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Bundeskongress

Jusos fordern Grunderbe: 60.000 Euro für alle über 18

Philipp Türmer gilt als kritisch und links.

Philipp Türmer gilt als kritisch und links. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Mit viel Getöse schafft es der SPD-Nachwuchs beim Bundeskongress am Wochenende in die Schlagzeile. Teilweise wird es vogelwild. Und immer wieder wird der eigene Kanzler angegriffen.

Von dpa Sonntag, 19.11.2023, 13:30 Uhr

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Braunschweig. Die Jusos fordern ein Grunderbe in Höhe von 60.000 Euro für alle über 18-Jährigen. Für einen entsprechenden Antrag stimmte der SPD-Nachwuchs am Sonntag auf seinem Bundeskongress in Braunschweig. „Wir brauchen endlich eine konsequente Umverteilung von oben nach unten“, sagte ein Delegierter. „Die wenigsten, die heute vermögend sind, haben dafür gearbeitet“, sagte ein anderer.

Das Konzept der Jusos sieht eine bedingungslose Auszahlung von 60.000 Euro an jeden vor, der das 18. Lebensjahr vollendet und seinen Hauptwohnsitz in Deutschland hat - unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Die Verwendung des Grunderbes soll nicht zweckgebunden sein und die Auszahlung automatisch und ohne Antrag erfolgen.

Der finanzielle Aufwand wäre enorm - rund 45 Milliarden Euro pro Jahr soll das Grunderbe laut Jusos kosten. Die sehen es gelassen: Es müssten „nicht einmal 15 Prozent der rund 400 Milliarden Euro, die jährlich leistungslos vererbt werden, durch die Erbschaftsteuer eingenommen und umverteilt werden“, heißt es im Antrag.

Finanziert werden soll das durch eine Reform der Erbschaftsteuer. Ab einem Freibetrag von einer Million Euro fordern die Jusos eine Erbschaftsteuer von zehn Prozent. Der Steuersatz solle dann stufenweise steigen: Die zweite Million solle mit 20 Prozent, die dritte Million mit 30 Prozent besteuert werden. Ab der neunten Million würde ein Spitzensteuersatz von 90 Prozent greifen.

„Ändere deinen Kurs, Olaf“: Die Jusos verschärfen den Ton

Ein weiteres Signal des Bundeskongesses: Kanzler Olaf Scholz und die SPD müssen sich auf Gegenwind einstellen - aus den eigenen Reihen. Der SPD-Nachwuchs wählte einen neuen Vorsitzenden: Philipp Türmer, 27, aus Hessen. Der nahm kein Blatt vor den Mund. Schon in seiner Bewerbungsrede forderte er den Kanzler auf: „Ändere deinen Kurs.“

Parteimitglieder verfolgen den Bundeskongress der Jungsozialisten in Braunschweig.

Parteimitglieder verfolgen den Bundeskongress der Jungsozialisten in Braunschweig. Foto: Frankenberg/dpa

Die Jusos sind schon seit einer Weile unzufrieden mit der Ampel-Regierung - doch das hatten sie seit der Bundestagswahl kaum nach außen getragen. Alles versammelt sich hinter Scholz, war die Devise. Doch der neue Chef hat genug vom Füße-Stillhalten. Wie er sehnen sich viele Jusos zurück in die Zeit der „No GroKo“-Kampagne von 2017, als ihr damaliger Chef Kevin Kühnert die Partei aufmischte und die Top-Politiker kräftig unter Druck setzte.

Kühnert räumt Fehler ein: Zu zufrieden geworden

Inzwischen ist Kühnert Generalsekretär der SPD - und musste als solcher beim Juso-Kongress einiges einstecken. „Wo ist diese Energie hin?“, fragte Türmer. Eine Delegierte drohte: „Lieber Kevin, deine Schonfrist ist vorbei. Du bist nicht aus eigener Kraft Generalsekretär geworden.“ Kühnert habe das Juso-Sein verlernt. „Lass dir dein linkes, dein sozialistisches, dein antifaschistisches Rückgrat nicht brechen, nur weil sich die Rolle geändert hat!“, forderte die SPD-Jugend.

Kühnert räumte Fehler der SPD in der Ampel-Koalition ein. „Ihr habt auch an einigen Stellen recht“, sagte er. „Dass wir zu zufrieden geworden sind in dieser Koalition und uns zu oft verstecken hinter Argumenten, dass Mehrheiten eben nicht da wären.“ Die Sozialdemokratie brauche „ein bisschen mehr Hummeln im Hintern“.

Doch der Generalsekretär steckte nicht nur ein. „Wir können jetzt die nächsten zwei Jahre damit verbringen, mit dem Finger aufeinander zu zeigen und uns vorzuwerfen, dass wir es nicht ernst genug gemeint haben in der Koalition, dass wir Christian Lindner nicht deutlich genug beschimpft haben, dass wir nicht oft genug morgens das Vaterunser aufgesagt haben, dadrüber, dass die Schuldenbremse ausgesetzt werden muss und vieles andere mehr.“ Er müsse davon nicht überzeugt werden. Doch es brauche klügere Strategien, wenn man Mehrheiten in der Ampel organisieren wolle.

Heftiges Kontra für Scholz‘ Migrationspolitik

Viel Wut der Jusos entzündet sich an der Migrationspolitik der Ampel-Koalition - und vor allem an einer Aussage von Kanzler Scholz. In Braunschweig hielten Delegierte anklagend Titelblätter des „Spiegel“ in die Höhe, darauf das Scholz-Zitat „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Das Wort „abschieben“ hatten die Jusos durchgestrichen und durch Forderungen wie „den Klimawandel bekämpfen“ und „neue Wohnungen bauen“ ersetzt.

Kühnert und auch Parteichefin Saskia Esken fiel es schwer, diesen Satz zu verteidigen. Das „Spiegel“-Cover habe sie auch erschreckt, sagte Esken. „Aber wenn man das ganze Interview des Kanzlers liest, dann kann man den ganzheitlichen Ansatz der Migrationspolitik der Ampel schon erkennen. Die Sprache, die Sprache ist unser Problem.“

Die Jusos in Braunschweig sahen das anders. „Nein, nicht die Worte, sondern die Politik sind das Problem, Saskia“, betonte ein Redner. Die SPD spreche Schutzsuchenden durch ihre Abschiebungspolitik das Recht auf Asyl ab, entrüstete sich eine Delegierte aus NRW.

Kühnert betonte, er finde auch, dass etwa eine Bezahlkarte für Flüchtlinge keine Probleme löse, sondern Menschen drangsaliere. Aber man müsse anerkennen, dass die Prüfung eines Asylantrags auch mal ein negatives Ergebnis haben könne.

Türmer greift Scholz an

Scholz selbst war nicht nach Braunschweig gekommen - und doch in den Reden allgegenwärtig. „Mach den Kampf gegen Armut und für Verteilungsgerechtigkeit endlich zur Chefsache“, forderte Türmer den Kanzler auf. „Sonst brauchst Du nächstes Jahr, wenn Du wieder unsere Wahlkampfunterstützung zum Plakate hängen haben willst, gar nicht erst herkommen.“

Die Menschen, denen die SPD im Wahlkampf mehr Respekt versprochen hätten, wendeten sich von der Partei ab, warnte er. Es entsetze ihn, „wie wenig sich dieser Kanzler für diejenigen ins Zeug legt, die seinen Respekt so sehr verdient hätten“. Juso-Vize Sarah Mohamed betonte, die SPD trete nach unten gegen die Schwächsten. Das sei „der Sozialdemokratie unwürdig“. „Ich will, dass wir als Jusos stark aufgestellt sind, um die SPD auf links zu drehen“, forderte Mohamed.

Jusos sind gespalten

Türmer und Mohamed hatten beide für den Bundesvorsitz kandidiert und einen harten Wahlkampf geführt. Sie wurden von unterschiedlichen Landesverbänden unterstützt, die auf dem Bundeskongress lautstark für ihre Kandidaten warben. Türmer setzte sich mit 54 Prozent der Stimmen gegen die 31-Jährige aus Nordrhein-Westfalen durch.

Nach Bekanntgabe des Ergebnisses zeigten sich Unterstützer von Mohamed enttäuscht, es flossen sogar Tränen. Auf der anderen Seite lagen sich Delegierte jubelnd in den Armen. Das sorgte für Konflikte: Teilnehmer hätten sich unwohl gefühlt, teilte das Awareness-Team mit. Ein solches Team bietet auf Veranstaltungen Unterstützung gegen Diskriminierung, übergriffiges Verhalten und sexualisierte Gewalt an. Delegierte seien geschubst und mit Flaschen beworfen worden, einige hätten abreisen wollen. Die Stimmung zwischen beiden Lagern ist angespannt. Mohamed ließ sich am Sonntag erneut als stellvertretende Vorsitzende wählen, um die Jusos wieder „zu vereinen“.

T
Torsten Rust
20.11.202310:18 Uhr

Auch die Jusos werden im echten realen Leben ankommen, früher oder später.

R
Rüdiger Hülsmann
19.11.202318:39 Uhr

Es fehlen einem die Worte bei solchen Forderungen. Welch Geistes Kind sind die Leute

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