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24-Stunden-Reportage: Wenn die Rechts-vor-links-Falle zuschnappt

Da war die Laune noch bestens: Nico Brede, 16 Jahre alt, macht gerade seinen Führerschein in der Fahrschule von Siegfried „Siggi“ Schneider . Die spontan angesetzte simulierte Fahrprüfung durch Buxtehude erweist sich aber als nicht ganz so

Da war die Laune noch bestens: Nico Brede, 16 Jahre alt, macht gerade seinen Führerschein in der Fahrschule von Siegfried „Siggi“ Schneider . Die spontan angesetzte simulierte Fahrprüfung durch Buxtehude erweist sich aber als nicht ganz so

Er gilt als Ticket in die Unabhängigkeit: Wer einen Führerschein hat, muss nicht mehr von Mama oder Papa kutschiert werden, sondern fährt selbst. Eine 57-minütige Probe-Fahrprüfung durch Buxtehude, die einige Überraschungen parat hält.

Von Birger Hamann Dienstag, 25.07.2017, 12:00 Uhr

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In neun Minuten wäre Nico Brede durch seine praktische Fahrprüfung gefallen, aber das weiß er jetzt noch nicht. Es ist Mittwochabend, 19.02 Uhr, Nico Brede steigt in den VW Golf der Fahrschule Schneider im Buxtehuder Stadtteil Altkloster und ist in Erwartung einer ganz normalen Fahrstunde. Denkste.

„So, Nico, heute simulieren wir mal eine Fahrprüfung mit all ihren Elementen“, sagt Fahrlehrer Siegfried Schneider, der unter seinem Spitznamen „Siggi“ bekannt ist und der seit mehr als vier Jahrzehnten Tausenden Jugendlichen in und um Buxtehude zum Führerschein verhilft. Deswegen sitzt auch Nico Brede am Steuer, es ist seine 20. Fahrstunde und der 16-Jährige schaut ob der spontanen simulierten Fahrprüfung etwas sparsam.

Vom Schafmarktplatz geht es vorbei am Jahnstadion in die Stader Straße Richtung Spange. Dort wechselt Nico Brede von der linken auf die rechte Spur, vergisst aber, dabei den Blinker zu setzen. „Schulterblick wäre auch nicht schlecht gewesen“, gibt’s vom Fahrlehrer gleich noch eins obendrauf. In diesem Fall war es ein Fehler, angesprochen auf das Thema blinken schaut Schneider durch den Spiegel auf die Rückbank und verdreht dabei die Augen. „Die allgemeine Blinkfaulheit in Deutschland ist schlimm“, schimpft er. Schneider und seine Kollegen können nur versuchen, dem Fahrnachwuchs einzutrichtern, wie wichtig blinken ist und vor allem wie gefährlich es sein kann, nicht zu blinken.

Nico Brede steuert den Golf am Stadthaus vorbei, geradeaus durch die Poststraße. „Bei der nächsten Möglichkeit biegen wir links ab“, sagt Schneider. Den Blinker setzt Nico Brede dieses Mal, doch er tappt voll in die Rechts-vor-links-Falle. Während er links in die Carl-Hermann-Richter-Straße fahren will, in einem großen Bogen, wie man es als Linksabbieger auch machen sollte und wie er es gelernt hat, vergisst Nico Brede, nach rechts in die Altländer Straße zu gucken. Schneider bremst scharf, es ruckelt, der Wagen säuft ab und steht um 19.11 Uhr mitten auf der Kreuzung.

„An dieser Stelle wäre die Fahrprüfung jetzt vorbei gewesen“, sagt Siegfried Schneider mit ruhiger Stimme und lächelt vielsagend. Nico Brede schaut erschrocken und erkennt seinen Fehler sofort. Später, als der Schüler schon auf dem Heimweg ist, wird Schneider sagen: „An dieser Kreuzung wird er niemals mehr vergessen, nach rechts zu gucken, egal aus welcher Richtung er kommt.“

Weil das hier aber keine echte Fahrprüfung ist, darf Nico Brede weiterfahren, am Bahnhof vorbei, rechts in die Spange (dieses Mal mit gesetztem Blinker), nach links in den Brillenburgsweg und weiter in Richtung Industriegebiet. Schneider, 66, kennt diese Straßen wie kaum ein zweiter. Seit 43 Jahren ist er als Fahrlehrer in Buxtehude tätig, 40 davon mit seiner eigenen Fahrschule. Würde man ihm eine stumme Karte der Stadt vorlegen, also ohne die Straßennamen, Schneider könnte wohl alle eintragen.

Vollbremsung, wenden, einparken: All das sind zentrale Elemente der Fahrprüfung. Die ersten beiden erledigt Nico Brede im Industriegebiet problemlos, das Einparken erweist sich hingegen als heikle Angelegenheit. Aber die von Schneider ausgeguckte Parklücke ist auch fies. Sein Fahrschüler soll rückwärts per 90-Grad-Einschlag zwischen zwei Autos einparken, wobei ein Pkw auf der Anhängerkupplung einen Träger mit Fahrrädern hat, entsprechend schlecht ist die Sicht. Nach dem zweiten misslungenen Versuch hat Schneider ein Einsehen, diese Parklücke wäre selbst für erfahrene Autofahrer eine Herausforderung gewesen. Eine andere Parklücke meistert Nico Brede problemlos.

Es ist jetzt 19.32 Uhr, bis auf die Rechts-vor-links-Falle hat sich der Schüler des Gymnasiums Süd in der halben Stunde keinen größeren Fehler erlaubt – aber das wird nicht so bleiben. Gemächlich geht es durch die Buxtehuder Innenstadt, wieder vorbei an Bahnhof und Stadthaus auf die Hansestraße und geradeaus in Richtung Spange, als Schneider plötzlich sagt: „Jetzt wärst Du das zweite Mal durchgefallen.“

Nico Brede schaut erschrocken und verlangsamt seine Fahrt, daher gibt Schneider Gas, denn hier ist schleichen oder gar stehenbleiben keine gute Option, gilt die Spange, die den Buxtehuder Norden mit dem Süden verbindet, doch als Nadelöhr der Stadt. Was war passiert? Nico Brede hat, als er in der Spange die Spur wechseln wollte, eine durchgezogene Linie überfahren. Zu früh: Das Wechseln der Fahrspur ist erst einige Meter weiter möglich.

Schneider löst und erklärt solche Situationen immer ruhig und sachlich, meist mit einem Schuss Ironie. Generationen von Schneiders Fahrschülern kennen den Spruch, den Nico Brede später am Schafmarktplatz zu hören bekommt, als er seitlich zwischen zwei Autos einparkt: „Na, da hat sich der Bordstein wohl plötzlich etwas verschoben.“ Und die Frage: „Heute schon genickt?“ dürfte jeder von Schneiders Schützlingen schon mal gehört haben, der zu schnell an eine unübersichtliche Kreuzung gefahren ist, woraufhin der Fahrlehrer schärfer bremsen musste und der Kopf des Schülers nach vorne klappte und wieder zurück – eben einmal kurz genickt. Nico Brede aber wird in dieser Fahrstunde nicht nicken müssen. Um 19.59 Uhr stellt er das Auto dort ab, wo vor knapp einer Stunde alles begann: vor dem gelben Klinkerbau am Schafmarktplatz, in dem die Fahrschule seit 40 Jahren ihren Sitz hat. Schneider ist auf der Suche nach einem Nachfolger, bislang erfolglos, also macht er vorerst weiter.

„Abgesehen davon, dass Du heute zweimal durchgefallen wärest, war das ganz in Ordnung.“ Ein typischer Schneider-Satz, garniert mit einem breiten Grinsen. Nico Brede schaut etwas verunsichert und fragt sich wohl, ob das jetzt als Kompliment gemeint war. „Nico wird das packen, mit Sicherheit“, schiebt Schneider nach, und die Miene seines Schülers entspannt sich etwas. Ende August wird Nico Brede 17. Wenn er die Fahrprüfung besteht, darf er ein Jahr lang in Begleitung von eingetragenen Personen fahren, mit 18 dann alleine.

Weit über 90 Prozent nutzen mittlerweile das begleitete Fahren ab 17“, sagt Schneider, als die Mutter von Nico Brede um die Ecke biegt. Sie winkt dem Fahrlehrer herzlich zu, Schneider winkt ebenso freundlich zurück und murmelt: „Die hat bei mir auch schon den Führerschein gemacht.“

 

Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:

 

24-Stunden-Reportage: Wenn die Rechts-vor-links-Falle zuschnappt

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