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Sommer ist Zählzeit - Wie Seehunde im Wattenmeer erfasst werden

Eine junge Kegelrobbe kratzt sich an einem Pfahl in den Dünen von Horsey.

Eine junge Kegelrobbe kratzt sich an einem Pfahl in den Dünen von Horsey. Foto: Joe Giddens/PA Wire/dpa

In diesen Wochen fliegen manche Flugzeuge sehr tief über Inseln und Sandbänke in der Nordsee. Die Besatzung hat aus der Luft die Seehunde im Wattenmeer im Blick.

Von dpa Samstag, 05.07.2025, 08:00 Uhr

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Wilhelmshaven . Aus der Luft sind die vielen Seehunde im Wattenmeer gerade mal als kleine Punkte am Strand oder auf Sandbänken zu erkennen. Daher müssen Pilot und Co-Pilot tiefer als üblich über die Nordsee fliegen, um den Bestand der Meeressäuger zu erfassen.

Wie jeden Sommer werden auch in diesen Wochen wieder die Seehunde im Wattenmeer gezählt. Wozu dienen die Daten überhaupt und wie laufen die Zählungen ab?

Ein Überblick:

Warum werden Seehunde überhaupt gezählt?

Seehunde stehen im Wattenmeer unter Schutz. Durch intensive Jagd schrumpften die Bestände bis in die 1970er Jahre deutlich. Zudem gab es immer wieder Rückschläge für den Bestand durch Seuchen, wie die Seehundstaupe 1988.

Die Wattenmeer-Anrainer unterzeichneten daraufhin 1990 ein Abkommen über die Erhaltung der Seehunde im Wattenmeer. Es bildet auch heute die Grundlage für die länderübergreifenden Zählungen.

Ole Stejskal vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) fotografiert Seehunde aus dem Flugzeug heraus.

Ole Stejskal vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) fotografiert Seehunde aus dem Flugzeug heraus. Foto: Sina Schuldt/dpa

Um eine Population zu erhalten, müsse man wissen, wie der Bestand aussehe und wie er sich verändere, sagt Ursula Siebert, Wildtierspezialistin von der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

Daher würden die Seehunde seit den 1970er Jahren gezählt. Damit gehörten die Meeressäuger in der südlichen Nordsee zu den am besten untersuchten Beständen weltweit, sagt Siebert.

Die Seehund-Daten helfen den Wattenmeerländern zudem, allgemein den Zustand des sensiblen Lebensraums zu bewerten. „Weil der Seehund an der Spitze der Nahrungspyramide im Ökosystem steht, ist er eine gute Indikatorart, um zu bewerten, wie es dem Wattenmeer geht“, sagt Siebert.

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Wie lassen sich Seehunde zählen?

Am besten geht das aus der Luft. Dazu gibt es jeden Sommer Zählflüge im Wattenmeer. In Niedersachsen sind insgesamt zehn solcher Flüge geplant, die das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) im Rahmen des Seehundmonitorings organisiert.

Für die Zählungen starten zeitgleich zwei Kleinflugzeuge, die je einen Abschnitt an der Küste überfliegen - und zwar bei Niedrigwasser. Denn dann sammeln sich im Sommer Seehunde oft auf Sandbänken, um ihre Jungen aufzuziehen oder um sich zu sonnen.

So können die Tiere gut gezählt werden. An Bord sind ein Wattenjagdaufseher, also ein ehrenamtlicher Jäger, und ein LAVES-Wissenschaftler. Kleinere Gruppen werden direkt gezählt, größere Ansammlungen werden fotografiert und später am Bildschirm ausgezählt.

Wie geht es den Seehunden im Wattenmeer?

„Den Seehundbeständen im Wattenmeer geht es zahlenmäßig gut“, sagt Wissenschaftlerin Siebert. Ähnlich schätzt das auch das LAVES ein. „Die Seehunde machen einen guten und mobilen Eindruck“, bilanzierte die Behörde nach den Zählflügen 2024. Daten für dieses Jahr liegen noch nicht vor.

Kegelrobben liegen am Strand auf der Düne vor der Insel Helgoland.

Kegelrobben liegen am Strand auf der Düne vor der Insel Helgoland. Foto: Sina Schuldt/dpa

„Was man allerdings berücksichtigen muss, ist, die Tiere leben nicht nur im Wattenmeer“, sagt Siebert. Ihr Lebensraum reiche weit über die Nationalparkgrenzen hinaus. „Außerhalb der Wattenmeer-Nationalparks passiert sehr, sehr viel gerade bei uns in der Deutschen Bucht.“

Dort sei die Nordsee zunehmend Belastungen ausgesetzt - und damit auch die Seehunde. Die Wissenschaftlerin verweist zum Beispiel auf Störungen durch den Ausbau der Windenergie auf See.

Wie hat sich der Bestand der Seehunde im Wattenmeer entwickelt?

Für das gesamte Wattenmeer beobachteten Wissenschaftler im vergangenen Jahr zwar einen leichten Anstieg des Bestandes. Demnach wurden rund 23.800 Seehunde gezählt - das entsprach einem Plus von 5 Prozent im Vergleich zur Zählung 2023.

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Die Zahl blieb jedoch nach Angaben des Wattenmeersekretariats weiter unter den Werten der Jahre 2012 bis 2020 - und das bereits das vierte Jahr in Folge. Dies deute auf einen „langfristigen Rückgang“ der Seehundpopulation hin, hieß es im vergangenen, länderübergreifenden Zählbericht.

Woran liegt es, dass es weniger Seehunde gibt?

Das ist unklar. Wissenschaftler forschen zurzeit dazu. Experten besorgt, dass vor allem Jungtiere verschwinden. Zwar werden nach wie vor junge Seehunde gesichtet - der Gesamtbestand wächst aber nicht mit.

„Wir wissen nicht genau, wohin die Jungtiere verschwinden“, sagt Siebert. Sie plädiert daher für mehr Forschung über Länder- und Nationalparkgrenzen hinweg. „Je mehr Daten man sammelt und gemeinsam auswerten kann, desto besser kann das Bild werden, was wir bekommen.“

Es gebe verschiedene Annahmen, denen Forscherinnen und Forscher nachgingen. Möglich sei etwa, dass die Tiere andere Habitate als das Wattenmeer nutzen. Eine andere Annahme sei, dass die Sterberate etwa infolge von Umweltauswirkungen in bestimmten Altersklassen zunehme.

Auch der steigende Kegelrobbenbestand könnte sich möglicherweise negativ auf die Seehunde auswirken. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass Kegelrobben sich nicht nur von Fisch ernähren, sondern auch Jagd auf Seehunde machen. Eine Krankheit wird laut Wattenmeersekretariat als Ursache ausgeschlossen.

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Was mache ich, wenn ich einen Seehund am Strand sehe?

Unbedingt großen Abstand halten, rät Tim Fetting, Leiter der Tierpflege in der Seehundstation Norddeich in Ostfriesland. Der Abstand sei nötig, damit die Tiere gerade jetzt in der Hauptgeburtenphase ausreichend Ruhe haben.

Fetting hat auch einen Tipp, wie groß der Abstand sein sollte: „Den kleinen Finger ausstrecken, dahinter sollte man den Seehund nicht mehr sehen können.“

Bei ausreichendem Abstand können sich Muttertiere ungestört ihren Jungen am Strand oder auf einer Sandbank nähern, die sie dort vorübergehend zurücklassen.

Sollte ein Seehund tatsächlich Hilfe benötigen, sollten die Seehundstationen oder die Seehundjäger in Schleswig-Holstein oder die Wattenjagdaufseher in Niedersachsen informiert werden.

Was ist mit den Kegelrobben, die auch im Wattenmeer leben?

Die werden auch gezählt, allerdings zu anderen Zeitpunkten. Bei den größten Raubtieren Deutschlands ist die Geburtensaison nämlich von November bis Januar. Gerade hat das Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven neue Zahlen veröffentlicht.

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Anders als bei den Seehunden nimmt der Bestand der Kegelrobben kontinuierlich zu. Bei den Zählungen 2024/2025 wurden 3.051 neugeborene und insgesamt 12.064 Kegelrobben erfasst. Das ist jeweils der höchste Stand seit Beginn der gemeinsamen Zählungen 2008, die das Wattenmeersekretariat länderübergreifend koordiniert.

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