Voller Einsatz für die Liebe

Sie sind da: Ihr erster Weg als Ehepaar führt Cathy und Tobi in den Schützenhof Ahlerstedt.
Halb fünf am Sonnabendnachmittag in Ahlerstedt. Im Schützenhof, um genau zu sein. Hier im Landgasthof steht alles im Zeichen der Hochzeitsfeier von Cathy und Thomas aus Buxtehude, die heute „Ja“ zueinander gesagt haben.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Von Kirsten Andrae
Es ist mitten im Sommer, aber das Thermometer klettert trotzdem nicht höher als auf 19 Grad. Obendrein fällt leichter Nieselregen. Das könnte eine aufwendig geschminkte und frisierte Braut schon nervös werden lassen. Doch von der ist weit und breit nichts zu sehen. Sie soll erst in einer Stunde ankommen – und verschwendet vielleicht keinen einzigen Gedanken an das Hotelteam, das sich gut gelaunt und hoch konzentriert an die letzten Vorbereitungen vor der Ankunft der 160-köpfigen Gästeschar macht.
„Genau so soll es sein“, meint Juniorchef Nils Bockelmann, „die Braut soll sich um die Organisation der Feier keine Gedanken machen müssen – das übernehmen wir.“ Glaubt man ihm sofort; denn obwohl Bockelmann erst 32 Jahre alt ist, strahlt der blonde Ahlerstedter eine Vertrauen einflößende Souveränität aus. Was nicht zuletzt daran liegt, dass er den Familienbetrieb, den sein Vater Klaus-Dieter Bockelmann in sechster Generation führt, von Kindesbeinen an kennt. Eine bei Nils Bockelmann beliebte wie verantwortungsvolle Aufgabe, als er noch ein kleiner Junge war: bei großen Feiern die funkensprühende Wunderkerze hinter seinem Vater her zu tragen, wenn dieser am Abend als Dessert-Attraktion die „Eisbombe“ zwischen den Tischen balancierte.
Bockelmann bestellt Kaffee im vorderen Gastraum, in dem der ganz normale Betrieb weiterläuft – gerade haben sich hier ein paar ältere Damen auf ein Stückchen Torte getroffen. Dann geht er zügig voran Richtung Küche. Was sich hinter der Schwingtür verbirgt? Brutzelgeräusche aus riesigen Pfannen? Nebelschwaden, die aus Töpfen emporwabern? Hektische Köche, denen Zeitdruckpanik auf die verschwitzte Stirn geschrieben steht? Nein: nichts. Keiner da. „Das ändert sich gleich, die machen alle ein Päuschen, bevor es richtig losgeht“, weiß Bockelmann.
Von links: Kathleen Gau schnippelt fröhlich Gemüse für insgesamt 38 gemischte Salatplatten. Wenn die Gäste kommen, muss der Sekt von Kornelia Lühnen noch perlen. Heike Wernicke sorgt für perfekte und selbstverständlich handgemachte Kartoffelklöße.
Noch gleicht die Küche einem Stillleben aus überdimensionalen Vorratsbehältern, Kochgeräten und Stapeln von weißem Essgeschirr. Aber dahinter verstecken sie sich doch, Hinweise darauf, dass eine Großfeier bevorsteht: enorme Mengen Eisbergsalat und Tomaten und auf dem blanken Tisch davor Edelstahlbehälter voller Erbsen, Möhren und Bohnen. „Kurz vorgegart und wieder abgekühlt, das erhitzen wir kurz vor dem Servieren“, informiert Bockelmann.
„Nils, kommst du mal“, ruft eine Frauenstimme aus dem Tanzsaal. Weg ist er. Fast gleichzeitig schwingen zwei Küchentüren auf, innerhalb von Sekunden füllt sich die Küche mit Menschen. Der Koch schreitet voran, unter dem rechten Arm trägt er zwei Pakete mit gewürfeltem Speck. Vier Frauen beugen sich über die Rohkostmengen, fangen an zu schnippeln, nebenbei unterhalten sie sich aufgekratzt und lachen viel. Das klingt vertraut und ist es auch: „Wir kennen uns schon lange. Wir kommen alle aus der Gegend und helfen oft bei großen Gesellschaften im Schützenhof.“
Jemand geht durch die Verbindungstür in den benachbarten, auf Brautwunsch in Weiß und Pink eingedeckten Tanzsaal. Dadurch ziehen im Gegenzug wummernde Abba-Klänge in die Küche, in der es mittlerweile um einige Grad wärmer geworden ist: „So when you’re near me, darling, can’t you hear me, SOS...“ DJ Ronny, ein schon lange in Horneburg wohnhafter Schotte, ist startklar. Die Technik funktioniert. Die discoartige Beleuchtung ebenfalls. Auch für ausreichend Mineralwasser ist gesorgt. Ronny trinkt pro Hochzeitsfeier mindestens vier Liter. „Meistens mehr.“
In der Küche wandert eine Vorspeisenplatte nach der anderen in den Kühlraum, ebenso die von Ronny bestellten Salatteller für Sängerin Mica („Vegetarisch, bitte. Frauen!“) und sich („Bei mir kann alles rauf, was weg muss.“). Nils Bockelmann erinnert Ronny an die musikalische Begleitung zur Vorspeise, den „Suppenmarsch“. „Klar“, meint Ronny und erzählt, dass er zur Nachspeise „Flammendes Inferno“ gern die Traumschiff-Melodie abspielt.
Währenddessen knetet Heike Wernicke beidhändig eine ansehnliche Menge Knödelteig. In einem Wäschekorb. „Entweder drei Eimer oder eben eine Waschschüssel“, erklärt Thomas Winsemann knapp. Der Koch aus Ahrensmoor arbeitet bereits seit 17 Jahren im Schützenhof. Die Tür geht auf, wieder ertönt Abba. „Honey I’m still free – take a chance on me...“
„Viertel nach fünf, sie müssen gleich da sein“, ruft jemand. Hinter dem Tresen im Tanzsaal zieht Nils Bockelmann eine extra-große Packung Taschentücher hervor: „Die haben wir immer vorrätig; es kommt ja oft vor, dass jemand vor Rührung weinen muss.“ Neben Bockelmann gießt Kornelia Lühnen Sekt, Hugo, Campari und Orangensaft in schmale Gläser – was ein Zeichen dafür ist, dass die Ankunft der Gäste kurz bevorsteht. Denn: „Die Getränke müssen dann noch perlen.“
Eine blumige Parfumwolke weht herbei und kündigt weiblichen Besuch an. Sekunden später steht eine Mittfünfzigerin im langen knallroten Abendkleid vor dem Tresen und verkündet: „Sie sind da.“ Kornelia Lühnen füllt lächelnd die letzten Gläser. Perfektes Timing.
Draußen wird die Tür der pinkfarbenen Stretchlimo geöffnet. Heraus schaut Braut Cathy und wirft einen prüfenden Blick gen Himmel. Die Regenwolken haben sich verzogen. Die Sonne scheint. Die Party kann beginnen.
Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:
- Teil 1: Bei der Polizei
- Teil 2: Im Pressehaus
- Teil 3: Beim Bäcker
- Teil 4: Bei der Post
- Teil 5: Auf der Jagd
- Teil 6: Auf der ersten Fähre
- Teil 7: Der Greenkeeper
- Teil 8: In der Leitstelle
- Teil 9: Bei der Straßenmeisterei
- Teil 10: Im Hotel
- Teil 11: Bei der Tagespflege
- Teil 12: In der Touristen-Information
- Teil 13: Am Imbiss
- Teil 14: Besuch beim Schäfer
- Teil 15: Der Bestatter
- Teil 16: Am Elbstrand
- Teil 17: Der Tierarzt
- Teil 18: Im Landgasthof
- Teil 19: In der Notaufnahme
- Teil 20: Bei der Fahrschule
- Teil 21: Auf dem Autohof
- Teil 22: Beim Lieferservice
- Teil 23: Bei der Ernte
- Teil 24: Neben einem Angler
