Prozess gegen Todesfahrer von Magdeburg beginnt
Der Täter war gleich nach der Tat festgenommen worden. (Archivbild) Foto: Hendrik Schmidt/dpa
Der Anschlag dauert gut eine Minute. Sechs Menschen sterben, über 300 werden verletzt. Fast ein Jahr später steht der Täter vor Gericht - in einem der größten Prozesse der Nachkriegsgeschichte.
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Magdeburg. Fast elf Monate nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt kommt der 51 Jahre alte Todesfahrer vor Gericht. Die Anklage wirft Taleb al-Abdulmohsen unter anderem Mord an sechs Menschen und versuchten Mord in 338 Fällen vor. Rund 180 Betroffene und Hinterbliebene treten als Nebenkläger auf, vertreten durch etwa 40 Anwälte. Es ist eines der größten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte. Damit alle Betroffenen teilnehmen können, wurde eigens ein Interims-Gerichtsgebäude errichtet.
Die Tat - Eine Minute und vier Sekunden
Am 20. Dezember 2024 fährt der damals 50 Jahre alte Taleb al-Abdulmohsen mit einem 340 PS starken Mietwagen über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Seine Fahrt dauert laut Generalstaatsanwaltschaft Naumburg eine Minute und vier Sekunden. Mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde ist er zwischen Marktbuden unterwegs, Tempo 27 wurde als Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt.

Der Todesfahrer war mit bis zu 48 Stundenkilometern über den Weihnachtsmarkt gerast. (Archivbild) Foto: Heiko Rebsch/dpa
Der Täter konnte zwischen einer Fußgängerampel und einer Betonblocksperre auf den Weihnachtsmarkt gelangen. Die fehlerhaft positionierten Betonblöcke und die ungesicherten Lücken spielen später in der Aufarbeitung in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine wichtige Rolle. Gleich nach der Tat wird al-Abdulmohsen festgenommen und kommt in U-Haft. Gutachten zeigen später, dass er nicht unter Einfluss von Alkohol oder Drogen stand.
Die Opfer
Bei dem Anschlag werden sechs Menschen getötet: fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren sowie ein neunjähriger Junge. Zudem werden mehr als 300 Menschen verletzt oder traumatisiert. Sie kommen nicht nur aus Sachsen-Anhalt. Unter den Betroffenen des Anschlags sind nach Angaben des Bundesopferbeauftragten Menschen aus fast allen Bundesländern. Einige kommen auch aus dem Ausland wie etwa Spanien, USA und Großbritannien.

Für den Prozess wurde ein Interims-Gerichtsgebäude errichtet. (Archivbild) Foto: Jan Woitas/dpa
Die Opfer und Hinterbliebenen haben das Recht, als Nebenkläger am Prozess teilzuhaben. So können sie etwa Fragen stellen und am Ende auch einen Strafantrag stellen. Die Nebenkläger können zu den Verhandlungstagen kommen, sie müssen es aber nicht.
Der Angeklagte
Taleb al-Abdulmohsen stammt aus Saudi-Arabien. Vor der Todesfahrt war er im Maßregelvollzug in Bernburg (Salzlandkreis) als Arzt tätig. Sein Aufgabengebiet umfasste die psychiatrische Betreuung von Straftätern auf drei Stationen. Anfang Februar war bekanntgeworden, dass sich ein Kollege ein paar Monate vor dem Anschlag Sorgen um die Verfassung von al-Abdulmohsen machte und diese Hinweise auch an Vorgesetzte weitergab.
Auch mehrere Sicherheitsbehörden befassten sich immer wieder mit dem Angeklagten - er war aber als Gegner von Islamisten letztlich durch alle Raster gefallen.
Nach Deutschland war al-Abdulmohsen im Jahr 2006 gekommen, um hier die Facharztausbildung zu absolvieren. Nach seiner Ausbildung beantragte er im Februar 2016 Asyl und erhielt im Juli desselben Jahres Asyl als politisch Verfolgter.
Der Prozess
Das Landgericht Magdeburg hat bis zum 12. März 2026 zunächst knapp 50 Verhandlungstage angesetzt. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Dirk Sternberg verhandelt zwei bis drei Tage pro Woche, mit einer Pause um den Jahreswechsel. Weitere Termine sind möglich.
Zwischenzeitlich stand noch infrage, ob tatsächlich das Landgericht zuständig sein würde. Es legte das Verfahren zunächst dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe zur Strafverfolgung vor, da es der Überzeugung war, dass es sich um ein Staatsschutzverfahren handelt. Anfang Oktober lehnte der Generalbundesanwalt die Übernahme jedoch ab. Die Behörde geht davon aus, dass der Beschuldigte „aus persönlicher Frustration“ gehandelt hat.

Für den Prozess ist ein Interims-Gerichtsgebäude errichtet worden. (Archivbild) Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Das Gerichtsgebäude
Für den Prozess ist ein spezielles Interims-Gerichtsgebäude in Leichtbauweise errichtet worden – allen Betroffenen soll so Gelegenheit gegeben werden, das Verfahren persönlich zu verfolgen. Die Dimension ist riesig: Der Verhandlungssaal ist 65 Meter lang und 30 Meter breit. Er bietet Platz für etwa 450 Nebenkläger und Nebenklagevertreter und hat 200 Plätze für Zuschauer und Medienvertreter. Das Land Sachsen-Anhalt mietet das Gebäude für die Prozessdauer und rechnet mit Kosten im mittleren einstelligen Millionenbereich.