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Erschossener Asylbewerber

Entlastung der Polizei: Gewerkschaft will psychiatrische Ambulanzen

Juni 2019: Ermittler der Polizei suchen Spuren auf dem Gelände der Asylbewerberunterkunft in Fredenbeck. Foto: Beneke

Juni 2019: Ermittler der Polizei suchen Spuren auf dem Gelände der Asylbewerberunterkunft in Fredenbeck. Foto: Beneke

Die Deutsche Polizeigewerkschaft Niedersachsen (DPolG) fordert nach den Todesschüssen von Harsefeld eine deutliche Entlastung der Polizei durch psychiatrische Ambulanzen. Polizeizellen seien die falschen Verwahrorte für kranke Menschen.

Mittwoch, 20.10.2021, 06:00 Uhr

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Die Deutsche Polizeigewerkschaft Niedersachsen (DPolG) fordert nach den Todesschüssen von Harsefeld auf einen Asylbewerber, der psychisch auffällig gewesen sein soll, eine deutliche Entlastung der Polizei durch psychiatrische Ambulanzen. Die Entscheidung, kranke Menschen in Kliniken einzuweisen, dauere oft viel zu lange.

Polizeizellen seien die falschen Verwahrorte für kranke Menschen, heißt es in der Mitteilung der DPolG. Die Polizei habe nicht die medizinischen Kenntnisse und es dauere oft viel zu lange, bis die Entscheidungen fallen, psychisch gestörte Personen in psychiatrische Kliniken einzuweisen. Zudem fehlten die Vorwarnstufen zur Bewertung der Gefahr, weil es zu wenige Fachkräfte in den sozialpsychiatrischen Einrichtungen der Kommunen gebe. „Wenn es dann zu einem hochemotionalen Gewaltausbruch einer Person kommt, muss die Polizei reagieren, zum Schutz anderer und zum Selbstschutz“, heißt es.

Gefühlt komme es in den letzten Jahren häufiger zu solchen Situationen, „auch weil in Deutschland viele Menschen angekommen sind, die viel Gewalt erlebt haben und dadurch traumatisiert und psychisch schwer geschädigt sind“. Auch die Bereitschaft, Messer mitzuführen und diese auch einzusetzen, sei in den letzten Jahren angestiegen.

Einsatz der Schusswaffe ein traumatisches Ereignis

Laut DPolG sei der Einsatz der Schusswaffe für Polizeibeamte ein traumatisches Ereignis. „Die Entscheidung, den Finger zu krümmen und zu wissen, dass das polizeiliche Gegenüber großen körperlichen Schaden nehmen wird, vielleicht verstirbt, ist für die Einsatzkräfte immer schwer belastend, oft für das ganze Leben“, heißt es in der Pressemitteilung. „Unsere Kolleginnen und Kollegen sind keine Pistoleros. Wer das suggeriert, will offensichtlich das Ansehen der Polizei beschädigen, aus welchem ideologischen Grund auch immer“, sagt der Landesvorsitzende der DPolG Niedersachsen, Patrick Seegers.

Trotz guter Ausbildung für den Umgang mit Stresssituationen und in Deeskalationsstrategien seien Übungen unter Laborbedingungen und hochemotionale Praxissituationen kaum zu vergleichen. Er verweist darauf, dass der polizeiliche Schusswaffengebrauch in Deutschland seit Jahrzehnten auf geringem Niveau geblieben sei. Im Vergleich zu anderen Ländern gebe es dabei auch sehr viel weniger Getötete oder Verletzte. „Das spricht für unsere Ausbildung und die Grundhaltung der Polizei, auch wenn jeder verletzte oder getötete Mensch einer zu viel ist“, betont der DPolG-Chef.

Statistik aus 2019

Die Statistik, auf die die DPolG verweist, zeigt, dass im Jahr 2019 deutschlandweit 14 Menschen durch Polizeikugeln starben – einer von ihnen war der 19-jährige Aman Alizada, der unter einer psychischen Störung litt und bei einem Einsatz in einer Unterkunft in Bützfleth erschossen wurde. Für 2021 steht noch keine Statistik zur Verfügung.

Linkspartei will Geflüchteten früher helfen

Die Kreistagsfraktion der Linken hat beantragt, dass der Kreistags-Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Sport eine neue Vorgehensweise für Geflüchtete mit psychischen Auffälligkeiten erarbeiten soll. Gemeint sind Geflüchtete, die aufgrund psychischer Probleme eine Bedrohung für ihre eigene Gesundheit oder für das Leben von Mitmenschen darstellen.

„Jeder muss sich bewusst sein, dass Menschen, die gezwungen waren, ihre Heimat aufgrund von Krieg, Verfolgung und Folter zu verlassen, um in einem fremden Land Schutz zu suchen, schwerwiegende psychische Probleme haben können“, sagt der Linken-Abgeordnete Klemens Kowalski. Die Linken setzen deshalb auf die Früherkennung psychischer Probleme bei Geflüchteten. Der Linken-Abgeordnete Benjamin Koch-Böhnke: „Es darf nicht sein, dass es – wie in der Vergangenheit geschehen – erst zu Situationen von Bedrohungen und Gefährdungen von Menschen und zu Polizeieinsätzen kommt.“ Es müsse viel früher gehandelt werden. Deshalb müsse die Früherkennung psychischer Auffälligkeiten bei Geflüchteten einen hohen Stellenwert bei der Erarbeitung einer neuen Vorgehensweise einnehmen und mit einer angemessenen räumlichen Unterbringung sowie einer angemessenen psychischen und medizinischen Hilfe verbunden werden.

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