Virologe Andreas Dotzauer: „Wild drauflosimpfen macht keinen Sinn“
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt für erste Gruppen die vierte Impfung. Virologe Andreas Dotzauer warnt davor, "blind draufloszuimpfen". Foto: Sven Hoppe/dpa/Symbolbild
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat eine vierte Corona-Impfung empfohlen – für einen bestimmten Personenkreis. Der Virologe Andreas Dotzauer erklärt, für wen die vierte Impfung aktuell sinnvoll ist - und zu welchem Problem willkürliches Zweitboostern führt.
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Brauche ich eine Auffrischung des Boosters oder nicht? Diese Frage stellen sich inzwischen einige, bei denen die dritte Impfung gegen das Coronavirus inzwischen mehrere Monate zurückliegt. Der Virologe Professor Andreas Dotzauer, Leiter des Laboratoriums für Virologie an der Universität Bremen, erklärt, für wen die vierte Impfung sinnvoll ist. „Die Viertimpfung bietet schon einen höheren Schutz als der Booster, wenn auch nicht mehr ganz so hoch wie die Impfungen davor“, sagt Dotzauer. Experten schätzten, dass die vierte Impfung etwa drei bis vier Mal höher vor schweren Verläufen und etwa zwei Mal höher vor einer Infektion schützt als die Impfungen davor. „Es stellt sich aber die Frage: Wie sinnvoll ist die vierte Impfung überhaupt?“, sagt Dotzauer.
Denn die bisherigen Daten aus Israel zeigten, dass eine vierte Impfung bei Risikopatienten im Zeitraum von vier bis sechs Monaten nach der Booster-Impfung Sinn ergibt. „Wild drauflosimpfen macht hingegen keinen Sinn“, so Dotzauer.
Dotzauer: Viertimpfung bei Risikogruppen sinnvoll
Wenn jetzt willkürlich jeder eine vierte Impfung erhalte, führe das zu einem neuen Problem: „Das Immunsystem ist lernfähig. Je häufiger es in Kontakt mit einem bestimmten Antigen kommt, hier ist es das Spike-Protein, desto besser erkennt es genau dieses. Durch die bessere Anpassung der Antikörper an die spezifische Antigenstruktur geht die Eigenschaft verloren, verschiedene Strukturvarianten des Antigens noch gut zu erkennen“, erklärt er. In den aktuellen Impfstoffen dienten die Proteine der ersten Virusvariante als Antigen. „Das heißt: Wenn die neuen Virusvarianten kommen, binden die Antikörper nicht mehr so gut, die Impfung für die Varianten wird schwächer“, so Dotzauer. Deshalb müsse der Impfstoff angepasst werden.
Dotzauer sagt, für Menschen in der Risikogruppe sei eine vierte Impfung sinnvoll. Für andere nur dann, wenn vier bis sechs Monate seit der Booster-Impfung vergangen seien. „Es ist schon so, dass eine vierte Impfung das Immunsystem noch einmal hochpusht“, so Dotzauer. Grundsätzlich gehe er davon aus, dass Wiederholungsimpfungen zum Schutz vor Corona notwendig sein werden. „Aber man weiß zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, mit welchem zeitlichen Muster und mit welchem Impfstoff“, so Dotzauer.
Keine Entspannung in den Kliniken zu erwarten
Die Überlegungen der Stiko berücksichtigten richtigerweise auf der Grundlage bis jetzt vorliegender Ergebnisse den unterschiedlichen Nutzen von unterschiedlichen Impfstofftypen, die derzeitig zur Verfügung stehen. Dotzauer: „Novavax, ein Untereinheiten-Impfstoff, eignet sich ebenso wie die anderen Impfstoffe gut zur Grundimmunisierung (hier: zwei Dosen im Abstand von mindestens drei Wochen), das heißt zum Aufbau eines grundlegenden Immunschutzes gegen Sars-CoV-2, auch wenn durch ihn nicht das vollständige, mögliche Spektrum der Abwehrreaktionen effektiv ausgelöst wird. Er bietet so die Möglichkeit, auch die Personen, die diesen Impfstoff bevorzugen, in das Impfgeschehen einzubinden.“ Für Auffrischimpfungen, das heißt ein nochmaliges effektives Pushen der vorliegenden Immunantwort, scheine er weniger gut geeignet zu sein. Daher überlege die STIKO, für eine spätere Auffrischimpfung einen mRNA-Impfstoff zu empfehlen, „der hierbei nach bisherigen Daten eine deutlich bessere Wirkung zeigt und um so das Impfziel zu erreichen“.
Dass sich die Lage angesichts der vielen Omikron-Infektionen, aber der akzeptablen Entwicklung in den Krankenhäusern entspannt, glaubt Dotzauer nicht. „Die Situation im Moment ist labil, ich gehe davon aus, dass wir im Herbst wieder ein ähnliches Bild haben wie im vorigen Jahr.“ Beim Thema Durchseuchung und der damit verbundenen Hoffnung auf Herdenimmunität winkt Dotzauer ab. „Durch den milden Verlauf der Omikron-Variante bildet sich auch nur eine schwächere Immunreaktion als etwa bei einer Impfung. Das Risiko für eine erneute Ansteckung bleibt also“, so der Experte. Wichtig sei deshalb jetzt, den Impfstoff anzupassen und die Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten. (lab/cd)