrößen angebracht. Sie könnten teurer sein als das gewohnte Produkt, das mitunter nur ein Regal weiter steht.
Verbraucherzentrale stelle Mogelpackungen regelmäßig online
Die Verbraucherzentrale sammelt Beispiele nach Kundenbeschwerden, in den plötzlich etwa weniger Chips, Kakaogetränkepulver oder Gummitiere in einer Tüte, „geschrumpfte“ Lachsfilets oder ein Eis weniger in einer Packung steckten.
„Die meisten der von uns gezeigten Beispiele übertreffen bei weitem die Inflationsrate“, sagt Ina Bockholt von der Stiftung Warentest. Die Inflation lag für Lebensmittel im Juli bei 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.
So schrumpft etwa das Kakaopulver Suchard Express von 500 auf 400 Gramm – und ist damit 25 Prozent teurer. Beim Eis am Stiel von Milka und Oreo finden sich nicht nur ein Stück weniger im Karton, sondern bei jedem ist auch noch das Gewicht geschrumpft. Das bedeutet: 48 Prozent bzw. 63 Prozent Preissteigerung. Das Duschgel Duschdas Sport hat weniger Inhalt und wird gleichzeitig teurer – plus 22 Prozent.
Mundspülung Listerine ist Mogelpackung des Monats
Und die aktuelle „Mogelpackung des Monats“ September der Verbraucherzentrale Hamburg nutzen viele im Bad: Die Mundspülung Listerine von Johnson & Johnson ist ebenfalls eine doppelte Preiserhöhung und um mehr als 33 Prozent teurer geworden.

100 Milliliter fehlen, damit bleibt die Flasche Listerine optisch nahezu gleich. Foto: Verbraucherzentrale Hamburg
Die Flasche Listerine bleibt gleich hoch und optisch gleich gut gefüllt, obwohl Johnson & Johnson nur noch 500 statt 600 Milliliter Mundspülung hineinfüllt. Wie das geht? Durch eine etwas schmalere Plastikflasche. Doch die „abgespeckte" Flasche erkennt nur, wer das alte Gebinde direkt daneben hält. Außerdem ist die Füllmenge des Produkts nun nicht mehr so gut erkennbar. Vor der Verpackungsumstellung war die Milliliter-Angabe gelb unterlegt; jetzt sticht sie nicht mehr hervor.
Würde der geschrumpfte Inhalt zum gleichen Preis angeboten werden, läge die versteckte Preiserhöhung nur bei 20 Prozent, so die Verbraucherschützer. Doch einige Händler wollten offenbar ihre Marge auf Kosten der Kunden erhöhen. Kaufland biete die neue Flasche der sogenannten Premium-Variante Listerine Total Care für 4,95 Euro statt wie bisher für 4,45 Euro an. Unterm Strich betrage die doppelte Preiserhöhung 33,5 Prozent. Die Basis-Variante Listerine Cool Mint Mild sei dagegen bei Edeka weiterhin für den alten Preis von 3,95 Euro erhältlich. Damit sei diese Mundspülung um 20 Prozent teurer.
Johnson & Johnson verweist auf gestiegene Kosten
In einer Stellungnahme an die Verbraucherzentrale verweist der Anbieter Johnson & Johnson auf Kostensteigerungen „insbesondere bei den Rohstoff- und Produktionskosten“. Verbraucherschützer Valet dazu: „Für uns ein wenig schleierhaft, denn die Mundspülung besteht überwiegend aus Wasser“.
Zusätzlich erklärt der US-Konzern, die unverbindliche Preisempfehlung für seine Produkte gesenkt zu haben. Diese liegt für Listerine Total Care nun bei 4,99 Euro statt 5,39 Euro. Letztlich profitierten laut Valet beide – Hersteller und Händler – von der Trickserei auf Kosten der Kunden. (dpa/tmn/tip)