Wird das Stader LNG-Terminal überflüssig? – Ministerium erklärt sich

Im Herbst 2023 soll der erste Tanker in Stade festmachen und das tiefgekühlte LNG regasifiziert ins deutsche Netz einspeisen. Foto dpa/Szelemej
Flüssigerdgas aus aller Welt soll russisches Gas aus der Pipeline ersetzen helfen. Das Wirtschaftsministerium erklärt, wie es dabei plant - und steckt Kritik ein.
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Beim Bau und der Anmietung von Terminals zum Flüssigerdgas-Import kalkuliert das Bundeswirtschaftsministerium aus Sicherheitsgründen deutlich mehr Kapazitäten als wohl benötigt ein. Das geht aus einem Bericht des Ministeriums an den Haushaltsausschuss im Bundestag hervor. Mit den bisher vorhandenen Terminals in Wilhelmshaven und Lubmin und den geplanten Projekten in Stade und Brunsbüttel geht das Ministerium von einem Sicherheitspuffer von jährlich mehr als 30 Milliarden Kubikmetern ab 2027 aus.
Kritiker sehen das nicht als Beitrag zur Sicherheit der deutschen Energieversorgung, sondern sprechen von Überkapazitäten.
Ende dieses Jahres soll das schwimmende LNG-Terminal (FSRU) am neuen Elbanleger in Stade-Bützfleth andocken, das tiefgekühlte, flüssige Import-LNG zurück in Gas umwandeln und ins deutsche Netz einspeisen. Fünf Milliarden Kubikmeter sollen so zur Verfügung stehen Flüssigerdgas. Zudem wird in Stade ein festes Terminal geplant, das ab 2026/2027 an den Start gehen soll.
Die Hanseatic Energy Hub (HEH) plant dann von Stade aus, pro Jahr gut 13 Milliarden Kubikmeter Gas ins Land zu bringen. Das entspräche etwa 15 Prozent des bundesdeutschen Verbrauchs.
Wirtschaftsministerium plant bei LNG-Importen Puffer ein
Bei der Berechnung des zu erwartenden Gasbedarfs kalkuliert das Ministerium vorsichtig. Man geht im angenommenen Szenario zum Beispiel davon aus, dass Tschechien, die Slowakei, Österreich, die Ukraine und Moldau wegen des Wegfalls russischer Gaslieferungen zunehmend auf LNG-Importe über Deutschland angewiesen sind. Einbezogen werden auch Anstiege im Gasverbrauch bei niedrigen Temperaturen und Pausen für die Wartung der Infrastruktur.
Außerdem will sich das Ministerium gegen einen möglichen Ausfall der wichtigen norwegischen Gaspipeline durch technische Probleme oder Sabotage wappnen. „Wir preisen Risiken ein, planen zur Vorsorge mit Sicherheitspuffern, schaffen Flexibilität und handeln in europäischer Solidarität“, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Kritik an deutschen LNG-Plänen
Die Deutsche Umwelthilfe sprach von „überdimensionierten Planungen“ und fürchtet negative Folgen für den Klimaschutz durch einen höheren Gasverbrauch. Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner erklärte, es sei mit „allerhand hypothetischen Horrorszenarien“ gearbeitet worden. „Gegen jede haushaltspolitische Vorsicht und wissenschaftliche Empfehlungen führender Institute werden damit Milliarden an Steuergeld in überdimensionierte LNG-Infrastruktur investiert, die für unsere Energiesicherheit unnötig ist.“
Auch der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli beklagte: „Auch die aktuelle LNG-Planung bleibt vor lauter Puffern überdimensioniert.“ Es gehe darum, die deutsche Gasindustrie in Konkurrenz zum bereits bestehenden großen Terminal-Angebot in Europa zu stärken.
Nach dem Flüssigerdgas könnte der Wasserstoff-Import kommen
Das Wirtschaftsministerium argumentiert hingegen, falls schwimmende Terminals nicht für den Import benötigt würden, könnten sie als Transportschiffe vermietet werden. Terminals an Land würden so gebaut, dass sie später für die Einfuhr von klimafreundlichem Wasserstoff oder Ammoniak genutzt werden könnten. Diese Bestrebungen gibt es vor allem auch in Stade.
„Die in Deutschland geschaffene LNG-Importinfrastruktur bietet lediglich die Option zur Einfuhr von LNG, sofern der Bedarf besteht“, heißt es in dem Papier des Ministeriums. „Sie ist nicht gleichzusetzen mit tatsächlichen, physischen Importen und Verbräuchen in der Größenordnung der verfügbaren Regasifizierungskapazität.“ Wegen der Versorgungssicherheit werde das Risiko einer Unterauslastung eingegangen. Außerdem seien für den Klimaschutz alle Bestrebungen auf die Senkung des Verbrauchs fossiler Energien ausgerichtet.

Das Spezialschiff "Höegh Esperanza" liegt während der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven vor Anker. Foto: Michael Sohn/AP POOL/AP
Bis 2025 sollen nach aktueller Planung alle fünf vom Bund betriebenen Terminals in Betrieb sein und laut Ministerium bis zu 27 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr umschlagen können. Die Kapazität eines privat betriebenen Terminals in Lubmin soll bis zum kommenden Jahr auf etwa 10 Milliarden Kubikmeter aufgestockt werden.
Wenn alles läuft wie geplant, stiege die LNG-Importkapazität bis 2027 auf etwa 54 Milliarden Kubikmeter im Jahr, wobei noch endgültige Investitionsentscheidungen fehlen. Zum Vergleich: Die russisch-deutsche Pipeline Nord Stream 1 hatte eine Kapazität von jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter. Das Ministerium plant für 2022 bis 2038 mit Kosten für den LNG-Import von rund 9,8 Milliarden Euro.
Netzagentur: Russische Gaslieferungen netto fast kompensiert
Stark angestiegene Gasimporte aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien haben beim Nettogasimport den Wegfall der russischen Gaslieferungen seit Ende August 2022 fast kompensiert. Dies geht aus einem internen Papier der Bundesnetzagentur hervor, das der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegt. Demnach importierte Deutschland von 2017 bis Ende Februar 2022 abzüglich der Exporte monatlich im Schnitt 77,0 Terawattstunden Erdgas, das zur Deckung des nationalen Verbrauchs sowie zur Speicherbefüllung genutzt wurde.
Demgegenüber lag der Nettoimport von September 2022 bis Ende Januar - also ohne russische Gaslieferungen - monatlich bei 72,7 Terawattstunden. Hinzu kamen im Januar rund 4 Terawattstunden Flüssigerdgas aus den neuen LNG-Terminals an den deutschen Küsten. Zur Einordnung der Mengen: Laut Bundesnetzagentur verbrauchte Deutschland im Jahr 2021 rund 1000 Terawattstunden Erdgas.
Rückgang bei den Exporten
Dem Papier zufolge flossen aus Norwegen von 2017 bis Ende Februar 2022 monatlich im Schnitt 26 Terawattstunden Erdgas nach Deutschland. Nach Einstellung der russischen Lieferungen lag diese Menge bei 41 Terawattstunden. Nettoimporte aus den Niederlanden stiegen von 2 auf 25 Terawattstunden. Mit Belgien waren die Gasflüsse vor dem Krieg mit einem monatlichen Volumen von rund 2 Terawattstunden in beide Richtungen im Schnitt ausgeglichen. Seit September flossen jeden Monat rund 23 Terawattstunden Erdgas nur noch in eine Richtung: aus Belgien nach Deutschland.
Aus den Daten geht auch hervor, dass seit September deutlich weniger Erdgas als früher aus Deutschland in andere Länder weitergeleitet wurde. Deutliche Rückgänge gab es etwa bei den Gasflüssen mit der Schweiz, wo von September bis Januar die Importmenge die Exporte in die Schweiz überstieg.
Die Bundesnetzagentur bewertet die Gasversorgung in Deutschland weiterhin als „stabil”. „Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet”, hieß es zuletzt im täglichen Gaslagebericht der Behörde. Entwarnung gibt die Behörde nicht: Die Vorbereitung auf den Winter 2023/2024 sei eine zentrale Herausforderung. Ein sparsamer Gasverbrauch bleibe daher wichtig. (dpa)

Größer als 700 Fußballfelder ist das Gelände der Dow an der Elbe in Stade Bützfleth. Der Standort ist nicht in Gefahr, sagt die Konzernleitung. Foto: Elsen

Auch in Stade soll bis 2026 ein Importterminal für Flüssigerdgas (LNG) entstehen.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies, N-Ports-Chef Holger Banik und Umwelt- und Energieminister Christian Meyer (von links) in Stade. Foto: Strüning