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Niedersachsen

Wirbel um VW-Posten der Grünen-Ministerin

Julia Willie Hamburg (Grüne) soll neben Ministerpräsident Stephan Weil künftig den VW-Konzernchefs auf die Finger schauen. Foto: dpa

Julia Willie Hamburg (Grüne) soll neben Ministerpräsident Stephan Weil künftig den VW-Konzernchefs auf die Finger schauen. Foto: dpa

Autobauer und Bundesland sind in Niedersachsen eng verbunden. Immer wieder löst diese ziemlich einmalige Konstellation Ärger aus. Jetzt droht bei der Personalie Julia Willie Hamburg sogar eine Klage.

Freitag, 11.11.2022, 06:30 Uhr

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Von Lars Laue

Als SPD und Grüne in Niedersachsen ihren Koalitionsvertrag präsentierten, war eine der ersten Fragen der Journalisten die nach den Posten im VW-Aufsichtsrat: Der Autobauer und das Bundesland sind eng verbunden, 20 Prozent der Stimmrechte besitzt Niedersachsen an dem Weltkonzern mit Sitz in Wolfsburg.

Immer wieder löst diese ziemlich einmalige Konstellation Ärger aus. Jetzt trifft es Bildungsministerin Julia Willie Hamburg. Die Grünen-Politikerin soll neben Ministerpräsident Stephan Weil künftig den VW-Konzernchefs auf die Finger schauen. Grünen-nahe Kreise bewerten das als Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins der Partei, mitgestalten zu wollen.

Bereits im vergangenen Jahrzehnt, als der VW-Skandal um gefälschte Abgaswerte hochkochte und Volkswagen in eine veritable Existenzkrise rutschte, meldeten die Grünen Ansprüche auf den Posten an. Der Tenor: Mit uns im Aufsichtsrat wäre das so nicht passiert. Damals regierten die Grünen in Niedersachsen zwar auch, hatten aber beide Posten an den Koalitionspartner SPD abgetreten.

Dieses Mal wird es anders sein. Kritiker verweisen darauf, dass Hamburg weder ein Auto besitzt noch eine einschlägige berufliche Qualifikation aufzuweisen hat, die zur Kontrolle des VW-Konzerns qualifiziert.

Kultusministerin Hamburg in VW-Aufsichtsrat: Klage angekündigt

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) erwägt gar eine Klage gegen die Besetzung. Im Gespräch mit unserer Redaktion verwies Präsident Ulrich Hocker auf einen Präzedenzfall aus den 90ern.

Damals musste der schleswig-holsteinische Energieminister Günther Jansen (SPD) seinen Aufsichtsratsposten bei den „Hamburger Electrizitätswerken“ (HEW) nach einer höchstrichterlichen Entscheidung räumen. Der Grund: Jansen war bekennender Atomkraftgegner, die HEW bezogen aber einen großen Teil ihrer Energie aus Kernkraft.

Minister Lies: Grünen-Politikerin wird bei VW "guten Job machen"

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies, der für den Sitz im VW-Aufsichtsrat ebenfalls ein Kandidat gewesen wäre, verteidigt die Personalentscheidung. Der SPD-Politiker ist überzeugt: „Julia Willie Hamburg wird hier einen guten Job machen.“

Der VW-Konzern selbst verkneift sich auf Nachfrage einen Kommentar zu seinem neuen Aufsichtsratsmitglied, das ebenfalls schweigt. Ein Sprecher aus dem Kultusministerium von Julia Hamburg bügelt die Bitte um ein Statement der Ministerin ab mit dem Hinweis, für Fragen nach VW sei die Staatskanzlei zuständig. Doch auch im Haus von Ministerpräsident Weil verhallt die Anfrage unserer Redaktion.

Als Grüne mit Vorbehalten gegenüber dem Autoverkehr mit Verbrennermotor?

Hat Hamburg Interessenkonflikte? Als explizite Gegnerin von Autos hat sie sich in der Vergangenheit jedenfalls nicht profiliert. Hamburg selbst besitzt zwar nach eigenem Bekunden kein Auto. Aber Pkw-Verkehr lehnte sie bislang nicht grundsätzlich ab.

Ziele ihrer Partei indes könnten dem Interesse des Konzerns zuwiderlaufen, etwa ein früheres Aus für Verbrennungsmotoren. Oder eine Abkehr von SUVs. Kritisch für Hamburg könnten auch die Verflechtungen Volkswagens in China sein. Der Autobauer betreibt ein Werk in der Provinz, aus der immer wieder Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf die muslimische Minderheit der Uiguren berichtet werden.

Zudem: Im VW-Aufsichtsrat vertreten ist auch der Golfstaat Katar, dessen Menschenrechtssituation im Zuge der Fußball-WM immer wieder kritisiert wird. Auch darauf verweisen Grünen-Politiker derzeit besonders häufig. (dpa/mar)

  • Kommentar: Politischem Talent eine Chance geben

Von Lars Laue

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fährt privat einen Volkswagen. Seine Stellvertreterin Julia Willie Hamburg fährt Fahrrad. Die Grünen-Politikerin hat gar kein Auto. Und einen Abschluss hat die 36-Jährige im Gegensatz zum Volljuristen Weil ebenso wenig.

So unterschiedlich die beiden Spitzenpolitiker auch sind, haben sie doch eines gemein: Sie vertreten das Land Niedersachsen im VW-Aufsichtsrat. Dass neben Weil bei VW nicht der Autofan und Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) sitzt, dürfte an einem Deal zwischen den Parteien liegen.

Hamburg wollte eigentlich das Wirtschaftsministerium haben, ist aber neben ihrem Amt als stellvertretende Ministerpräsidentin lediglich Bildungsministerin geworden. Zum Ausgleich gab es dann wohl den Aufsichtsratsposten bei VW.

Ist Hamburg eine Fehlbesetzung, weil sie kein Auto und keinen Abschluss hat? Mitnichten. Hamburg ist ein politisches Talent mit einer schnellen Auffassungsgabe. Geben wir ihr die Chance, sich in die komplexe Materie eines weltweit agierenden Automobilkonzerns einzuarbeiten. Grüne Ideologien wird sie im Aufsichtsrat ohnehin nicht durchboxen können, denn das Gremium ist dem Wohl des Unternehmens verpflichtet.

Insofern ist Julia Willie Hamburg womöglich besser bei VW als an der Spitze eines Ministeriums aufgehoben, das nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Verkehrspolitik in Niedersachsen verantwortlich ist.

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