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Wärmster September seit Messbeginn – aber Wirbel um Fake-Video

Der September 2023 war laut vorläufiger DWD-Bilanz auch der zweitsonnigste seit Beginn der Aufzeichnungen. Foto: dpa

Der September 2023 war laut vorläufiger DWD-Bilanz auch der zweitsonnigste seit Beginn der Aufzeichnungen. Foto: dpa

17,2 Grad Durchschnittstemperatur - der erneute Rekord ist laut Deutschem Wetterdienst „ein weiterer Beleg dafür, dass wir uns mitten im Klimawandel befinden”. Im Internet gibt es dagegen Aufregung um die Messmethoden.

Freitag, 29.09.2023, 12:45 Uhr

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Der September 2023 war in Deutschland laut vorläufiger Bilanz des Deutschen Wetterdienstes der wärmste seit Messbeginn 1881. Wie der DWD am Freitag in Offenbach berichtete, gab es „einen bisher in den Annalen der Wetteraufzeichnungen unerreichten Wert”: Das Temperaturmittel betrug 17,2 Grad.

Das waren 3,9 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990. Im Vergleich zur aktuellen und wärmeren Vergleichsperiode 1991 bis 2020 betrug die Abweichung 3,4 Grad. Damit wurden die bisherigen Rekorde aus den Septembermonaten 2006 und 2016 mit jeweils 16,9 Grad deutlich übertroffen.

Der September 2023 war zudem laut vorläufiger Bilanz auch der zweitsonnigste seit Beginn der Aufzeichnungen. Gleichzeitig war es „erheblich zu trocken”, wie der DWD nach ersten Auswertungen der Ergebnisse seiner rund 2000 Messstationen meldete.

Viele Sommertage mit mehr als 25 Grad

In Niedersachsen wurden im September mehr heiße Tage verzeichnet als in den einzelnen Sommermonaten Juni, Juli und August zuvor. In Barsinghausen-Hohenbostel, am Höhenzug Deister, wurde an sieben Tagen die 30-Grad-Marke überschritten. Bis zum Monatsende konnte eine außergewöhnlich hohe Temperatur von durchschnittlich 17,3 Grad ermittelt werden. Mit 43 Litern pro Quadratmeter war Niedersachsen aber das zweitnasseste Bundesland. Die Septembersonne zeigte sich mit 220 Stunden extrem häufig.

„Die außergewöhnlichen Temperaturen im diesjährigen Rekord-September in Deutschland sind ein weiterer Beleg dafür, dass wir uns mitten im Klimawandel befinden”, sagte Tobias Fuchs, Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt beim DWD.

Ausschlaggebend für den deutschen Rekord waren viele Sommertage mit mehr als 25 Grad. Am Nordrand der Mittelgebirge, wie in Barsinghausen-Hohenbostel südwestlich von Hannover und in Huy-Pabstorf westlich von Magdeburg, wurde erstmals an sieben Tagen die 30-Grad-Marke gerissen. In Waghäusel-Kirrlach am Oberrheingraben wurde es am 12. September mit 33,3 Grad auch am heißesten.

Rund 32 Liter pro Quadratmeter

Dafür fiel im September mit rund 32 Litern pro Quadratmeter nur etwas mehr als die Hälfte des Niederschlags der Referenzperiode 1961 bis 1990. Im Vergleich zu 1991 bis 2020 erreichte die Menge ebenfalls knapp die Hälfte des Solls. Die stärksten Niederschläge wurden im Westen und entlang der Alpen beobachtet. Beckum-Vellern im südöstlichen Münsterland meldete am 12. September mit 102,6 Litern pro Quadratmeter den höchsten Tagesniederschlag.

Mit rund 246 Stunden übertraf dagegen der Sonnenschein im September sein Soll von 150 Stunden (Periode 1961 bis 1990) um fast 65 Prozent. Im Vergleich zu 1991 bis 2020 (157 Stunden) betrug das Plus etwa 57 Prozent. Der September 2023 war damit laut DWD nach 1959 der zweitsonnigste.

Wirbel um Stadtklimamessungen fließen nicht in Durchschnittstemperatur ein

Auch wenn in der Wissenschaft beim Thema Klimawandel und Erderwärmung sowie bei deren katastrophalen Folgen weitgehende Einigkeit herrscht, halten viele Menschen das Thema nach wie vor für überdramatisiert - oder gar systematisch gefördert. Derzeit kursiert ein Video in den sozialen Medien, dass insbesondere dem Deutschen Wetterdienst (DWD) vorwirft, Wetterstationen zunehmend in Städte zu verlegen, in denen es wärmer ist als auf dem Land. So solle angeblich ein Temperaturanstieg über die Jahre künstlich erzeugt oder verstärkt werden. Dieser Faktencheck überprüft, was an der Behauptung dran ist.

Bewertung: Durch den Aufbau eines Stadtklimamessnetzes gibt es zwar mehr innerstädtische Messstationen als früher. Deren Daten fließen jedoch nicht in die Berechnung des deutschlandweiten Temperaturmittelwertes ein. Dessen Berechnungsverfahren ist zudem so konzipiert, dass der Einfluss von Veränderungen im Messnetz minimiert wird.

Fakten: Auf die Frage, ob es eine Entwicklung hin zu mehr städtischen Wetterstationen gibt, hat Felix Ament vom meteorologischen Institut der Universität Hamburg eine klare Antwort: „Nein, diese Entwicklung gibt es nicht.“ Eine solche Entwicklung würde gegen die von der World Meteorological Organization (WMO) aufgestellten Standards guter wissenschaftlicher Praxis oder Regeln verstoßen, so Ament. Der DWD habe kein Interesse daran, seine Wetterstationen in Richtung Städte zu verlagern.

Das Stadtklimamessnetz des DWD

Eine Erklärung, wie die Macher des Videos auf ihre These mit den falschen Schlüssen kommen, gibt es dennoch: Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur teilt DWD-Sprecher Uwe Kirsche mit, dass der DWD seit einigen Jahren ein sogenanntes Stadtklimamessnetz betreibt, „um den städtischen Wärmeinseleffekt genauer beschreiben und quantifizieren zu können.“ Diese Stationen seien jedoch nicht Teil des offiziellen DWD-Messnetzes, ihre Daten fließen also „nicht in die Berechnung der Gebietsmittel der Temperaturen der Bundesländer und Deutschland mit ein.“ Zudem werde bei Veröffentlichung der in den städtischen Stationen erworbenen Daten explizit darauf hingewiesen, dass sie nicht repräsentativ sind. Beispielsweise die bekannten Rekordwerte werden demnach nicht in Städten, sondern in „freier Lage“ erhoben.

Meteorologe Ament von der Uni Hamburg erklärt: „Es gibt dieses eigene Messnetz, weil man aufgrund der Regeln der WMO bisher in Städten umgekehrt blind war. Wenn also jemand den Vorwurf machen würde, wir messen zu wenig in Städten, dann würde ich dem viel eher zustimmen.“ Wegen dieses Mangels habe der DWD die städtischen Stationen aufgebaut. „Aber natürlich werden die nicht einfach so mit allen anderen Stationen in einen Topf gerührt und man bildet dann einfach nur stumpf einen Mittelwert“, betont Ament. Generell berechne man alle möglichen Gründe für Temperaturunterschiede mit ein, wie beispielsweise Höhenunterschiede.

Teils sei sogar eher das Gegenteil von den im Video getätigten Behauptungen der Fall: Stationen in Innenstädten werden laut DWD in Folge von zunehmender Bebauung immer häufiger ins Umland oder in die Peripherie der Städte verlegt, um aussagekräftigere Ergebnisse zu erhalten. Generell widerspricht Kirsche den Behauptungen im Video eindeutig: „Weder reduziert der DWD systematisch sein Messnetz, noch werden Stationen gezielt an „kalten“ Standorten stillgelegt.“

Das Berechnungsverfahren für den deutschlandweiten Temperaturmittelwert sei so konzipiert, dass der Einfluss von Veränderungen im Messnetz - wie beispielsweise die Anzahl der Klimastationen - minimiert wird, betont der Presseleiter des DWD. Natürlich komme es zu Verschiebungen von Stationen, wenn über Zeiträume von Jahrzehnten Wetterdaten erhoben werden. Die dabei entstehenden Abweichungen werden laut Kirsche „sorgfältig mit wissenschaftlichen Methoden nach internationalen Standards korrigiert.“ Für den Zeitraum 1881 bis 2022 ergibt sich ein Temperaturanstieg von 1,7 Grad Celsius.

Wärmeinsel-Effekt in Städten

Wie im Video korrekt dargestellt wird, ist es in dicht bebauten Städten oft wärmer als in ländlichen Gebieten. Man spricht dabei oft vom Wärmeinsel-Effekt, der sich vor allem im Sommer zeigt. Laut dem 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) ist dieser Effekt vor allem der dichten Bauweise, den sich leichter aufheizenden Oberflächen und der zusätzlichen Wärme durch Heizungen, Klimaanlagen, Industrie und Verkehr in der Stadt zuzuschreiben. Diesen Effekt erforscht der DWD durch das Stadtklimamessnetz.

Dass sich Meteorologen diesen Effekt angeblich zunutze machen, um den Klimawandel zu dramatisieren, hält Ament für Unfug: „Was hinter solchen Videos steckt, ist ja immer wieder der Zweifel, ist der Klimawandel denn jetzt real, gibt es den wirklich?“. Das sei die Grundhypothese, auf der das Video beruhe. Und diese sei falsch, denn: „Der Klimawandel ist so schlimm wie eh und je. Und selbst, wenn es mal ein kühlerer Sommer war, wird er nicht weniger schlimm.“

„Den Klimawandel live erleben”

Schon Ende August hatte der DWD eine vorläufige Sommer-Bilanz veröffentlicht. Der Sommer 2023 reiht sich demnach ein in die Serie zu warmer Sommer in Deutschland. Mit einer Durchschnittstemperatur von 18,6 Grad lag er nach vorläufigen Ergebnissen um 2,3 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990. Das jedenfalls war der Stand nach der Auswertung der rund 2000 Messstationen für die Monate Juni bis August.

Eine endgültige Bilanz will der DWD im Oktober vorlegen. Die Tendenz ist aber schon jetzt klar: „Seit nun 27 Jahren werden in Deutschland zu warme Sommer gemessen”, sagte DWD-Sprecher Uwe Kirsche anlässlich der vorläufigen Sommerbilanz am 30. August. „Wieder können wir den Klimawandel live erleben.”

Eine weitere Besonderheit dieses Septembers: Vor allem über der Nordhälfte konnten in der Nacht zum 25. imposante Polarlichter beobachtet werden. (dpa)

 

Der September 2023 war laut vorläufiger DWD-Bilanz auch der zweitsonnigste seit Beginn der Aufzeichnungen.

Der September 2023 war laut vorläufiger DWD-Bilanz auch der zweitsonnigste seit Beginn der Aufzeichnungen.

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