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Regenfälle

Hochwasser in Süddeutschland: So ist die Lage

Blick auf eine überflutete Gewerbefläche an der Donau im Landkreis Kelheim.

Neustadt an der Donau: Blick auf eine überflutete Gewerbefläche an der Donau im Landkreis Kelheim. Die Hochwasserlage ist weiter dynamisch und unübersichtlich. Viele kleine Gemeinden sind betroffen, mancherorts spitzt sie sich die Lage sogar zu. Foto: Sebastian Pieknik/News5/dpa

Fünf Tote, ein Feuerwehrmann wird weiter vermisst: Das Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg ist extrem. Wie konnte es dazu kommen?

Von Doreen Garud, dpa Dienstag, 04.06.2024, 05:45 Uhr

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Offenbach/Main/Potsdam/Hamburg. (Update um 12.30 Uhr)

Wo sonst Straßen verlaufen, fließen nun Flüsse, wo Felder und Sportplätze liegen, sind nur noch braune Wasserflächen zu sehen. Die Hochwasser in Süddeutschland sind extrem.


Vor allem in Teilen Bayerns ist die Lage weiter kritisch. Stark betroffen sind Gebiete an der Donau. An mehreren Pegeln entlang des Flusses werden am Dienstag die Scheitel erwartet, also die höchsten Wasserstände des Hochwassers. In Baden-Württemberg entspannt sich die Hochwasserlage dagegen deutlich. Doch die Folgen des verheerenden Hochwassers werden immer stärker sichtbar.

Im Unterallgäu wurde eine Frau tot aus ihrem Auto geborgen. Sie war laut Polizeiangaben am Montag in Markt Rettenbach mit ihrem Wagen von einer Straße ins Wasser gerutscht. Damit stieg die Zahl der bekannten Todesopfer infolge des Hochwassers in Bayern und Baden-Württemberg auf fünf.

Drohen weitere Niederschläge?

An der Donau sollen die Wasserstände am Dienstag zwar die höchsten Werte des aktuellen Hochwassers erreichen, aber unter früheren Werten bleiben, wie der Hochwassernachrichtendienst am Morgen mitteilte. Zwischen Kelheim und Passau sollen die Pegelstände bis einschließlich Mittwoch oberhalb der Meldestufe 4 liegen. Städte und Landkreise stemmen sich dort seit Tagen mit Schutzmaßnahmen gegen das Hochwasser.

Zusätzliches Wasser von oben soll es nicht oder nur kaum geben: Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) werden am Dienstag keine unwetterartigen Niederschläge mehr erwartet. Lediglich an den Alpen bestehe gegen Nachmittag und Abend ein geringes Risiko für Gewitter mit Starkregen um 15 Liter pro Quadratmeter in kurzer Zeit.

Tausende Helfer im Einsatz

An den Donauzuflüssen ging das Hochwasser am Morgen zurück. Im Bereich Isar und Inn hätten jedoch die Starkregenfälle vom Montag zu kurzzeitig starken Anstiegen der Pegelstände geführt.

Tausende Helfer sind weiter im Einsatz. An zahlreichen Schulen in Bayern fiel auch am Dienstag der Präsenzunterricht aus.

In Oberbayern rutschten Teile der Burg Falkenstein angesichts des Dauerregens ab. Unterhalb der Burg seien 50 Anwohner in Sicherheit gebracht worden, teilte der Landkreis Rosenheim mit. Die Burgruine unweit der Autobahn an der Grenze zu Österreich gilt als Wanderziel, die Hauptburg wurde um 1300 erbaut. Wie groß das Ausmaß der Schäden an der Ruine ist, war zunächst nicht bekannt.

Im Landkreis Rosenheim ist die Hochwasser-Lage weiter angespannt. Bürgerinnen und Bürger sollten möglichst zu Hause bleiben. „Es besteht eine akute Gefahr für Leib und Leben“, hieß es in einer Mitteilung der Behörde am Montagabend: Die Menschen sollten den Aufenthalt im Freien vermeiden, sich von offenen Gewässern fernhalten und die Rettungskräfte nicht bei ihrer Arbeit behindern.

Straßen mit Schlamm bedeckt, Autos mitgerissen

Auch in Baden-Württemberg fallen die Wasserstände an den meisten Gewässern der Hochwasservorhersagezentrale zufolge wieder. „Lediglich an der baden-württembergischen Donau ab dem Pegel Berg flussabwärts, am Bodensee und am Oberrhein flussabwärts von Kehl sind noch steigende Tendenzen zu verzeichnen“, hieß es am Dienstagmorgen.

Unter anderem der Rems-Murr-Kreis war besonders betroffen. Dort seien in der Gemeinde Rudersberg die Aufräumaktionen in vollem Gange, hieß es am Dienstag aus dem Rathaus der Stadt. Durch den Starkregen waren die Straßen mit Schlammmassen und weggespültem Hausrat bedeckt worden, auch Autos waren von Wassermassen mitgerissen worden.

Auf einer Straße in Rudersberg (Baden-Württemberg) liegt ein durch ein Hochwasser umgestürztes Auto auf dem Dach.

Auf einer Straße in Rudersberg (Baden-Württemberg) liegt ein durch ein Hochwasser umgestürztes Auto auf dem Dach. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Nach Einschätzung von Landesinnenminister Thomas Strobl ist die teils dramatische Lage nach den Überflutungen im Griff. „Wir sind im Bevölkerungsschutz in Baden-Württemberg gut aufgestellt“, hatte der CDU-Politiker am Montagabend in Ebersbach an der Fils südöstlich von Stuttgart mitgeteilt. Wassermassen hatten in der Kommune im Kreis Göppingen Straßen überflutet. Zahlreiche Gebäude waren evakuiert worden.

Züge fallen weiter aus, Schüler bleiben daheim

Bahnreisende müssen sich wegen der Lage weiter auf Einschränkungen und Zugausfällen einstellen. Züge konnten unter anderem München aus Richtung Stuttgart nicht anfahren, wie die Deutsche Bahn mitteilte.

„Wir raten von Reisen in die betroffenen Hochwassergebiete in Bayern und Baden-Württemberg ab und empfehlen, nicht notwendige Reisen zu verschieben“, teilte die Bahn mit.

Habeck sagt Betroffenen Unterstützung zu

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte den von den Fluten betroffenen Menschen in Süddeutschland verlässliche Unterstützung zu. „In den Hochwassergebieten steht jetzt nur eins im Vordergrund, Leib und Leben zu retten. Das ist der Imperativ der Stunde. Den Menschen in den Überschwemmungsgebieten muss aber auch beim Wiederaufbau geholfen werden“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“.

Dass die Überschwemmung häufiger als in der Vergangenheit aufträte, sei eine Folge der Erderwärmung. „Zurückdrehen können wir sie nicht, aber ich glaube, dass die fürchterlichen Ereignisse dieser Tage die Debatte darüber anregen werden, wie ernst wir den Klimaschutz nehmen“, sagte Habeck.

Mehr Geld für Schutz gegen Klimawandel-Folgen gefordert

Verbände forderten unterdessen mehr Investitionen in den Hochwasserschutz. Der Deutsche Städtetag rief Bund und Länder zu höheren Ausgaben für den Hochwasserschutz auf. „Hochwasser, wie derzeit in Bayern und Baden-Württemberg, kommen in immer schnellerem Takt. Deutschland muss sich besser darauf vorbereiten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Die Einsatzkräfte bräuchten dafür die bestmögliche Ausstattung und Infrastruktur. „Bund und Länder müssen deshalb die Mittel für den Hochwasser- und Katastrophenschutz wieder deutlich ausbauen – und zwar dauerhaft und nicht ad hoc über Sonderprogramme.“ Er wies auf die wachsenden Ausgaben der Städte und Gemeinden für Maßnahmen wie Dammbau, Begrünung und Bewässerung hin, die durch die Erderwärmung nötig würden.

Die Präsidentin des Technischen Hilfswerks (THW), Sabine Lackner, sagte der „Augsburger Allgemeinen“ mit Blick auf nötige Investitionen: „Wir liegen mit rund 400 Millionen Euro für das laufende Jahr noch ein Stück über dem Niveau aus der Zeit vor der Corona-Pandemie, umgerechnet sind das etwa vier Euro pro Bundesbürger und Jahr, also nicht wirklich viel. Innenministerin Nancy Faeser sagt ja selbst, dass es erheblicher Investitionen bedürfe. Insofern ist die Politik in der Pflicht.“

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, sagte: „Das aktuelle Hochwasser zeigt ebenso wie das Hochwasser zur Jahreswende, von dem vor allem Niedersachsen und Sachsen-Anhalt betroffen war, dass der Katastrophenschutz in Deutschland prinzipiell gut aufgestellt ist.“ Beeindruckend sei „insbesondere die Zahl der vielfach ehrenamtlichen Helfer, die in kurzer Zeit aktiviert werden konnten“.

Gleichzeitig forderte auch er mehr Geld. „Die aktuellen Geschehnisse im Süden stehen aber auch dafür, dass sich Deutschland noch besser als bislang auf extreme Wetterereignisse vorbereiten muss. Erforderlich ist insoweit insbesondere eine bessere Finanzausstattung.“

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte am Montag bereits ein neues Gesetz zum besseren Schutz vor Hochwasser in Deutschland angekündigt. „Es wird immer deutlicher, dass wir uns gegen die Folgen der Klimakrise besser schützen müssen“, teilte die Ministerin mit. „Dafür brauchen wir auch ein neues Hochwasserschutzgesetz.“

Was führte zum katastrophalen Hochwasser?

Was sind die Gründe für das extreme Hochwasser in Süddeutschland? Wo kommt bloß der ganze Regen her? Und hat das auch mit dem Klimawandel zu tun? Fachleute geben Antworten auf die häufigsten Fragen.

Waren die Niederschläge besonders heftig?

„Das ist schon besonders, aber nicht komplett außergewöhnlich“, sagt der Klimaexperte Thomas Deutschländer vom Deutschen Wetterdienst (DWD). An 20 bis 30 Stationen in Süddeutschland habe der DWD so viel Regen gemessen, wie nur alle 50 oder alle 100 Jahre runterkommt.

Man könne deswegen vor allem rund um Augsburg von Jahrhundert-Niederschlägen sprechen. Die Daten seien aber noch vorläufig.

Wieso regnete es so viel?

Das hängt mit einer besonderen Wetterlage zusammen, der sogenannten Vb-Wetterlage, gesprochen Fünf-B-Wetterlage. „Wenn sie auftritt, dann wird es meist heftig“, sagt Kevin Sieck vom Climate Service Center Germany (Gerics) in Hamburg.

Es handelt sich dabei um ein Tief, das über dem Mittelmeer entsteht, und dann östlich um die Alpen herumgeführt wird. Es kann in der Folge in Ostdeutschland heftig regnen oder auch in Süddeutschland. „Diesmal hat der Nordwind des Tiefdruckgebiets seine Wolkenmassen gegen die Alpen gedrückt. Das hat die Niederschläge noch verstärkt“, sagt der Gerics-Meteorologe.

Entstanden so auch die Überschwemmungen zum Jahreswechsel?

Nein, damals handelte es sich um Tiefs, die vom Atlantik über uns hinweggezogen sind. Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagt: „Damals kam ein Tief nach dem nächsten und führte zu Starkregen.“

Doch solche Vb-Wetterlagen wie derzeit seien auch für andere schlimme Hochwasser in Deutschland verantwortlich gewesen, erklären die Forscher. Sie erinnern an die Jahrhundertflut an der Elbe im Jahr 2002, die teuerste Naturkatastrophe in der deutschen Geschichte. Auch das schwere Hochwasser 2013 ging auf ähnliche Wetterlagen zurück.

Hat der Klimawandel mit den Überschwemmungen zu tun?

„Man kann das Einzelereignis schwer auf den Klimawandel beziehen“, sagt PIK-Forscher Hattermann. Aber: Fachleute etwa vom PIK oder von der World Weather Attribution meinen, dass extreme Regenfälle wegen des menschengemachten Klimawandels häufiger und intensiver geworden sind.

Das gilt insbesondere auch für Europa.

Deswegen würden in der Folge Überschwemmungen wahrscheinlich häufiger und heftiger ausfallen. Andere Fachleute wie der DWD sind vorsichtiger. Bisher ergäben die Daten nur Tendenzen, aber sie seien noch nicht statistisch belastbar, sagt DWD-Klimaexperte Deutschländer.

Was auf jeden Fall klar ist: Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kältere Luft. „Wo mehr Wasser reinpasst, kann auch mehr Wasser rausfallen. Das ist dann der Grund, warum wir auf das warme Wasser gucken“, sagt Deutschländer.

Eine um ein Grad wärme Luft kann sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen, sodass die Wasserhaltefähigkeit der Atmosphäre mit dem globalen Klimawandel deutlich ansteigt. In der Adria, wo sich das Tiefdruckgebiet gebildet hat, ist das Mittelmeer derzeit etwa zwei Grad wärmer als normalerweise um diese Jahreszeit. „Diese warme, feuchte Luft ist dann zu uns gewandert“, sagt Hydrologe Hattermann.

Also müssen wir uns auf stärkere Regenfälle einstellen?

Selbst der eher vorsichtige DWD-Experte meint: „Aufgrund der Tatsache, dass mehr Feuchtigkeit in die Wolken reinpasst, würde ich sagen: Wir sollten als Menschen davon ausgehen, dass es dazu kommt.“

Hattermann vom PIK betont, dass diese Regenfälle nicht gleichmäßig verteilt fallen - es kommt darauf an, wie die weltweiten Winde die Niederschläge verteilen. In vielen Regionen komme es wegen des Klimawandels über längere Zeiträume auch zu stärkeren Dürren.

Wenn es nun regnet, dann oft intensiver. „Die Niederschläge, die wir insbesondere im Sommer sehen, sind häufiger Starkregen-Niederschläge“, erklärt der PIK-Forscher. Dann gebe es wieder längere Perioden ohne Niederschläge. „Weniger geworden dagegen sind die schönen Landregen, die die Natur so richtig durchatmen lassen.“

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