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Tarifkonflikt

Bahnstreit eskaliert: Fast eine Woche lang Streik

Erwartet wird lediglich ein ausgedünntes Angebot im Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr.

Erwartet wird lediglich ein ausgedünntes Angebot im Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr. Foto: Thomas Sulzyc

Pendler-Frust garantiert: Noch in dieser Woche soll der nächste Streik der Lokführer beginnen. Im S-Bahnverkehr käme es sechs Tage lang nur zu einem Notfahrplan.

Von dpa Montag, 22.01.2024, 09:45 Uhr

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Landkreis/Berlin. Die Lokführergewerkschaft GDL hat die Beschäftigten der Deutschen Bahn zum nächsten Streik aufgerufen. Dieser werde im Personenverkehr am frühen Mittwochmorgen um 2 Uhr beginnen und bis Montag kommender Woche, 18 Uhr andauern, teilte die Gewerkschaft mit.

Die Gewerkschaftsmitglieder bei der für Güterverkehr zuständigen DB Cargo sind bereits ab Dienstag, 18 Uhr zum Streik aufgerufen. Für Pendlerinnen und Pendler stehen damit erneut schwierige Tage mit absehbar Tausenden Zugausfällen bevor.

Erwartet wird lediglich ein ausgedünntes Angebot im Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr. Im Landkreis Stade dürfte die S-Bahn der Linie S5 wie bei den vergangenen Streiks lediglich im Stundentakt zwischen Stade und Neugraben pendeln. Auch der Start Unterelbe kann nur nach einem Notfahrplan verkehren.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing reagiert mit scharfer Kritik. „Ich habe null Verständnis für diese Form der Tarifauseinandersetzung“, sagte der FDP-Politiker am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Seiner Meinung nach nimmt der Tarifkonflikt zwischen Bahn und GDL zunehmend destruktive Züge an. „Ich glaube auch nicht, dass Herr Weselsky sich und seiner Gewerkschaft mit diesem Stil einen Gefallen tut“, fügte Wissing mit Bezug auf den GDL-Vorsitzenden hinzu.

Bahn: Nahverkehr wird „massiv beeinträchtigt“

Der Regionalverkehr in Niedersachsen und Bremen wird nach Angaben der Bahn „massiv beeinträchtigt sein“. Das Unternehmen bemühe sich um einen Ersatzverkehr mit Bussen. In Hamburg wird der U-Bahn-Verkehr nicht bestreikt, auch Busse fahren regulär.

Laut DB-Infos werden Züge auf der Strecke des Start Unterelbe zwischen Cuxhaven und Hamburg-Harburg voraussichtlich im Dreistundentakt verkehren. Die Einrichtung eines Ersatzverkehrs mit Bussen zwischen Cuxhaven und Stade werde derzeit noch geprüft. Genaue Zeiten werden nach Festlegung online veröffentlicht. Reisende werden gebeten, sich regelmäßig über eventuelle Fahrplanänderungen zu informieren und ihre Reise entsprechend zu planen.

Nach Angaben der Bahn fahren einzelne Züge von Norddeich Mole nach Hannover, von Osnabrück nach Bremerhaven-Lehe sowie von Braunschweig nach Helmstedt. Im Zweistundentakt gebe es auch Verbindungen von Braunschweig nach Schöppenstedt oder nach Herzberg (Harz), von Nordhausen und Northeim (Han) sowie zwischen Kreiensen und Goslar. Im Stundentakt sollen Busse von Einbeck Mitte nach Göttingen fahren.

Lokführer der EVB legen ihre Arbeit nicht nieder. „Auch wenn sich das Personal der EVB nicht direkt am Streik beteiligt, kann es zu Einschränkungen im Bahnverkehr kommen“, sagt EVB-Sprecherin Andrea Stein: „Wenn einer der in der GDL organisierten Leiter streikt, dürfen wir als EVB nicht fahren. Eventuelle Beeinträchtigungen unterliegen deshalb nicht unserem Einfluss“, heißt es weiter.

Auf anderen Linien wird voraussichtlich gar kein Zug fahren, wie die Bahn mitteilte. Dazu zähle die Verbindung von Bremerhaven-Lehe nach Hannover, von Braunschweig nach Salzgitter-Lebenstedt.

Die Bahnunternehmen Metronom, Enno und Erixx hatten beim letzten Bahnstreik an ihren Fahrplänen festgehalten. Für die Unternehmen gibt es seit Mitte Dezember einen Tarifabschluss gebe. Metronom bietet etwa RE-Verbindungen auf den Strecken Bremen - Hamburg, Hannover - Hamburg und Hannover - Göttingen an.

Bei vorigen Streiks der GDL fuhr die Bahn im Fernverkehr lediglich ein Fünftel des eigentlichen Angebots. Wie schon zuvor sollen längere Züge mit mehr Sitzplätzen eingesetzt werden, „um möglichst viele Menschen an ihr Ziel bringen zu können“, hieß es.

GDL-Streik: Diese Rechte haben Bahnreisende

Die Deutsche Bahn hat bereits eine Sonderkulanz-Regelungen getroffen: Alle Fahrgäste, die ihre im Streikzeitraum geplante Reise verschieben möchten, können ihr Ticket später nutzen. Die Zugbindung ist aufgehoben. Sitzplatzreservierungen können kostenfrei storniert werden. Zudem haben Fahrgäste im Fernverkehr die Möglichkeit, ihre Reise auf Montag oder Dienstag vorzuverlegen.

Entschädigung bei Verspätung: Die gibt es auch bei Streiks. Kommt der Zug mehr als eine Stunde zu spät am Ziel an, kann man 25 Prozent des Fahrpreises verlangen, bei mehr als zwei Stunden sind es 50 Prozent.

Laut Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp) besteht der Anspruch auf die Verspätungsentschädigung auch dann, „wenn die verspätete Ankunft am Zielort durch eine in Anspruch genommene Alternativbeförderung erfolgt“. Das heißt im Klartext: Wer sein Zugticket wegen eines Zugausfalls zu einem späteren Zeitpunkt nutzt, dem stehen demnach 50 Prozent Erstattung zu.

Wichtig: Droht man durch einen Zugausfall einen gebuchten Flug zu verpassen, haftet die Bahn nicht für mögliche Folgekosten.

Bahn legt neues Tarifangebot vor

Erst am Freitag hatte die Deutsche Bahn ein neues Tarifangebot vorgelegt, um die GDL wieder an den Verhandlungstisch zu holen. Darin ist unter anderem auch eine Option zu einer Stunde weniger Arbeitszeit für Lokführer und Zugbegleiter ab dem 1. Januar 2026 enthalten. Für neue Verhandlungen reichte dies aber offenbar nicht aus. „Mit dem dritten und angeblich verbesserten Angebot hat die Deutsche Bahn AG erneut gezeigt, dass sie ihren bisherige Verweigerungs- und Konfrontationskurs unverdrossen weiter verfolgt - von Einigungswillen kein Spur“, hieß es in der GDL-Mitteilung.

Die DB verteidigt ihr Angebot an die GDL. „Die DB setzt auf Kompromisse, die GDL verschärft maßlos den Konflikt“, teilte ein Sprecher mit. Wer bei einem neuen Angebot noch nicht einmal an den Verhandlungstisch komme, der handle absolut unverantwortlich, hieß es.

Vierter Streik im laufenden Tarifkonflikt

Der nun angekündigte Arbeitskampf wäre der vierte im laufenden Tarifkonflikt. Vor dem Jahreswechsel legte die GDL bei zwei Warnstreiks große Teile des Personenverkehrs lahm, im Januar folgte dann ein dreitägiger Streik mit ähnlicher Wirkung. DB-Personalvorstand Martin Seiler kritisierte am Freitag, dass die GDL Streiks nicht als letztes Mittel einsetze, sondern als Mittel der Selbstinszenierung.

Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hat den sechstägigen Streik verteidigt. Die Arbeitgeber seien der Gewerkschaft mit ihrem jüngsten Angebot nicht entgegengekommen, sagte Weselsky. „Wir können lesen. Wir wissen, was dort geschrieben steht. Und es ist keine Verhandlungsgrundlage zum Einstieg in einen Verhandlungstermin mit der DB.“

Die Deutsche Bahn will nach eigenen Angaben gegen den angekündigten Lokführerstreik ab Mittwoch dieses Mal nicht gerichtlich vorgehen. „Die DB wird gegen den sechstägigen GDL-Streik keine Rechtsmittel einlegen“, teilte das Unternehmen am Montag mit. „Wir sind nicht gestoppt worden, weil unsere Streiks rechtmäßig, verhältnismäßig und zulässig sind“, sagte Weselsky. Ob die Bahn erneut vor Gericht ziehen wird, war am Montag zunächst offen.

Das am Freitag präsentierte Angebot der Bahn sieht 4,8 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten ab August und weitere 5 Prozent mehr ab April 2025 vor. Zudem ist die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie gleich nach einem möglichen Tarifabschluss vorgesehen. Die Laufzeit soll dem DB-Angebot zufolge bei 32 Monaten liegen.

Lokführern und Zugbegleitern bietet die Bahn darüber hinaus an, ab dem 1. Januar 2026 die Arbeitszeit bei gleichem Gehalt von 38 auf 37 Stunden zu reduzieren. Wer sich gegen die Absenkung entscheidet, bekommt gemäß dem Angebot stattdessen 2,7 Prozent mehr Geld. In Summe erhielten die Beschäftigten, die bei der aktuellen Arbeitszeit bleiben, mit dem Angebot brutto 13 Prozent mehr Geld als jetzt. Die GDL fordert 555 Euro mehr pro Monat sowie eine Inflationsausgleichsprämie bei 12 Monaten Laufzeit.

GDL will Arbeitszeitreduzierung für Schichtarbeiter

Viel wichtiger ist der Gewerkschaft den öffentlichen Aussagen zufolge aber eine Arbeitszeitreduzierung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Die Forderung hält die Bahn in diesem Umfang für unerfüllbar, auch weil dann zu viel neues Personal gebraucht werde. Schon jetzt gibt es bei Lokführern und auch in anderen Bahn-Berufen einen Fachkräftemangel.

Der Tarifkonflikt zwischen der Bahn und der GDL läuft seit Anfang November. Die GDL erklärte die Gespräche bereits nach der zweiten Verhandlungsrunde für gescheitert. Seit dem 24. November wurde daher nicht mehr verhandelt. Nach einer Urabstimmung unter den GDL-Mitgliedern sind auch unbefristete Streiks möglich.

T
Thomas Sick
23.01.202415:52 Uhr

Bei diesem Streik sieht man sehr deutlich welche Vorteile das Berufsbeamtentum an wichtigen Stellen hatte. Leider werden heute hauptsächlich nur noch Juristen mit Parteibuch, zu Beamten ernannt. An wichtigen Versorgungspunkten für die Bevölkerung ist dies scheinbar nicht so wichtig. Das Ergebnis sehen wir jetzt.

S
Stefan Klein
22.01.202421:50 Uhr

Der Verkehrsminister sollte nicht nur reden, sondern endlich auch handeln! Der Bund als alleiniger Anteilseigner der DB sollte das Management komplett absetzen und fähigeres Personal einsetzen, damit die GDL die keine (durchaus berechtigten) Angriffspunkte mehr hat. Im Gegenzug sollte man überlegen, ob man nicht auf die schlimmsten Hitzköpfe im GDL-Vorstand eine Zeit lang "kaltstellen" kann, damit sich die Situation beruhigen kann und konstruktive Verhandlungen wieder möglich sind.

S
Stefan Klein
22.01.202417:18 Uhr

Das ist mittlerweile von beiden Seiten unmöglich, sowohl von der DB als auch von der GDL. Wie als Normalbürger werden in Geiselhaft genommen für Probleme, für die wir absolut nichts können. Wir zahlen alle pflichtgemäß unsere Steuern, dafür können wir im Gegenzug auch erwarten, dass der Staat einen funktionierenden ÖBNV zur öffentlichen Daseinsvorsorge bereithält. Im Grunde sollten wir so lange das Zahlen von Steuern solange verweigern, bis dieses ganze Theater ein Ende hat. Ist nur leider schwierig für einen einfachen Angestellten wie mich, dem alles automatisch abgezogen wird. Trotzdem: Wer die Möglichkeit hat, Steuern zu verweigern oder zu verschleiern, dem kann hier ich nur raten und ausdrücklich dazu ermutigen, dies auch zu tun. Das ist wahrscheinlich die einzige Art von Notwehr, die wir als normale Bürger gegen dieses System noch haben!

U
Uwe Staats
22.01.202414:18 Uhr

Der Streik bedient aus meiner Sicht 2 Nebenkriegsschauplätze: Zum einen will sich die GDL gegenüber der EVG profilieren. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Herrn Weselsky und DB-Personalvorstand Seiler unterirdisch. Ist das noch verhältnismäßig?

H
Heiko Söhl
22.01.202410:54 Uhr

„König“ Weselsky will offenbar gar nicht verhandeln, sondern seine Eitelkeit durchsetzen. Untragbarer Typ!

R
Rüdiger Hülsmann antwortete am
23.01.202408:33 Uhr

Weselsky ist ein kleiner Wichtigtuer und geil darauf die DB zu erpressen ohne Rücksicht auf Verluste. Überhaupt kein Auge für die Verhältnissmässigkeit. Der muss weg

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