Zähl Pixel
Krise im Wohnungsbau

Ampel setzt Zwangsdämmungen aus – Milliarden für Hausbesitzer

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) bei einer Baustellenbesichtigung. Im Kanzleramt tagt heute der «Wohnungsbaugipfel».

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) bei einer Baustellenbesichtigung. Im Kanzleramt tagt heute der «Wohnungsbaugipfel».

Wie findet Deutschland wieder Wohnraum? Bei einem Krisentreffen diskutiert die Bau- und Immobilienbranche mit Kanzler Scholz. Die Regierung hat einen Plan, den ihr manche gar nicht zugetraut hätten.

Montag, 25.09.2023, 09:15 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Mit einem Konjunkturprogramm für Häuslebauer und die Immobilienwirtschaft will die Bundesregierung die Dauerkrise im Wohnungsbau stoppen. Niedrigere Ökostandards, Steuervorteile, weniger Bürokratie und ein höherer Klimabonus sollen dafür sorgen, dass in Deutschland wieder mehr gebaut wird. Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist positiv überrascht: Das Paket könne tatsächlich etwas bewirken, meint sie. Enttäuscht zeigten sich am Montag dagegen Umwelt- und Sozialverbände.

Warum kommt Deutschland beim Wohnungsbau nicht voran?

Seit Jahren fehlt hierzulande Wohnraum, vor allem in den Ballungsgebieten. Die Preise schossen wegen des geringen Angebots sowohl auf dem Miet- als auch auf dem Kaufmarkt in die Höhe. Die Ampel-Regierung hat sich deshalb vorgenommen, für 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu sorgen. Doch dieses Ziel verfehlt sie seit Jahren.

Inzwischen werden sogar bereits geplante Projekte abgesagt, Familien begraben wegen hoher Kosten den Traum vom eigenen Haus, Firmen gehen pleite. Hauptproblem sind die seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Bauzinsen. Wo vor zwei Jahren noch weniger als ein Prozent verlangt wurde, sind es heute vier. Dazu kommen die hohe Inflation und hohe Materialkosten. Immer weniger Privatleute können sich die eigene Immobilie leisten - und das obwohl die Kaufpreise zuletzt so stark sanken wie noch nie seit dem Jahr 2000.

Wie versucht die Bundesregierung gegenzusteuern?

Sie hat Politiker, Kommunalverbände, Wohnungs- und Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialverbände an einen Tisch geholt. Am Montag traf man sich zum zweiten Mal im Kanzleramt. Zwei Verbände allerdings boykottierten den Krisengipfel aus Enttäuschung über die bisherigen Krisenmaßnahmen.

Was sind das für Krisenmaßnahmen?

Die Bundesregierung, allen voran Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und der für Sanierungen zuständige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), versuchen mit Förderprogrammen für Bauherren und Steuervorteilen für Firmen gegenzusteuern. Vor dem Krisentreffen legten sie ein neues Maßnahmenpaket mit 14 Punkten vor.

Firmen sollen ihre Investitionen durch neue Abschreibungsmöglichkeiten schneller refinanzieren können. Der Klimabonus für den Tausch alter, fossiler Heizungen soll erhöht und auch auf Wohnungsunternehmen ausgeweitet werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht ein Schlüsselinstrument im seriellen Bauen: Ein in einem Landkreis in der Grundstruktur genehmigtes Haus soll auch anderswo ohne große Verfahren so gebaut werden dürfen.

Wie sieht es aus mit Förderung für private Bauherren?

Die Bundesregierung plant eine Reform der Neubauförderung für Familien mit wenig Einkommen. Hier hatte es in den ersten zwei Monaten nur 104 Anträge gegeben. Die Baubranche kritisiert vor allem die Einkommensgrenze von 60.000 Euro. Jetzt soll diese Grenze auf 90.000 Euro angehoben werden. Auch die Kreditsumme wird nach oben gesetzt.

Außerdem soll es ein neues Programm für den Kauf und die Sanierung eines älteren Hauses geben. Details sind dazu aber noch nicht bekannt.

Welche Rolle spielt der Klimaschutz?

Eine entscheidende, denn der Gebäudebereich gehört hier zu den größten Sorgenkindern - wegen fossiler Heizungen, schlechter Dämmung, alter Fenster. Staatliche Förderung ist deshalb in der Regel daran gekoppelt, dass man sein Haus klimafreundlich baut oder saniert. Doch das macht die Vorhaben teuer. Die Bundesregierung rückt deshalb jetzt davon ab, Energiestandards für Neubauten zu verschärfen. Auf den sogenannten EH40-Standard will sie erstmal verzichten. Das sei möglich, weil ja bald ohnehin vielerorts klimafreundlichere Heizungen eingebaut würden, meint Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Ist das 14-Punkte-Programm der geforderte „Wumms” für den Wohnungsbau?

Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist jedenfalls positiv überrascht: Einen solchen Aufschlag hatten sie der Bundesregierung gar nicht zugetraut, ließen Verbände am Montag durchblicken. „Wir gehen davon aus, dass wir zumindest den Niedergang aufhalten können”, erklärten der Bauindustrie-Verband und der Zentrale Immobilienausschuss. Was fehle, sei ein konkretes Zinsverbilligungsprogramm - und die Zusage der Länder, etwa beim seriellen Bauen auch wirklich mitzuziehen. „Wir haben heute nur erreicht, dass der Bund halbwegs seine Schularbeiten macht. Länder und Gemeinden müssen jetzt noch tätig werden”, betonten sie.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisierte dagegen fehlende Verbesserungen in Sachen Mieterschutz und sozialem Wohnungsbau. „Die katastrophale Situation für viele Mieterinnen und Mieter wird sich so nicht verbessern.” Umweltverbände fürchten, dass der Verzicht auf härtere Ökostandards den Klimaschutz torpediert.

Preisrückgang bei Wohnungen und Häusern setzt sich fort

Die Preise für Wohnungen und Häuser in Deutschland sind innerhalb eines Jahres so stark gesunken wie noch nie seit dem im Jahr 2000. Wohnimmobilien verbilligten sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vom Freitag im zweiten Quartal im Schnitt um 9,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Es war das stärkste Minus seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000. Eine durchgreifende Trendwende nach dem Ende des jahrelangen Immobilienbooms erwarten Experten vorerst nicht.

Gegenüber dem Vorquartal fiel der Rückgang mit 1,5 Prozent allerdings geringer aus als in den beiden Vorquartalen. Damals hatten sich Wohnimmobilien jeweils zum Vorquartal um 2,9 beziehungsweise 5,1 Prozent verbilligt. Seit dem Höchststand im zweiten Quartal 2022 sinken die Preise den Statistikern zufolge gegenüber dem Vorquartal.

Für Käufer ist das eigentlich ein Grund zur Freude. Doch viele Menschen können sich den Erwerb der eigenen vier Wände nicht mehr leisten, weil kräftig gestiegene Bauzinsen Kredite stark verteuert haben. Zudem mindert die hohe Inflation die Kaufkraft der Menschen. Bitter sind die gesunkenen Preise für Immobilienbesitzer, die sich zum Beispiel aus einem Verkauf ein kräftiges Zusatzplus im Alter erhoffen.

Riesige Verunsicherung

Nach einer Analyse des Finanzierungsvermittlers Interhyp haben viele Immobilieninteressenten den Wunsch nach dem eigenen Heim vorerst begraben. „Es gibt eine riesige Verunsicherung”, sagte Vorständin Mirjam Mohr jüngst.

Auch das Hamburger Gewos-Institut stellte unlängst eine weiterhin ausgeprägte Kaufzurückhaltung fest. „Gegenwärtig sehen wir für den weiteren Jahresverlauf keine wesentlichen Änderungen der marktbestimmenden Faktoren”, sagte Gewos-Experte Sebastian Wunsch.

Das Institut rechnet auf Grundlage der zum Halbjahr registrierten Deals nur noch mit rund 591.800 Kauffällen. Das wären knapp ein Viertel weniger Abschlüsse als im bereits schwachen Jahr 2022 - und der geringste Wert seit Beginn der gesamtdeutschen Zeitreihe im Jahr 1995. Bei den Kaufpreisen wird immerhin eine Stabilisierung zum Jahresende erwartet.

Ähnlich sah das zuletzt der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp). „Es zeichnet sich eine Stabilisierung am Wohnimmobilienmarkt ab”, sagte vdp-Hauptgeschäftsführer Jens Tolckmitt. „Im Markt steigt das Vertrauen, dass die langfristigen Kreditzinsen nicht viel weiter steigen.”

Verkäufe in Großstädten brechen ein

Sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Regionen sanken die Preise im Schnitt im zweiten Quartal. Dabei gingen sie in Städten stärker zurück. Besonders deutliche Rückgänge im Vergleich zum Vorjahresquartal wurden in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf verzeichnet. Hier verbilligten sich Ein- und Zweifamilienhäuser um 12,6 Prozent, für Wohnungen mussten Käufer im Schnitt 9,8 Prozent weniger zahlen als ein Jahr zuvor.

Dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel zufolge halten sich Käufer und Verkäufer in den sieben Metropolen deutlich zurück. Im Vergleich zum Boom 2021 liegt demnach die Anzahl verkaufter Eigentumswohnungen im Quartalsvergleich derzeit über die Hälfte niedriger. „Besonders dramatisch ist die Entwicklung im Neubausektor, wo die Anzahl der Verkäufe um über 80 Prozent abgestürzt ist.”

Nachfrage nach Wohnraum bleibt hoch

Zugleich bleibt die Nachfrage nach Wohnraum hoch, nicht zuletzt wegen der Zuwanderung, während der Neubau wegen gestiegener Zinsen und teurer Baumaterialien stockt. So legte beispielsweise Deutschlands größte Wohnungsgesellschaft Vonovia vorerst den Bau Zehntausender geplanter Wohnungen auf Eis.

Vor dem Wohnungsbaugipfel am Montag im Kanzleramt forderten Verbände die Bundesregierung zu schnellem Handeln auf. „Weiter steigende Zinsen und immer höhere Baukosten ergeben eine toxische Mixtur”, sagte der Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), Andreas Mattner. Wichtig sei mehr planerischer und finanzieller Spielraum für den Immobilienbranche. Die Bundesvereinigung Bauwirtschaft forderte, „die Regierung muss sofort handeln und investive Impulse für den Wohnungsbau schaffen.”

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) sowie der Eigentümerverband Haus & Grund warfen der Bundesregierung vor, die Nöte und Forderungen der Branche zu ignorieren und erteilten dem Gipfel eine Absage. (dpa)

Weitere Artikel

Hamburgs Verfassungsgericht weist AfD-Klage ab

Für Hamburgs Innensenator Grote gehört die Relativierung des Holocaust zur Grunderzählung der AfD. Die hält das für unzulässig und zieht vors Verfassungsgericht. Nun gibt es ein Urteil.

Katzen verletzen Feuerwehrleute

Zwei Einsatzkräfte werden bei einem Wohnungsbrand verletzt. Allerdings nicht vom Feuer. Fast zeitgleich kommt es in einer Pflegeeinrichtung zu einem Brand.
Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.