Schockanruf: Kriminologe warnt aus eigener Erfahrung vor Trickbetrügern

Vorsicht bei unbekannten Anrufern: Die Trickbetrüger haben es vor allem auf ältere Menschen abgesehen. Foto: Karolin Krämer/dpa
Christian Pfeiffer gilt als ein führender Experte für Fragen der Kriminalität. Trotzdem ist er auf einen Schockanruf von Trickbetrügern hereingefallen. Die Täter seien so raffiniert vorgegangen, dass ihre Story glaubhaft zu sein schien, warnt er.
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Von Michael Grau
Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnt aus eigener Erfahrung vor Schockanrufen von Trickbetrügern. Er sei im August auf einen solchen Anruf hereingefallen, sagte Pfeiffer am Donnerstag: „Ich habe mich in einer Weise verhalten, die ich nicht für möglich gehalten hätte.“ Für fast eine halbe Stunde habe er die erfundene Geschichte geglaubt, die ihm die Betrüger aufgetischt hatten. Nur mit Glück sei er einem größeren finanziellen Schaden entgangen, berichtete Pfeiffer. Der Sozialdemokrat war von 2000 bis 2003 Niedersachsens Justizminister.
Pfeiffer erhielt vor zwei Wochen einen Anruf auf dem Handy: Seine Tochter habe einen Unfall verursacht und dabei ein siebenjähriges Mädchen getötet. Danach habe sie Fahrerflucht begangen. Eine vermeintliche Polizistin riet ihm zur Zahlung einer Kaution in Höhe von 55.000 Euro, damit die Tochter nicht inhaftiert werden müsse.
Betrüger kennen Namen der Tochter
Trotz seiner kriminalistischen Erfahrung wirkte der Anruf auf den Professor zunächst so glaubhaft, dass er das Gespräch fortführte: „Das fährt einem in die Glieder auf eine Weise, die mich emotional umgehauen hat. Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt, dass das passiert ist.“ Die Täter hätten den Namen seiner Tochter und die Farbe ihres Autos gekannt. Das Handy habe eine Nummer aus Hannover angezeigt. „Ich war dann nur noch ganz Ohr, um alles richtig zu machen.“

Der Kriminologe Christian Pfeiffer, langjähriger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Foto: Horst Galuschka/dpa
Nur durch Glück kam Pfeiffer den Trickbetrügern auf die Schliche, weil das Telefongespräch abbrach und er die Polizei anrief, um sich wieder mit der vermeintlichen Polizistin verbinden zu lassen. Eine Beamtin klärte ihn auf, dass er es offenbar mit einem Täuschungsversuch Krimineller zu tun habe. Gemeinsam mit der Polizei fingierte der Professor schließlich eine Geldübergabe mit einer Tasche voller Papier, die allerdings im Sande verlief. Die Täter blieben unerkannt.
So ermittelten die Täter die Daten
Die Täter hätten es offenbar auf ältere Personen mit einem gewissen Vermögen abgesehen, vermutet Pfeiffer. An seine Adressdaten seien sie womöglich über die Mitgliederliste des Rotary-Klubs gestoßen.
Das Auto könnten sie ausgespäht haben, und über das Kennzeichen könnten sie den Namen der Tochter ermittelt haben. Die vermeintliche Polizistin habe rechtlich plausibel argumentiert. „Sie wirkte fürsorglich. Sie war clever, professionell und perfekt.“
Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe sagte, die Spuren führten zu Callcentern in der Türkei, Polen, Albanien und den Niederlanden. Die Täter sprächen perfekt Deutsch.
Kluwe appellierte an die Bevölkerung: „Glauben Sie nicht, so etwas könnte Ihnen nicht passieren!“ Wer einen solchen Anruf bekommt, solle am besten auflegen: „Sie dürfen unhöflich sein. Denn es dient Ihrem eigenen Schutz.“ In jedem Fall sollten die Angerufenen die Polizei verständigen, damit diese den Tätern auf die Spur kommen könne.
In Niedersachsen Millionen erbeutet
Trickbetrüger und Schockanrufer, die sich als Polizisten ausgeben oder den sogenannten Enkeltrick anwenden, haben nach Angaben des Landeskriminalamts in Niedersachsen im ersten Halbjahr Millionen erbeutet.
Allein in Fällen mit angeblichen Polizeibeamten sei einer vorläufigen Eingangsstatistik zufolge eine monatlich steigende Tendenz der Fallzahlen zu beobachten.
Die Gesamtschadenssumme liege bei mehr als zwei Millionen Euro. 2021 entstand in diesen Fällen ein Schaden in Höhe von rund 2,9 Millionen Euro.
Die Gesamtzahl der Fälle mit angeblichen Polizeibeamten liege in dem Zeitraum im mittleren vierstelligen, die Zahl der gelungenen Taten im oberen zweistelligen Bereich.
Konkrete Fallzahlen wurden nicht genannt, weil Telefonbetrug in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst werde. (epd/lni/ger)