Naturcampen wie in Nordamerika: Südheide als Prototyp

Das Gelände neben den Olderdorfer Kiesteichen im Naturpark gilt als Pilotprojekt. Foto: Philipp Schulze/dpa
Ein naturbelassener Campingplatz in der Heide steht nach nordamerikanischem Vorbild für Individualität. Er ist der Prototyp für die Anlagen auf Rügen und im Harz. Hier wird sogar beim Putzen gesungen.
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Südheide. In Hängematten unter einem Sternenzelt übernachten, gemeinsam Pilze sammeln oder die selbst belegte Pizza am Abend in den Ofen schieben - der naturbelassene Campingplatz Wildwood in der Südheide könnte auch in Nordamerika stehen. Zäune gibt es kaum. „Das hier ist zum Runterkommen, wir haben das alte Flair erhalten“, sagt Camp-Manager Mario Rasch beim Rundgang zwischen Zelten und Wohnmobilen. „Es ist keine Arbeit für mich, das ist Passion.“ Die vielen Stammgäste seien wie eine Familie.
Das weitläufige Gelände neben den Olderdorfer Kiesteichen im Naturpark gilt als Pilotprojekt des Betreibers aus Hamburg, der den in die Jahre gekommenen Campingplatz von einem Geschwisterpaar aufkaufte. Die Zwei wollten den geerbten Betrieb aus den 70er Jahren nicht weiterführen. Im April wurden nach dem gleichen Konzept auf Rügen und im Harz bei Clausthal-Zellerfeld Grundstücke erworben und neu gestaltet.
In der Heide sind 150 Stellplätze ausgewiesen, im Harz 220 und auf Rügen 330. „Wir legen Wert darauf, dass unsere Gäste das Naturerlebnis genießen können und nicht so eng beieinander stehen“, erzählt der Hamburger Mitgründer Benjamin Ruth, „es geht nicht darum, den Umsatz auf Heller und Pfennig zu maximieren“. Das kleine Abenteuer in der Nähe erfahre derzeit eine Renaissance.
Zurück zu den einfachen Dingen
Den Gästen gehe es darum, abzuschalten vom stressigen Alltag, zu den einfachen Dingen zurückzukehren und mit Freunden und Familie zu entspannen. Man sei sehr zufrieden mit allen drei Anlagen und überlege, den Harz wegen vieler Anfragen sogar im Winter aufzuhalten. Im nächsten Jahr könnte ein weiterer Platz dazukommen. Privatinvestoren finanzieren die Projekte.
„Die Leute wollen nach Corona wieder raus“, bestätigt Platzmanager Rasch. Viele wollten aber nicht zu weit weg – sie haben die Natur in Deutschland wiederentdeckt. Ihn freut besonders, dass einige Urlauber aus südlichen Ländern, die eigentlich nur auf einen Zwischenstopp auf dem Weg Richtung Skandinavien ausgerichtet sind, einfach dableiben, statt weiterzufahren. Italiener, Holländer, Schweden und Dänen machten Halt auf der Durchreise.

Für die Betreiber des Campingplatzes sind die vielen Stammgäste wie eine Familie. Foto: Philipp Schulze/dpa
Vor drei Jahren im Juli eröffnete der Platz bei Hermannsburg (Landkreis Celle). Die Naturbelassenheit sei „eine unfassbar tolle Werbung für Deutschland“, findet Rasch. Mehrere Fernwanderwege führen am Areal vorbei. Der besondere Stolz des 44-Jährigen: die Rezeption mit Shop und Gemeinschaftsraum – inklusive Kamin – sowie die stilvoll dunkelgrün gefliesten Sanitärräume. „In den Duschen wird ständig saubergemacht und dabei noch gesungen“, erzählt Simone Burkat aus Recklinghausen lachend.
Naturnähe ideal für Urlaub mit Hunden
Eine Woche war sie mit ihrem Mann und zwei Hunden im nagelneuen Camper geblieben. „Es war mega, wir haben uns sehr wohlgefühlt“, sagt sie. Neben langen Spaziergängen an der Örtze brachte sie ihrem ein Jahr alten Mops das Schwimmen bei.
Besonders gut kam auch der Brötchen-Service der Mitarbeiter an, die täglich im Morgengrauen Dutzende vorbestellte Tüten beim Traditionsbäcker im Ort abholen. „Den Bäcker gibt es hier schon ewig, aber er wollte eigentlich aufhören“, erzählt Rasch, der ihn vom Gegenteil überzeugen konnte.
Auch der riesige Leonberger mit dem Namen Simba findet seinen Auslauf. Um das Vorzelt am Wagen hat Familienvater Jan Werner aus Bitterfeld einen mobilen Zaun aufgestellt, wo er zwischen den Spaziergängen niemanden gefährdet. „Der Platz ist naturbelassen, nicht so in Parzellen eingeteilt“, sagt der 55-Jährige. „Es wirkt nicht überfüllt, sondern verläuft sich gut.“
Faible für den eigenen Camper
Das finden auch die beiden Studenten Julie Tewes und Niklas Eppler aus Osnabrück - sie schätzen ihr ruhiges Plätzchen für den kleinen Bus. „Wir wollten Schatten und keine Autogeräusche“, erzählt Eppler beim Frühstück im Freien. Die beiden haben ihre Rennräder mit und sind viel unterwegs.
Viele Menschen haben sich in der Corona-Zeit für den eigenen Camper entschieden. Laut Kraftfahrzeugbundesamt ist die Zahl der zugelassenen Wohnmobile in Deutschland am 1. April erstmals auf mehr als eine Million gestiegen. Damit habe sich der Bestand seit 2017 mehr als verdoppelt.

Ein naturbelassener Campingplatz in der Heide steht nach nordamerikanischem Vorbild für Individualität. Foto: Philipp Schulze/dpa
Und Campingplätze mit besonderen Ideen, eigener Ausrichtung, sind gefragter denn je. „Insgesamt sieht man einen deutlichen Zulauf bei den Campingplätzen, die sich spezialisieren“, sagt der Geschäftsführer der Lüneburger Heide GmbH, Ulrich von dem Bruch. Allein in der Heide sei die Zahl der Übernachtungen im Freien von 2019 bis 2024 um 18 Prozent gestiegen.
Kein Mitarbeiterproblem
Für Mario Rasch ist der Arbeitsplatz ideal. Bevor er kürzlich Vater wurde, reiste er monatelang durch ferne Länder, allein auf Mallorca lebte er fünf Jahre. Er grüßt Mitarbeitende und Gäste - eigentlich kennt er sie alle.
Die 31-jährige Marlen Bode ist genauso eine Weltenbummlerin wie Rasch, sie arbeitet in der Sommersaison an der Rezeption, kümmert sich um Social Media und lebt in ihrem Wohnmobil auf dem Platz. Im Herbst zieht es sie für einige Monate Richtung Spanien zum Überwintern.
Engagierte Mitarbeiter zu finden, findet Geschäftsführer Ruth nicht so schwierig, wie viele andere Tourismusbetreiber: „Flexible Arbeitszeiten spielen eine große Rolle, man muss einen Mittelweg finden.“ Und: Die besten Ideen kämen von Personen, die nah am Gast seien, findet er.