21-jähriger mutmaßlicher IS-Rückkehrer steht in Hamburg vor Gericht

Der Angeklagte steht vor Prozessbeginn in einem Gerichtssaal im Landgericht neben seiner Anwältin Gabriele Heinecke und seinem Anwalt Florian Melloh. Dem 21 Jahre alten Mann wird vorgeworfen, Mitglied der Terrororganisation Islamischen Staat (IS) gewesen zu sein. Foto: Daniel Reinhardt/dpa
Eine Mutter nimmt ihren elf Jahre alten Sohn von Hamburg mit nach Syrien. Hier soll der Junge vom Islamischen Staat (IS) ausgebildet worden sein und an Kämpfen teilgenommen haben. Aber ist er dafür verantwortlich oder nur „Opfer der Umstände?“
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Ein 21-Jähriger muss sich seit Montag vor dem Oberlandesgericht Hamburg wegen der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) verantworten. Laut Anklage soll der Hamburger 2013 mit seiner Mutter nach Syrien gereist sein, wo sich die Frau ebenso wie der Stiefvater dem IS angeschlossen hatte. Der damals Elfjährige soll von der Terrororganisation ausgebildet worden sein und sich ihr ebenfalls angeschlossen haben. Von 2016 bis 2017 soll er an Kampfhandlungen beteiligt gewesen und mehrfach verwundet worden sein.
Bei dem Versuch, in die Türkei zu gelangen, wurden Mutter und Sohn 2017 von kurdischen Kräften festgenommen. Im Oktober 2019 wurde der Angeklagte in ein Camp zur Deradikalisierung verlegt. Dort soll er sich weiterhin als IS-Mitglied betätigt und andere Jugendliche aufgewiegelt, attackiert oder mit dem Tod bedroht haben. Bei einer Rückholaktion nach Deutschland wurde der Angeklagte am 5. Oktober 2022 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Kind zieht nicht von sich aus in den Krieg
Die Verteidigerin beantragte, die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen, da der Angeklagte seine persönliche Sicht der Dinge schildern wolle. Dem stimmte die Richterin zu, sodass nur das Urteil öffentlich verkündet werden soll. Für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung droht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Nach der Verlesung der Anklageschrift gab die Verteidigerin eine Erklärung ab. Sie kritisierte vor allem, dass dem Angeklagten unterstellt wurde, schon als Kind einen eigenen Willen gehabt zu haben. Das entspreche jeder Erkenntnis der Entwicklungspsychologie. „Ein Kind beschließt nicht von sich aus, in den Krieg zu ziehen“, sagte die Verteidigerin Gabriele Heinecke. Hier hätte die Staatsanwaltschaft ein jugendpsychologisches Gutachten in Auftrag geben müssen.
Strafe gebühre den Erwachsenen
Die Kampfhandlungen, an denen sich der Jugendliche beteiligt hätte, bezeichnete die Verteidigerin als „Fantasie“. Auch gebe es keine eindeutigen Erklärungen für die Verletzungen an seinem Bein. „Egal, was passiert ist, der Angeklagte ist Opfer der Umstände, die er nicht zu verantworten hat“, sagte die Verteidigerin. Die Strafe gebühre den Erwachsenen, die das Leben der Kinder ruinierten. Außerdem sei es vermessen, jemanden als islamistisch einzustufen, nur weil er den Koran gelesen habe.
Im Sinne eines Erziehungsgedankens hätte der 21-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand für Jugendliche untergebracht werden sollen. Stattdessen sitze er nun in einem Gefängnis für Terrorverdächtige. Dort gebe es „keinen Sport, keinen Kontakt zu anderen Gefangenen“. Die Verteidigerin kritisierte außerdem, dass die Mutter des Angeklagten nicht als Zeugin geladen wird, obwohl ihr Aufenthaltsort bekannt sei. Sie soll sich nach wie vor in einem kurdischen Gefangenenlager befinden. Sie besitze keinen deutschen Pass, obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sei. (dpa)