„Bitte keine Hamsterkäufe“ – Dringender Appell vor Grippezeit

Von Lieferengpässen für bestimmte Medikamente sind laut Apothekerverband immer noch täglich rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Foto: dpa
Die Erkältungszeit naht mit großen Schritten. Und viele haben noch vor Augen, wie schwierig manche Medikamente - vor allem für Kinder - im Herbst und Winter 2022 zu bekommen waren. Sieht es jetzt besser aus?
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Eltern können aus Sicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in diesem Winter auf eine stabilere Arzneiversorgung für ihre Kinder zählen - auch mit gegenseitiger Rücksichtnahme.
„Wir sind deutlich besser aufgestellt als im letzten Jahr”, sagte der SPD-Politiker nach einem Gespräch mit Vertretern von Apotheken, Ärzten und Herstellern in Berlin. Die Produktion etwa von Schmerzmitteln, Fiebersäften und Antibiotika habe im Vergleich zum Winter 2022 deutlich gesteigert werden können. Wenn nun keine große Infektwelle komme, werde man des Problems Herr werden können. Zugleich appellierte Lauterbach an die Eltern: „Bitte keine Hamsterkäufe.”
Lauterbach rief zu Solidarität beim Kauf von Kindermedikamenten auf: „Ein kleiner Hausvorrat ist immer sinnvoll.” Horten sei es aber nicht. „Wenn wir uns hier zusammennehmen, dann wird uns das Gleiche gelingen, was uns auch in der Gaskrise im letzten Winter gelungen ist”, sagte der Minister. „Knappheit war angesagt. Die Menschen haben sich vernünftig verhalten, und wir sind gut durchgekommen.”
Verband: Lieferengpässe für Medikamente betreffen Millionen
Die Pharmabranche forderte auch generell bessere Produktionsbedingungen.
Von Lieferengpässen für bestimmte Medikamente sind nach Einschätzung des Apothekerverbands Nordrhein derzeit täglich rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Das sagte der Verbandsvorsitzende Thomas Preis am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. „Manchmal steht die Versorgung wirklich auf der Kippe“, betonte er mit Blick etwa auf Antibiotika, die aktuell wieder sehr knapp seien und schnell an die Patienten kommen müssten. In Deutschland handele es sich bei den verschriebenen Arzneimitteln zu 80 Prozent um die vergleichsweise günstigen sogenannten Generika, also Medikamente, für die die Patente abgelaufen seien. „Die werden immer knapper.“
Anti-Engpass-Gesetz macht Vorräte zur Pflicht
In der vergangenen Erkältungssaison waren nach einer Infektwelle Lieferprobleme etwa bei Fieber- und Hustensäften eskaliert. Um den Nachschub von Medikamenten besonders für Kinder abzusichern, trat im Juli bereits ein Anti-Engpass-Gesetz in Kraft. Als Sicherheitspuffer macht es Vorräte von mehreren Monatsmengen für vielgenutzte Mittel zur Pflicht. Im Blick stehen nun aber schneller wirkende Maßnahmen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel hat eine „Dringlichkeitsliste” mit gut 30 Kinderpräparaten veröffentlicht, die derzeit mit höchster Priorität zu besorgen sind. Darauf stehen verschiedene Antibiotika, Nasentropfen, fieber- und schmerzlindernde Säfte und Zäpfchen.
- Die Pharmabranche: Die Produktion habe teils um bis zu 100 Prozent gesteigert werden können, berichtete Lauterbach. Werke seien sieben Tage die Woche rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb aktiv. „Wir sind wirklich an das technische Maximum gegangen”, sagte der Deutschlandchef des Unternehmens Teva, Andreas Burkhardt, der auch Vorsitzender des Verbands der Hersteller patentfreier Medikamente (Pro Generika) ist. Es gelte aber, über nachhaltige Verbesserungen zu sprechen, um nicht nächstes Jahr wieder genauso dazustehen. Nötig seien unter anderem Investitionsanreize für Kapazitätserweiterungen.
- Die Apotheken: Apotheken sollen mehr Flexibilität bekommen, um bei fehlenden Mitteln ausweichen zu können. So soll es leichter werden, die Darreichungsform etwa von Tropfen zu Tabletten zu wechseln, ohne dass extra Rücksprache mit dem Arzt oder ein neues Rezept nötig sind. Auch ein Ausweichen auf andere Packungsgrößen soll einfacher sein.
- Die Ärztinnen und Ärzte: Viele Praxen wappnen sich schon für die Erkältungssaison. Man müsse sicher auch wieder von einer Infektwelle ausgehen, machte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, deutlich. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, sprach von einer wichtigen Nachricht für Familien, dass man vor einer günstigeren Ausgangssituation stehe. Das sei aber zunächst „ein Zwischenschritt”.
- Die Familien: Was genau bedeutet der Appell, nicht zu horten? Das sei eine Augenmaßentscheidung, sagte Lauterbach. Da Fieber oft über Nacht auftrete, sei „eine kleine Reserve” Fiebersaft gut, um sofort reagieren zu können. Fischbach erläuterte, es gehe darum, dass sich Eltern helfen könnten, wenn das Kind nicht direkt zum Arzt müsse. Das könne mit einer Flasche Ibuprofensaft gelingen. Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening, sagte, es passe, 100 Milliliter Fiebersaft da zu haben.
Lauterbach sagte, wenn es nun eine starke Grippewelle und eine starke Welle von Infektionen mit Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) geben sollte, seien Engpässe nicht komplett auszuschließen. Sollte es dazu kommen, würden zusätzliche Importe ermöglicht. Im Ministerium soll zur Beobachtung und schnelleren Reaktion für Herbst und Winter ein wöchentlich tagender Steuerungskreis eingerichtet werden. Von der Opposition kam Kritik. Unions-Fachpolitiker Tino Sorge (CDU) sagte, Lauterbach setze hektisch auf das Prinzip Hoffnung. Und Probleme beträfen bei weitem nicht nur den Bereich der Kinderarzneimittel.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnt, dass für Antibiotika und weitere relevante Mittel «eine angespannte Versorgungssituation» entstehen könnte.
Welche Alternativen gibt's zum Fiebersaft?
Die Infektsaison nimmt langsam Fahrt auf. Und damit auch Sorgen von Eltern, wie im vergangenen Jahr einfach keinen Fiebersaft fürs Kind in der Apotheke zu ergattern.
Bis das Anti-Engpass-Gesetz greift, kann es noch etwas dauern. Was Familien jetzt tun können - und welche Alternativen sie nutzen können, sollten Fiebersäfte wieder knapp werden.
Wie können Familien sich gut auf die Infektsaison vorbereiten?
"Es kann nicht schaden, die Hausapotheke zu kontrollieren und bei Bedarf aufzufüllen", sagt Ursula Sellerberg, stellvertretende Pressesprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). "Das ist allein schon wichtig, damit man nicht ohne dasteht, wenn das Kind um 23 Uhr Fieber bekommt." Wichtig: In die Haushaltsapotheke gehören nur haushaltsübliche Mengen.
Um die Hausapotheke gut für die Infektzeit aufzustellen, rät Sellerberg, das Gespräch mit dem Apotheker oder der Apothekerin vor Ort zu suchen. Auch um sicherzustellen, dass fiebernde Kinder nur mit den Wirkstoffen behandelt werden, die für sie auch geeignet sind.
"Zum Beispiel hilft der Wirkstoff Acetylsalicylsäure Erwachsenen bei Schmerzen und Fieber – aber ist für Kinder unter zwölf Jahren nicht geeignet", sagt Sellerberg. Fiebersäfte für Kinder setzen daher auf die Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen.
Wann braucht das Kind überhaupt fiebersenkende Medikamente?
Nicht immer sind Fiebersenker notwendig. "Wenn es dem Kind soweit gut geht, ist das kein Muss", sagt der Berliner Kinderarzt Jakob Maske, der Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist.
Denn Fieber ist prinzipiell erst mal nicht schlimm, sondern eine normale Abwehrreaktion des Körpers auf eine Infektion. Wenn sich der Allgemeinzustand des Kindes verschlechtert, schaffen fiebersenkende Mittel mit Paracetamol und Ibuprofen aber Linderung.
Können wir auf Zäpfchen und Tabletten umsteigen, wenn kein Fiebersaft verfügbar ist?
Das ist möglich, wie Kinderarzt Maske sagt. Wie beim Fiebersaft gilt auch hier: Es sollte keinesfalls mehr Wirkstoff ins Kind gelangen, als ausgehend von dessen Körpergewicht empfohlen wird. "Eine Überdosierung schadet der Leber - und das ist viel schlimmer als das Fieber des Kindes", warnt Maske.
Doch was, wenn der Säugling ein Zäpfchen mit 75 Milligramm Paracetamol braucht - und Eltern vielleicht vom großen Geschwisterchen noch Zäpfchen mit 125 Milligramm in der Hausapotheke haben? Das Zäpfchen sollten Eltern dann nicht durchschneiden, da nicht immer der Wirkstoff gleichmäßig im Zäpfchen verteilt sein könnte, sagt Maske.
Zu teilbaren Tabletten können Eltern allerdings sehr wohl greifen, wenn die Hälfte der Tablette der Dosis entspricht, die das fiebernde Kind braucht.
Mein Kind verweigert die Tablette. Und jetzt?
Bei Tabletten ist der Protest manchmal groß. Kinderarzt Jakob Maske kennt Tricks: Tabletten lassen sich auch als Ganzes auf einem Löffel mit etwas Joghurt oder Flüssigkeit verabreichen oder gebröselt in die Joghurtschüssel oder das Trinkglas geben.
Auf eines sollten Eltern dabei aber achten: "Das Kind sollte alles austrinken oder aufessen, damit es auch die gesamte Menge Medikament aufnimmt", sagt Maske. (dpa)

Unter anderem Schmerzsäfte für Kinder waren während der letzten Infektionswellen im Winter knapp.