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Urgestein

Seit mehr als 50 Jahren beim Landkreis – und keine Lust auf Rente

Mit der Adler-Schreibmaschine fing alles an: Seit mehr als 50 Jahren arbeitet Monika Siegel in der Kreisverwaltung.

Mit der Adler-Schreibmaschine fing alles an: Seit mehr als 50 Jahren arbeitet Monika Siegel in der Kreisverwaltung. Foto: Landkreis Stade/Nina Dede

Als sie beim Landkreis anfing, war Willy Brandt Bundeskanzler und das Stader Akw ging ans Netz. Seit 1972 arbeitet Monika Siegel in der Kreisverwaltung, bis heute - dabei war sie schon in Rente.

Von Redaktion Sonntag, 27.10.2024, 13:06 Uhr

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Landkreis. Die Finger fliegen über die Tasten, es klappert, dann macht es pling: Monika Siegel schreibt auf der alten Adler-Schreibmaschine fast so schnell wie vor 52 Jahren - damals, als sie 1972 ihre Ausbildung zur Bürogehilfin begann. Sie hat den Wandel der Stader Kreisverwaltung miterlebt.

Nur den Beginn ihrer Ausbildung absolvierte Monika Siegel beim Landkreis Grevenbroich südlich von Düsseldorf, dann zogen die Eltern nach Stade, wo die damals 15-Jährige ihre Lehre beim Landkreis Stade fortführen durfte.

Dem Ordnungsamt des Landkreises Stade blieb die dann ausgelernte Bürogehilfin und Stenotypistin stets treu, erinnert sich die 66-Jährige, deren Aufgaben einst weniger streng abgegrenzt waren: „Ich habe zum Beispiel Hunderte Waffenbesitzkarten neu geschrieben oder die Ausländerbehörde unterstützt.“ 1978 wurde sie dann fest der Ausländerbehörde zugewiesen.

Die Hierarchie war damals klar geregelt

Damals bestand die Ausländerbehörde aus einem Abteilungsleiter und drei Bürogehilfinnen. Die Hierarchie war klar geregelt. Die Frauen arbeiteten den Beamten zu: „Wir griffen zum Stenoblock, die Beamten diktierten.“ Das Miteinander war dennoch herzlich. Die Kolleginnen und Kollegen kannten sich alle, Bekanntschaften und auch Freundschaften entstanden, Geburtstage und Hochzeiten wurden gemeinsam gefeiert.

So ausgelassen es mitunter im Privaten war, um so disziplinierter ging es in der Kreisverwaltung zu. „Eine Stechuhr brauchten wir unter dem einstigen Oberkreisdirektor Thassilo von der Decken nicht. Außerdem hatte die Erreichbarkeit oberste Priorität“, berichtet Monika Siegel. Der Jurist von der Decken führte den Landkreis Stade von 1956 bis 1977.

Ende der 1970er kamen die Flüchtlinge aus Vietnam

Ein Jahr später, Ende 1978, kamen die ersten sogenannten Boat People in Deutschland an. Knapp 1,5 Millionen Menschen flüchteten vor der Gewalt und dem kommunistischen Regime in Vietnam. Auch im Landkreis Stade suchten Geflüchtete Schutz. Seitdem hat Monika Siegel mehrere Flüchtlingswellen erlebt: „Ich bin immer gut mit meinen Ausländerinnen und Ausländern ausgekommen. Unangenehme Situationen habe ich nur ganz, ganz wenige erlebt.“

Manches Ritual pflegte sie mit ihren Kundinnen und Kunden: „Erst habe ich mit einem Kapitän aus Drochtersen, der circa jedes halbe Jahr in die Ausländerbehörde kam, eine Zigarette geraucht, wir haben ein wenig über die Familie geplaudert und erst danach ging es dann ans Geschäftliche.“ Offensichtlich hat sich nicht nur die Technik geändert, sondern auch der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Schon seit vielen Jahren wird in der Kreisverwaltung nicht mehr geraucht.

Computer und E-Mails ersetzten Telex

Und seit noch mehr Jahren wird nicht mehr Telex verwendet, das auch Fernschreiben genannt wird. Mit dem System wurden Textnachrichten über ein Telekommunikationsnetz übermittelt, das mit dem Telefonnetz vergleichbar ist. Vor allem Behörden nutzten Telex, selbstverständlich auch Monika Siegel. Später zogen Fax und Computer samt Diskette in die Amtsstuben ein.

Heute arbeitet Monika Siegel selbstverständlich mit PC und E-Mails; aus der Bürogehilfinnentätigkeit ist eine Sachbearbeitertätigkeit geworden: „Es hat sich sehr viel geändert. Manches davon war eine Herausforderung.“ Heute setzt die Staderin auf einen Mix: Neben den Computerprogrammen nutzt sie weiterhin einen Papierkalender und Klebezettel.

2022 geht Monika Siegel in Rente - und kehrt anderthalb Jahre später zurück

Eine vollkommen andere Herausforderung brachte das Jahr 2015 mit sich. In Deutschland wurden mehr als eine Million Geflüchtete registriert, Tausende davon kamen in den Landkreis Stade. Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, löste das eine weitere, innereuropäische Fluchtbewegung aus.

„Ich war wirklich erschöpft und brauchte eine Pause“, erinnert sich Monika Siegel, als sie sich 2022 in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedete. „Nach eineinhalb Jahren hat mir aber zunehmend etwas gefehlt. Ich hatte nichts mehr, über das ich mich aufregen konnte“, sagt die Hobbygärtnerin und lacht.

Sie bereitet jetzt die Einbürgerungen vor

Nach einem zufälligen Treffen mit ihrem ehemaligen Amtsleiter in der Innenstadt war schnell klar: Es geht zurück in die Kreisverwaltung. Seit einem Jahr ist Monika Siegel wieder im Dienst - selbstverständlich im Ordnungsamt. Sie bereitet jetzt die Einbürgerungen vor. Dabei kommt ihr das langjährige Fachwissen in der Ausländerabteilung zugute: „Ich habe die Änderungen des Ausländerrechts jahrzehntelang miterlebt.“ Davon profitiert sie sehr - ebenso wie ihr Team und die Bürgerinnen und Bürger. „Ich mache jetzt aus ‚meinen‘ Ausländerinnen und Ausländern deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Das passt.“ Der berufliche Kreis schließt sich damit.

Endgültig mit dem Berufsleben abschließen will Monika Siegel hingegen längst noch nicht. Vielleicht feiert sie ein weiteres außergewöhnliches Dienstjubiläum. Als sie auf 50 Jahre im öffentlichen Dienst zurückblicken konnte, musste eine Urkunde extra angefertigt werden. Das Land sieht eigentlich solch ein Jubiläum nicht vor. Doch die Zeiten ändern sich eben, während manches nicht in Vergessenheit gerät - wie etwa das Schreiben auf der Adler. (pm/sal)

Hartmut Möller
27.10.202409:47 Uhr

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Andreas Lehmann
26.10.202419:48 Uhr

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