„Verurteilte Straftäter“: Wer alles im Abschiebeflieger nach Afghanistan saß

Die Abschiebung nach Afghanistan wurde über Wochen bundesweit vorbereitet. (Symbolbild) Foto: Michael Kappeler/dpa
Gewalttäter und Sexualstraftäter: Die 28 nach Afghanistan abgeschobenen Männer waren nach offiziellen Angaben alle Straftäter. Was sie sich zuschulden kommen ließen, ein Überblick.
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Hannover/Leipzig. Aus Deutschland sind erstmals seit der Machtübernahme der islamistischen Taliban in Afghanistan vor drei Jahren wieder Menschen in das Land abgeschoben worden. Doch wer sind die 28 Männer, nach Angaben von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) allesamt Straftäter. Angaben dazu kommen aus den beteiligten Bundesländern.
Niedersachsen: Fünf Männer aus Niedersachsen zwischen Mitte 20 und Mitte 30 wurden teils aus der Strafhaft, teils aus Freiheit abgeschoben. Zu den von ihnen begangenen Taten zählten dem Land zufolge Totschlag, Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Betrug und Diebstahl.
1.000 Euro für jeden Abgeschobenen
Innenministerin Daniela Behrens bezeichnete die bundesweite Sammelabschiebung als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. „Die Rückführung von schweren Straftätern ist bedeutsam für die innere Sicherheit in Deutschland“, sagte die SPD-Politikerin. Die Vorbereitungen für die Abschiebung seien bereits vor einigen Monaten gestartet. Bundes- und Länderbehörden hätten dafür intensiv zusammengearbeitet.

Die Maschine ist am Morgen vom Flughafen Leipzig/Halle abgehoben. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Eine Sprecherin des Innenministeriums sagte, die fünf Männer, die aus Niedersachsen abgeschoben wurden, hätten alle 1.000 Euro bekommen. Das Geld solle reichen, um sechs bis neun Monate den Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten zu können. Die Sprecherin erklärte, nach ihren Informationen hätten sich alle beteiligten Bundesländer auf diese 1.000 Euro geeinigt.
Vergewaltigung, Körperverletzung: Schwere Straftäter abgeschoben
Mecklenburg-Vorpommern: Einer der Abgeschobenen lebte in Mecklenburg-Vorpommern. Der Mann war nach Angaben aus dem Land wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung und anderer Delikte rechtskräftig verurteilt worden.
Baden-Württemberg: An Bord des Flugzeugs waren fünf Männer aus dem Südwesten, die allesamt „schwere Straftäter“ sein sollen. Einer von ihnen hatte Ende Oktober 2019 mit drei weiteren Tätern in einer Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) eine damals 14-Jährige über mehrere Stunden vergewaltigt, wie es hieß. Das Mädchen sei zuvor unter Alkohol- und Drogeneinfluss gesetzt worden. Der heute 31 Jahre alte Mann hatte seine Haftstrafe schon abgesessen und wurde von der Polizei zur Abschiebung festgenommen. Die vier anderen Afghanen im Alter von 25, 35 und 45 Jahren saßen wegen diverser Straftaten in Haft und seien von dort aus an den Flughafen Leipzig/Halle gebracht worden.
Bayern: Auch drei Straftäter aus Bayern gehören zu den Abgeschobenen. Angaben aus dem Land zufolge waren zwei von ihnen wegen Sexualstraftaten und der Dritte wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Sie seien 27, 29 und 30 Jahre alt.
Berlin: Zwei schwere Straftäter aus Berlin waren ebenfalls an Bord. Einer ist demnach wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung, der andere wegen Vergewaltigung verurteilt worden.
Nordrhein-Westfalen: Unter den Passagieren war auch ein Straftäter aus NRW. Der Mann sei direkt aus einer JVA abgeholt worden, hieß es. Dort habe er eine Haftstrafe wegen schwerer Brandstiftung verbüßt.
Rheinland-Pfalz: Von dort wurde ein zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilter Sexualstraftäter ausgewiesen.
Sachsen-Anhalt: Zwei Straftäter aus Sachsen-Anhalt wurden abgeschoben. Einer von ihnen verbüßte demnach wegen zweifacher Vergewaltigung eine mehrjährige Jugendstrafe. Der Zweite war wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt, gegen ihn liefen aktuell Ermittlungen wegen Vergewaltigung und Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige.
Thüringen: Auch ein 25 Jahre alter Mann aus Thüringen saß in dem Flugzeug. Dieser wurde demnach unter anderem 2021 wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahl mit Waffen und wegen eines Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Er saß bis März dieses Jahres in Haft und soll auch nach seiner Entlassung wieder Straftaten begangen haben.
Fünf weitere Afghanen hätten abgeschoben werden sollen
Zudem wurde ein Mann aus Sachsen abgeschoben sowie sechs Straftäter aus Hessen.
Bei dem Abschiebeflug hätten eigentlich fünf weitere Menschen dabei sein sollen - also insgesamt 33 Personen. Das berichteten Abgeordnete nach einem Treffen des Bundestagsinnenausschusses in Berlin. Zwei der zur Abschiebung Vorgesehehen seien am Morgen nicht angetroffen worden, sagte der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin.
Drei der fünf Betroffenen seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, weil sie aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande abgesessen hätten.
Start aus Leipzig
Das sächsische Innenministerium teilte mit, die Maschine sei am Morgen vom Flughafen Leipzig/Halle abgehoben. Zuvor hatte der „Spiegel“ berichtet. Nach dpa-Informationen sollen die verurteilten Straftäter vor einer möglichen Abschiebung einen Großteil ihrer Strafe hierzulande abgesessen haben.
Deutschland unterhält zu den Taliban-Machthabern in Kabul keine diplomatischen Beziehungen. Nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim Ende Mai hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und auch Syrien wieder zu ermöglichen.
Bei der Abschiebung setzte die Bundesregierung nun auf die Unterstützung des Emirats Katar. Zum Einsatz kam ein Charterjet von Qatar Airways, der auf dem Tracking-Portal Flightradar zu verfolgen war und demnach am Nachmittag (Ortszeit) in Kabul landete. Die Grünen-Abgeordnete Kaddor sagte, in der Sitzung des Innenausschusses sei berichtet worden, dass kein Bundespolizist wie auch generell keine Vertreter deutscher Behörden an Bord gewesen seien. Stattdessen hätten Angehörige katarischer Behörden den Flug organisiert und für dessen Sicherheit gesorgt.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, und Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz. Foto: Kay Nietfeld/dpa
„Es ist ein klares Zeichen: Wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden versuchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht“, sagte der SPD-Politiker bei einem Wahlkampftermin in der Nähe von Leipzig. Die Abschiebungen seien sorgfältig vorbereitet worden. Ein solches Vorhaben gelinge nur, „wenn man sich da Mühe gibt, wenn man es sorgfältig und sehr diskret macht“.
Der Abschiebeflug startete zwar wenige Tage nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten tödlichen Messerattentat von Solingen, hat aber einen deutlich längeren Vorlauf, wie es aus Behördenkreisen hieß.
Recht sieht Ausschlussgründe für Schutz in Deutschland vor
Das Vorgehen könnte nun auch eine Blaupause für künftige Abschiebungen nach Afghanistan und möglicherweise auch Syrien sein. Die Bundesregierung prüft Möglichkeiten zur Abschiebung in diese Länder seit Monaten. Dabei sollen auch Nachbarstaaten wie Usbekistan eine Rolle spielen.
Insbesondere die Grünen und auch ihre Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich bislang skeptisch gezeigt bei Abschiebungen nach Afghanistan und davor gewarnt, die islamistische Taliban-Regierung indirekt anzuerkennen.
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Nouripour: Abschiebeflug darf Taliban nicht legitimieren
Grünen-Co-Chef Omid Nouripour betonte erneut: „Dieser Flug darf nicht zu einer Legitimation der Taliban führen“. Abschiebungen in das Land „im großen Stil“ sieht er auch weiter skeptisch. „Dafür bräuchte es eine direkte staatliche Zusammenarbeit, die mit den Steinzeit-Islamisten der Taliban nicht möglich ist“, so der Grünen-Politiker. Gleichzeitig sei stets klar gewesen, „dass es technische Möglichkeiten geben kann, in wenigen Fällen Menschen nach Afghanistan zu fliegen“, sagte Nouripour.
Baerbock hatte am Dienstag im RBB-Inforadio gesagt, bereits jetzt seien Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan vereinzelt machbar. Es sei angesichts der dort herrschenden Regimes aber „offensichtlich nicht trivial“. Es sei zudem bereits Rechtslage, dass Straftäter und Gefährder keinen Schutzstatus bekämen oder ihn dann verlören und weggesperrt gehörten.
Das Asylrecht sieht Ausschlussgründe für Schutz in Deutschland vor, zum Beispiel Kriegsverbrechen. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich in ihrem „Sicherheitspaket“ vorgenommen, diese Liste zu erweitern unter anderem um antisemitischen Straftaten.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, betonte, der Flug dürfe kein Einzelfall bleiben. „Es muss der erste Fall einer Reihe von Abschiebungen sein. Auch Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan und Syrien dürfen kein Tabu sein.“
Experte fürchtet Ausweitung der Abschiebe-Praxis
Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig befürchtet, dass die Abschiebungen künftig auch auf Afghanen ausgeweitet werden könnten, die nicht zu schweren Straftätern und Gefährdern zählen. Unklar sei auch, wie die in Afghanistan regierenden Taliban mit den abgeschobenen Männer verfahren, und ob sie etwa in Haft gelangen.
„Manche abgelehnte Afghanen könnten abgeschoben werden, bevor sie auch nur die Chance hatten, dagegen zu klagen“, sagte Ruttig. Die ungewisse Zukunft des Bundesaufnahmeprogramms, das besonders gefährdeten Afghanen Schutz in Deutschland bieten soll, passe „in die politische Atmosphäre der Abwicklung des deutschen Afghanistan-Engagements“, kritisierte der Experte weiter.
Kritik auch von Menschenrechtlern
Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, zeigte sich alarmiert: „Menschenrechte haben wir alle - und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht“, teilte Duchrow mit. Außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Folter seien unter den Taliban an der Tagesordnung. Die Regierung riskiere, „sich zur Komplizin der Taliban zu machen“.