Zähl Pixel
Boykott-Aufrufe

Nackter WM-Protest auf dem Grandplatz

Die „deutsche NACKTionalmannschaft“ hat ihren Stammsitz im Ruhrgebiet. Foto: dpa-Bildfunk

Die „deutsche NACKTionalmannschaft“ hat ihren Stammsitz im Ruhrgebiet. Foto: dpa-Bildfunk

Es ist die umstrittenste WM aller Zeiten. An diesem Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Fußball-Communities in Deutschland fordern zum Boykott auf.

Sonntag, 20.11.2022, 12:19 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Aus Protest gegen die umstrittene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ist die „deutsche NACKTionalmannschaft“ am Sonnabend in Essen unbekleidet auf den Platz gegangen. Einen Tag vor dem offiziellen WM-Eröffnungsspiel sei die Nacktheit „als Symbol für Freiheit“ zu verstehen, betonte Aktionskünstler Gerrit Starczewski seine Initiative. Auf die Rücken der nackten Spieler und Spielerinnen waren große Buchstaben gemalt, die zusammen die Worte „BOYCOTT QATAR“ ergaben, zu deutsch: „Katar-Boykott“. 

Mit dem „Kunst-Fußball-Spiel“, bei dem die NACKTionalmannschaft gegen die „Pottoriginale All Stars“ spielte, forderten die Teilnehmer angesichts von Menschenrechtsverletzungen in dem Emirat einen Boykott der Spiele. Das Motto der Aktion lautete: „Das System ist krank - wir ziehen blank“. 

„Großes Drama“ - Hamburgs schwule Fußballer kritisieren WM in Katar

Kein Regenbogen über Katar: Kurz vor der umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar haben Hamburgs schwule Fußballer das Turnier scharf kritisiert. „Es ist ein großes Drama, dass diese WM überhaupt dorthin vergeben wurde“, sagte Alexander von Beyme. Der 46-Jährige ist einer der Organisatoren des schwulen Fußballturniers „Startschuss Masters“, für das seit 2005 jährlich 16 Mannschaften aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland nach Hamburg reisen.

„Jeder, der hier dabei ist, ist auch Teilnehmer einer Demonstration, dass Fußball für alle da ist“, sagte von Beyme. Viele der Spieler sehen die WM in Katar als einen Verrat an den Werten des Fußballs.

Das Land gilt als einer der umstrittensten Gastgeber in der WM-Geschichte. Dem Emirat werden unter anderen Verstöße gegen Menschenrechte, schlechter Umgang mit ausländischen Arbeitern und mangelnde Frauenrechte vorgeworfen. Im Vorfeld der am 20. November beginnenden WM bemüht sich der Wüstenstaat, ein anderes Bild zu vermitteln. Auch Fans aus der LGBTQ-Szene seien willkommen, hieß es offiziell. LGBT ist die englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell und Transgender. Oft werden auch die Varianten LGBTQ, LGBTQI oder LGBTQIA* verwendet. Jeder Buchstabe steht für die eigene Geschlechtsidentität oder die sexuelle Orientierung. 

Katar-Botschafter über Homosexualität: „Geistiger Schaden“

Doch dann bezeichnete der katarische WM-Botschafter und frühere Fußball-Nationalspieler Khalid Salman Homosexualität als „geistigen Schaden“. „Ich werde das auf keinen Fall unterstützen und auch keine Spiele schauen“, sagte Amateurkicker Tony Quindt. Der 37-Jährige wurde in Russland geboren und ist im Alter von 16 Jahren nach Deutschland gekommen. Sein Coming-out hatte er mit 23 in seinem damaligen Kreisliga-Verein. „Alle anderen waren hetero“, erinnerte sich Quindt. „Werden sie mich noch anspielen? Werden sie noch mit mir duschen?“, hatte er sich gefragt. Doch seine Sorgen waren unbegründet, seine Mitspieler nahmen sein Coming-out positiv auf. „Dadurch habe ich viel Selbstvertrauen gewonnen.“ Umso wütender war er über die Vergabe der Weltmeisterschaft nach Katar.

„Da ist ein Turnier in ein Land gepflanzt worden, dass da nicht hingehört“, kritisierte auch Quindts Mitspieler Steffen Fischer, der sich unter anderem in der DFB-Kommission für gesellschaftliche Verantwortung engagiert. Der Fußball werde Katar nicht ändern, sagte der 42-Jährige. „Die Hoffnung ist, dass Katar den Fußball ändert. Dass Menschenrechte in Zukunft eine größere Rolle bei Vergaben spielen.“ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte von ihrem Besuch beim WM-Gastgeber eine „Sicherheitsgarantie“ der Regierung Katars für alle Fans mitgebracht. „Darüber sollen wir uns nun freuen? Über so eine Selbstverständlichkeit?“, sagte von Beyme empört. Homosexualität ist im Emirat per Gesetz verboten.

DFB-Kapitän Manuel Neuer mit „One Love“-Binde

Mit anderen europäischen Verbänden hat der DFB eine Art Arbeitsgemeinschaft gebildet, wie mit dem Gastgeber und der Kritik zu verfahren ist. Das gemeinsame Symbol - die mehrfarbige „One Love“-Kapitänsbinde - hatte zu Kritik geführt, weil es nicht die Regenbogenflagge zeigt, die mit ihren sechs bunten Streifen als Symbol der queeren Community gilt. „Eine Fake-Binde“, ärgerte sich Fischer. „Die Akzeptanz für uns ist größer geworden, manche Vereine schmücken sich auch ganz gerne mit der Regenbogenflagge. Aber wenn es darauf ankommt, werden wir nicht mit Konsequenz verteidigt“, sagte von Beyme. 

Hamburgs schwule Fußballer sind mit ihrer Kritik nicht allein. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gaben nur vier Prozent der Befragten an, es richtig zu finden, dass die Endrunde in dem Emirat ausgerichtet wird. Zwei Drittel finden es eher oder klar falsch, dass bis zum 18. Dezember in und um die katarische Hauptstadt Doha gespielt wird. Zwanglose Fußballfeste zur ungewöhnlichsten Jahreszeit neben Weihnachtsbäumen und Adventskränzen bleiben schwer vorstellbar. (dpa)

Weitere Themen

Weitere Artikel