Tage der Industriekultur am Wasser im Kreis Stade: Wo die Fähre noch von Hand gezogen wird

Die historische Schwebefähre fährt über die Oste zwischen Osten und Hemmoor. Foto: Sina Schuldt/dpa
Mit 200 Veranstaltungen in 112 Denkmalen an 57 Orten lädt die Metropolregion Hamburg am 23. und 24. September zu den „Tagen der Industriekultur am Wasser“ ein. Auch im Landkreis Stade gibt es viel zu erkunden.
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Die „Tage der Industriekultur am Wasser“ stellen Orte der Industriegeschichte in der Metropolregion Hamburg vor, die oft weitgehend unbekannt sind. Viele von ihnen sind meist nicht öffentlich zugänglich und öffnen exklusiv an diesem Wochenende. Dabei ist das Programm so vielfältig wie die gesamte Region. Ob für Kultur-, Natur-, Technikbegeisterte oder Familien, für alle ist was dabei. Verbindendes Element bleibt immer eins: das Wasser.
Seefahrtsschule öffnet ihre Türen
Neu dabei ist die Seefahrtsschule Grünendeich. Hier wurden seit 1851 Steuerleute ausgebildet. Kapitän Peter Porath betrieb diese Navigationsschule auf private Rechnung: 1856 verstaatlichte das Königreich Hannover seinen Betrieb. 1858 bekam er ein eigenes Schulgebäude mit Flachdach für die Beobachtung des Sternenhimmels. 100 Jahre später wurde auf dem Flachdach eine Kapitänsbrücke eingerichtet und im Keller ein Planetarium, das 1980 den heute noch vorhandenen Projektor „Zeiss-Kleinplanetarium II“ erhielt. 2002 stellte sie endgültig ihren Betrieb ein.
Allein seit 1950 waren hier etwa 4000 Nautiker ausgebildet worden. 2003 zog die Arbeitsgemeinschaft Maritime Landschaft Unterelbe in die alte Seefahrtsschule ein und pflegt ihr Erbe. Am 24. September werden mehrere Führungen angeboten: zur regionalhistorischen Bedeutung des Hauses, zur Funktionsweise des alten analogen Projektors sowie zur Nutzung des Sternenhimmels in der Nautik. Kapitäne a. D. berichten über die Ausbildung.
Den Stader Stadthafen erkunden
Stade ist mit seinem Stadthafen dabei. Im Industriezeitalter reichte der Hafen in der Altstadt nicht mehr aus, deshalb wurde unmittelbar vor der Stadt 1882 der Stadthafen angelegt. Einiges des ehemaligen Hafenensembles ist noch erhalten. Der Kranmeister erläutert die technischen Objekte und bietet Führungen rund um und auf dem Portalkran von 1927 an. „Open Ship“ heißt es das ganze Wochenende auf der „Greundiek“. Das Küstenmotorschiff wurde 1949/1950 von der Rickmers-Werft in Bremerhaven gebaut und 1994 als Museumsschiff übernommen.
Der Giekewer „Frida“ freut sich am 23. und 24. September ebenfalls auf Gäste. Ewer waren einst die Arbeitspferde der Küstenschifffahrt. Die „Frida“, mit einem Mast, ist ein gut erhaltenes Beispiel dafür. Das Schiff kann besichtigt werden und am Sonnabend werden kurze Ausfahrten bis zur Elbe angeboten.
Führungen in Buxtehude
In der Wassermühle Ovelgönne in Buxtehude wurde seit 1674 Korn gemahlen. Am 24. September lässt sich das auf eigene Faust oder mit einer Führung durch die Mühle erkunden.
Das Buxtehude Museum erzählt die Geschichte der Stadt. Am Sonntag werden Führungen zu 300 Jahren Papierherstellung in Altkloster angeboten und es geht um die Entwicklung vom Gerberhandwerk zur Lederfabrik.
Der in Buxtehude festgemachte Ewer „Margareta“ steht für die seit dem 13. Jahrhundert bis in das Stadtzentrum betriebene Schifffahrt. Am 23. und 24. September sind alle zum „Open Ship“ eingeladen. Es gibt Führungen mit Fakten sowie Seemannsgarn, und Filme und Dias der „Margareta“ werden gezeigt.
Wo die Fähre noch von Hand gezogen wird
Die 1909 in Betrieb genommene Schwebefähre zwischen Osten und Hemmoor ist mit ihrem 38 Meter hohen Portal aus Stahlfachwerk das markanteste Bauwerk im Elbe-Weser-Dreieck. In der Fährstuv, dem völlig neu gestalteten Museum der Schwebefähre, wird die Sonderausstellung „Mit Dampf gerammt - schwebende Fundamente für die schwebende Fähre“ anlässlich 115 Jahren Fundamentbau der Schwebefähre gezeigt.
Die Prahmfähre in Estorf-Gräpel wird, wie vor 105 Jahren, noch per Hand über das Wasser gezogen. Die Fährmänner informieren über die Technik und die Hafengeschichte, und wer möchte, kann unter Anleitung selbst Hand anlegen.
Das besondere an vielen Industrieobjekten ist neben dem Denkmal selbst das damit verbundene Naturerlebnis. In Kranenburg zum Beispiel verdankt die Prahmfähre Brobergen ihrer Abgeschiedenheit das Überleben. Der Bau einer Brücke hätte sich hier nicht gelohnt. Die Fährleute erläutern beim Überqueren den Fährbetrieb.
Tidehafen und Schleuse
In Drochtersen im Ortsteil Gauensiek ist ein historisches Hafenensemble mit Hafenbecken, Werft, Schöpfwerk und einer voll funktionsfähigen Spülschleuse erhalten. Jeweils an den Nachmittagen stehen Mitglieder des Fördervereins für Informationen zur Verfügung und erzählen Wissenswertes über die Spülschleuse und den Hafen. An beiden Tagen wird der Spülvorgang an der Schleuse präsentiert.
Der Hafen von Freiburg war einst ein Umschlagplatz für Getreide, Heu und Ziegelsteine. Am 23. September gibt es einen geführten Rundgang durch den Freiburger Hafen. Es geht um den Wandel des Hafens und die Herausforderungen eines Tidehafens inklusive Spülschleuse und Bassin. Auch der historische Kornspeicher wird besichtigt. Anschließend steht die 1861 gegründete Bootwerft Hatecke auf dem Programm. Seitdem ist der in fünfter Generation geführte Familienbetrieb auf den Bau von Holzbooten spezialisiert. Zum Abschluss gibt es eine Ausfahrt auf einem historischen Pfahlewer oder einem Börteboot.
Nur ein paar Kilometer weiter in Wischhafen lohnt ein Abstecher in den Hafen. Dort befindet sich in einem Hafenspeicher aus dem 19. Jahrhundert das Kehdinger Küstenschiffahrtsmuseum. Hier wird die Hafengeschichte Wischhafens veranschaulicht. Am 23. September führt der Hafenmeister durch den alten Küstenschifferhafen. Aktuell ist die Ausstellung zur Geschichte der 100-jährigen „Katrina“, die als Frachtsegler lange auf der Elbe unterwegs war, zu sehen. Zu den Vertiefungen und Flusskorrekturen der vergangenen 200 Jahre wird ebenfalls eine Sonderausstellung gezeigt.
Das 1956 erbaute Küstenmotorschiff „Iris Jörg“ wurde bis 2002 für Frachtfahrten eingesetzt. Mit seiner niedrigen Bauweise und den klappbaren Masten konnte es bis weit ins Binnenland verkehren. Jetzt liegt es im Hafen, und die ehrenamtliche Mannschaft bietet „Open Ship“ an.
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Leuchttürme können besichtigt werden
In Balje wurde der alte Leuchtturm 1904 in Betrieb genommen. Als Leitfeuer ging er in Betrieb, nach einer Veränderung des Fahrwassers diente er als Quermarkenfeuer. 1979 wurde das Leuchtfeuer abgeschaltet. An beiden Tagen kann der Leuchtturm besichtigt werden und Führungen finden statt.
Ein weiterer Leuchtturm befindet sich in Hollern-Twielenfleth. Das Unterfeuer wurde 1893 in Betrieb genommen. Der kleine Leuchtturm wurde zwischenzeitlich innerhalb der Deichlinie neu aufgestellt. Der Turm kann erklommen werden, Erläuterungen werden angeboten und das Museum mit Schiffsmodellen freut sich auf zahlreiche Gäste.
Selbst Korn mahlen
Eng verzahnt mit Industrie und Wasser sind Mühlen. In der Region zwischen Buxtehude und Rotenburg finden sich einige beeindruckende Exponate. Die Amtswassermühle in Moisburg von 1723 ist eine der letzten funktionstüchtigen traditionellen Mühlen in Norddeutschland. Die Mühle wird am 24. September in Betrieb genommen. Es finden Führungen durch die Mühle und die Ausstellung der regionalen Mühlengeschichte statt. Für Kinder liegen Handmühlen bereit, an denen sie sich selbst beim Mahlen probieren können.
Die Wassermühle in Scheeßel markiert den Übergang von einer traditionellen Getreidemühle zu einem Industriebetrieb. Sie war 170 Jahre bis 1999 in Betrieb und blieb mit ihrer Technik erhalten. An diesem Wochenende werden ihre Turbinen und der Dieselmotor gestartet, Führungen werden angeboten und bei Voranmeldung wird Korn gemahlen.
Produktionsstätten von Ziegeln, Torf und Glas vermitteln Industriegeschichte
Das Glasmuseum Gnarrenburg veranschaulicht die Erfolgsgeschichte der Gnarrenburger Glasindustrie. Es ist im alten Bahnhofsgebäude untergebracht, das nach Plänen von Heinrich Vogeler 1909 erbaut wurde. Einst gab es vier Glashütten im Ort. Die 1976 stillgelegte Marienhütte war die größte. Am Sonntag zwischen 14 und 18 Uhr hat das Museum geöffnet und alles dreht sich um die Glasindustrie und den Oste-Hamme-Kanal.
Gut sechs Kilometer weiter, auf dem Historischen Moorhof Augustendorf, ist Torf das beherrschende Thema. Aus dem Teufelsmoor nordöstlich von Bremen ist lange Zeit ein wichtiger Brennstoff gekommen, m it Torf wurden Wohnhäuser beheizt und Fabriken betrieben. Der Moorhof steht am Wochenende zur Besichtigung offen. Zum „Leben und Wirken im Moor um 1910“ werden Führungen angeboten.
Ein weiteres Highlight in der Region öffnet am 24. September seine Tore: die Ziegelei Pape in Bremervörde. Mit dem Ringofen, Maschinenhaus und der zu einem idyllischen See umgewandelten Lehmkuhle ist es eine Ziegelei zum Anfassen. In dem heutigen Museumsbetrieb wurden von 1840 bis 1973 Backsteine gebrannt. Die alten Maschinen werden in Betrieb genommen, Führungen werden angeboten. (st)

Der Baljer Leuchtturm wurde 1904 in Betrieb genommen.