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SPD-Ministerpräsident

Schlafstörungen: Was Stephan Weil zu seinem Rücktritt bewegt

Olaf Lies (rechts) galt seit jeher als Kronprinz von Ministerpräsident Stephan Weil (beide SPD).

Olaf Lies (rechts) galt seit jeher als Kronprinz von Ministerpräsident Stephan Weil (beide SPD). Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Nach zwölf Jahren im Amt hört Niedersachsens Regierungschef entkräftet vorzeitig auf. „Prinz Charles“ soll übernehmen - oder muss es Neuwahlen geben?

Von dpa Dienstag, 01.04.2025, 17:05 Uhr

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Hannover. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil begründet seinen Rückzug mit persönlichen Motiven. „Ich bin 66 Jahre alt – und ich merke das auch“, sagte der SPD-Politiker in Hannover. Er spüre eine Veränderung bei sich im Vergleich zu den Vorjahren. Den jüngsten Bundestagswahlkampf etwa habe er als besonders kraftraubend empfunden, zudem leide er unter Schlafstörungen. „Ich habe den Eindruck, es ist Zeit, kürzerzutreten.“

In den vergangenen Jahren hatte Weil mehrfach beteuert, er wolle bis zur nächsten Landtagswahl im Amt bleiben, solange seine Gesundheit es zulässt. Die nächste Niedersachsen-Wahl findet voraussichtlich im Herbst 2027 statt.

Als designierten Nachfolger stellte Weil den bisherigen Wirtschaftsminister Olaf Lies vor. Seinen Rücktritt werde er am 20. Mai erklären, sagte Weil.

Lies: „Neuwahlen sind überhaupt kein Thema“

Der Rückzug des 66-Jährigen ist für die SPD in Niedersachsen eine Zäsur: Weil ist bereits seit Anfang 2012 SPD-Landeschef und seit Anfang 2013 Ministerpräsident. Weil ist damit der drittdienstälteste Regierungschef hinter Reiner Haseloff (CDU/Sachsen-Anhalt) und Winfried Kretschmann (Grüne/Baden-Württemberg). Zuvor war er von 2006 bis 2013 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover.

Spekulationen, Weil könnte das Amt als Regierungschef vorzeitig übergeben, um seinem Nachfolger vor der nächsten Landtagswahl einen Amtsbonus zu verschaffen, hatte es seit Jahren gegeben. Weil wies die Gerüchte aber lange zurück. Sollte seine Gesundheit es zulassen, wolle er bis 2027 im Amt bleiben, sagte er mehrfach. Die CDU warf ihm deshalb vor einigen Tagen schon vorsorglich einen Wortbruch vor, sollte er sich trotzdem zurückziehen.

Weil müsse entweder zu seinem Wort stehen und bis 2027 im Amt bleiben – „oder aber Sie machen den Weg frei für Neuwahlen“, forderte Niedersachsens CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner im Landtag.

Dem widersprach Olaf Lies am Dienstag. „Neuwahlen sind überhaupt kein Thema“, sagte er. Die aktuelle Legislaturperiode der rot-grünen Koalition werde fortgeführt.

Ein Wechsel an der Regierungsspitze sei in Ordnung, solange man demokratisch damit umgehe und den Wechsel erkläre, sagte Lies. Sein Ziel für die nächsten zweieinhalb Jahre sei: „Menschen wieder davon zu überzeugen, dass Demokratie etwas Gutes ist und bewegt.“ Er wolle die demokratischen Kräfte einen und gesellschaftliche Herausforderungen im Miteinander der Demokraten angehen – auch im Parlament. „Das ist mein großer Wunsch“, sagte Lies.

„Prinz Charles von der Leine“

Schon 2011 wollte Lies niedersächsischer Ministerpräsident werden – doch den Weg versperrte ihm damals ausgerechnet der Mann, der ihn jetzt in die Staatskanzlei hievt: Stephan Weil.

Die Wurzeln der Amtsübergabe liegen in einem SPD-Mitgliederentscheid im November 2011. Vor der Landtagswahl 2013 ließen die Sozialdemokraten ihre Mitglieder abstimmen, wer den damaligen Regierungschef David McAllister von der CDU herausfordern sollte. Der redegewandte SPD-Landesvorsitzende Lies, ein Menschenfänger und Umarmer - oder doch der erfahrenere, aber auch blassere Jurist Weil als Oberbürgermeister von Hannover?

Weil und Lies unterschieden sich bislang in ihrem staatsmännischen Auftreten.

Weil und Lies unterschieden sich bislang in ihrem staatsmännischen Auftreten. Foto: Sina Schuldt/dpa

Weil setzte sich durch, allerdings knapp, mit 53 zu 46 Prozent. Er übernahm die Spitzenkandidatur, den Landesvorsitz, den bis dahin Lies innegehabt hatte, und wurde zum Ministerpräsidenten gewählt. Lies blieb jedoch an seiner Seite – im Schatten von Weil zwar, doch immer auch als potenzieller Kronprinz. Oder, wie die „taz“ es formulierte: als „Prinz Charles von der Leine“.

Zwei Esel, drei Hunde, zwei Minischweine

In allen drei Regierungen von Weil war Lies ein wichtiger Teil des Kabinetts: erst als Wirtschaftsminister, dann als Umweltminister, und seit 2022 erneut als Wirtschaftsminister.

Ein echter Neuanfang ist der Wechsel zu Lies also nicht. Ein anderer Typ als Weil ist der gelernte Elektroingenieur aber schon, eher Typ Menschenfreund denn Bürokrat.

Der Friese wurde in Wilhelmshaven geboren und lebt bis heute nicht weit davon entfernt in Sande. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter – und viele Tiere: Hühner, Katzen, zwei Göttinger Minischweine, zwei Esel und drei Hunde, wie die „Hannoversche Allgemeine“ berichtete. Zur Politik kam Lies über die Gewerkschaftsarbeit. SPD-Mitglied ist er seit 2002, 2008 wurde er Landtagsabgeordneter.

2019 hätte Lies die Politik fast verlassen

Einmal wäre der ungeschriebene Plan vom Wechsel in die Staatskanzlei fast zerplatzt: Im Sommer 2019 hatte Lies ein hoch dotiertes Angebot des Energie-Lobbyverbands BDEW vorliegen, neuer Hauptgeschäftsführer zu werden – und kam ins Grübeln. Weil sagte zu der Episode später, Lies habe sich „aus freien Stücken und aus guten Gründen“ für einen Verbleib in Niedersachsen entschieden. Möglich, dass Weil ihm damals die Amtsübergabe versprach.

Lies blieb, meldete öffentlich keine anderweitigen Ansprüche mehr an und behielt dennoch großen Einfluss innerhalb der Partei. So war der mittlerweile 57-Jährige gerade erst an den laufenden Koalitionsverhandlungen im Bund als Leiter der SPD-Arbeitsgruppe für Energie und Klima beteiligt.

Einer der wichtigsten Landesverbände für die SPD

Der Führungswechsel in Hannover fällt für die Sozialdemokraten in eine Zeit des Umbruchs nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl 2025. Parteichef Lars Klingbeil hatte noch am Wahlabend einen Generationenwechsel angekündigt. Erstes Beispiel: die neue Bundestagsvizepräsidentin Josephine Ortleb, 38 Jahre alt.

Nun könnte es auch in Niedersachsen eine Verjüngung geben. Der Landesverband ist nach Nordrhein-Westfalen traditionell einer der mächtigsten in der SPD und prägt die Richtung der Partei maßgeblich mit. Mit Parteichef Klingbeil, Arbeitsminister Hubertus Heil, dem beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius und Generalsekretär Matthias Miersch sind gleich vier Spitzen-Sozialdemokraten hier groß geworden.

Auch bei Wahlen ist Niedersachsen für die SPD eine Bank: Sie schneidet dort regelmäßig besser ab als bundesweit. Bei der Landtagswahl 2022 fuhr sie mehr als 33 Prozent ein - Werte, von denen die SPD im Bund nur noch träumen kann. Weil agierte dabei häufig als Brückenbauer zwischen der Landes- und Bundespolitik, auch wenn er keine Führungsrolle in der Bundes-SPD hat.

Krisenmanager Weil war eine Konstante in unruhigen Zeiten

Das SPD-Kalkül der Machtübergabe in Hannover lautet: Lies soll einen Amtsbonus bekommen, bevor voraussichtlich im Herbst 2027 der Landtag neu gewählt wird.

Die Nachfolge von „Landesvater“ Weil als Ministerpräsident anzutreten, wird für Lies dennoch eine Herausforderung. Denn Weil war in der Partei unangefochten – und mit seiner ruhigen, bodenständigen Art bei den Wählern in Niedersachsen ein Sympathieträger. Mit seiner Beliebtheit hat er mit dafür gesorgt, dass die SPD im Land zuletzt immer besser abgeschnitten hat als bundesweit.

In einer Zeit globaler Krisen und Veränderungen war der Krisenmanager Weil eine Konstante: angefangen mit den Nachwirkungen der Finanzkrise über die rasant gestiegenen Flüchtlingszahlen und die Klima-Demonstrationen bis hin zur Corona-Pandemie und den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Opposition sieht Weil in Mitverantwortung für die VW-Krise

Während andere in dieser Zeit auf markige Sprüche und Alleingänge setzten, suchte Weil stets den Konsens und den Kompromiss, auch parteiübergreifend. Exemplarisch für seinen Politikstil ist der sogenannte „Niedersächsische Weg“, ein Abkommen für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft, für das die Regierung Weil Bauernvertreter und Umweltschützer an einen Tisch holte – übrigens auch unter Mitwirkung des damaligen Umweltministers Lies.

Weils Nebenamt als VW-Aufsichtsrat verlief derweil turbulent: Die Dieselaffäre bei Volkswagen brachte den Autoriesen über Jahre in Verruf – der Landeskasse aber immerhin eine Bußgeldzahlung von einer Milliarde Euro ein.

Die aktuelle Flaute bei VW trübt jedoch auch die Stimmung in Niedersachsens Wirtschaft insgesamt. Hustet VW, hat Niedersachsen eine Grippe, heißt es. Nach Ansicht der Opposition trägt Weil als langjähriger Aufsichtsrat dafür angesichts des in dieser Zeit beschlossenen Fokus auf Elektromobilität eine Mitverantwortung. Das Land hält 20 Prozent der Stimmrechte im VW-Konzern.

Wäre Weil die gesamte Wahlperiode über Regierungschef geblieben, hätte er den Rekord von Ernst Albrecht (CDU) für die längste Amtszeit eines Ministerpräsidenten in Niedersachsen knapp überbieten können. Albrecht - der Vater von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - regierte das Land von 1976 bis 1990.

Ein Überblick über seine Vorgänger:

1946 bis 1955: Hinrich Wilhelm Kopf (SPD)

1955 bis 1959: Heinrich Hellwege (DP)

1959 bis 1961: Hinrich Wilhelm Kopf (SPD)

1961 bis 1970: Georg Diederichs (SPD)

1970 bis 1976: Alfred Kubel (SPD)

1976 bis 1990: Ernst Albrecht (CDU)

1990 bis 1998: Gerhard Schröder (SPD)

1998 bis 1999: Gerhard Glogowski (SPD)

1999 bis 2003: Sigmar Gabriel (SPD)

2003 bis 2010: Christian Wulff (CDU)

2010 bis 2013: David McAllister (CDU)

seit 2013: Stephan Weil (SPD)

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Anna-Luise Wiedemann
01.04.202510:19 Uhr

Um es gleich vorweg zu nehmen - ich gehöre keiner Partei an! Einmal die Haeme und Unfairness zu erfahren : reicht. Unseren Ministerpräsidenten habe ich , ob seiner -nach außen hin - Ruhe und Besonnenheit immer bewundert. Er wird schwerwiegende Gründe haben jetzt doch nicht wieder fürs Amt anzutreten. Ihm nunmehr " Wortbruch usw " vorzuwerfen das ist gemein und nicht gerade christlich. Ich möchte Herrn Weil alles Gute wünschen dürfen.

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