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Polit-Prominenz, viel Wind und ein sexy Auftritt bei Einheitsfeier in Hamburg

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei einem Bürgergespräch in der Handelskammer im Rahmen des Bürgerfests zum Tag der Deutschen Einheit.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei einem Bürgergespräch in der Handelskammer im Rahmen des Bürgerfests zum Tag der Deutschen Einheit.

Mit dem Festakt in der Elbphilharmonie nahmen die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am Dienstag in Hamburg ihren Höhepunkt. Allein das Wetter spielte nicht mit - das schreckte Hunderttausende offenbar nicht.

Dienstag, 03.10.2023, 16:00 Uhr

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Appelle an Gemeinsinn und Zusammenhalt in der Gesellschaft in Elbphilharmonie und Michel sowie Fischbrötchen und Bier an der Alster: Deutschland hat den 33. Tag der Deutschen Einheit zentral in Hamburg gefeiert. Staatsspitze und Kirchen machten sich dabei am Dienstag auch für Eigeninitiativen und Solidarität stark. Derweil feierten rund 700 000 Menschen am Montag und Dienstag unter dem Motto „Horizonte öffnen“ in der Innenstadt ein großes Bürgerfest.

Protokollarischer Höhepunkt war der Festakt in der Elbphilharmonie mit der gesamten Staatsspitze, den Regierungschefs der Länder und den insgesamt rund 1300 geladenen Gästen. Darunter waren unter anderem Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Ex-Bundespräsident Christian Wulff, der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev, Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko, Drag Queen Olivia Jones und der Komiker Otto Waalkes.

In der Elbphilharmonie gab es große Auftritte und Worte zum Tag der Deutschen Einheit. Foto: dpa

In der Elbphilharmonie gab es große Auftritte und Worte zum Tag der Deutschen Einheit. Foto: dpa

„Make Einheit sexy again!” - Olivia Jones sendet Botschaft

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) appellierte als Gastgeber an den Gemeinsinn der Bürgerinnen und Bürger in Krisenzeiten. Nur ein starkes demokratisches Deutschland könne Verantwortung übernehmen für ein starkes Europa, das sich für Frieden, Demokratie und Menschenrechte einsetze, sagte der Bundesratspräsident. „Nicht Populismus und Polarisierung, sondern Gemeinsinn und Kooperation sind das Gebot der Stunde. Dafür tragen wir alle Verantwortung.”

Haare und Abendkleid in Deutschland-Farben - gut sichtbar die Botschaft „Make Einheit sexy again!”: Dragqueen Olivia Jones hat ein Zeichen setzen wollen. „Die menschenverachtende Mauer durch Deutschland haben wir vor über 30 Jahren niedergerissen”, sagte Jones am Dienstag laut Mitteilung. „Aber die Mauern in den Köpfen und Herzen der Menschen wachsen wieder.” 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von links), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Foto: Christian Charisius/dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von links), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Foto: Christian Charisius/dpa

„Statt uns kritisch daran zu erinnern, was zur Teilung Deutschlands geführt hat und wie schlimm das für Ost und West war, verklären wir lieber wieder die Vergangenheit”, sagte Jones weiter zur Idee hinter ihrem Outfit. „Statt auf Differenzen müssen wir uns wieder mehr auf Gemeinsamkeiten konzentrieren.”

Viel Wind beim Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit

Angesichts windigen Wetters haben die Veranstalter beim zweiten Tag des Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit in Hamburg Schutzmaßnahmen eingeleitet. Schon gestern Abend hätten sie damit begonnen, Zelte zu beschweren, teilte die Leiterin der Kommunikation auf dem Bürgerfest, Katja Derow, am Dienstag auf Anfrage mit. „Alles, was herumfliegen könnte, wird festgemacht.” Die Windstärken seien aber nicht so, dass es eine Unwetterwarnung geben müsste. Man sei in Absprache mit dem Deutschen Wetterdienst, der auch vor Ort sei.

Dragqueen Olivia Jones kam mit Botschaft. Foto: dpa

Dragqueen Olivia Jones kam mit Botschaft. Foto: dpa

Während die Bierbänke auf der Ländermeile des Bürgerfests bei milderen Temperaturen am Vormittag zunächst weitgehend leer blieben, mussten Sicherheitsabsperrungen mit Programminformationen aufgrund des Winds hingelegt werden. Auf einer elektronischen Info-Tafel erschien immer wieder der Hinweis, dass windbedingt Schutzmaßnahmen notwendig seien - die Veranstaltung aber fortgeführt werde.

Ein gern gesehener Gast? Altkanzler Schröder in Hamburg

Am Rand in zweiter Reihe: Altkanzler Gerhard Schröder ist wegen seiner Treue zum russischen Präsidenten Wladimir Putin auf vielen öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr wohlgelitten - zum Einheitsfestakt in Hamburg war er aber eingeladen. Der 79-Jährige, der an seiner Freundschaft auch nach Putins Angriff auf die Ukraine festhält, erschien mit seiner Frau So-yeon Schröder-Kim in der Elbphilharmonie, ebenso wie zuvor beim Gottesdienst im „Michel”.

Ab Dienstagmittag regnete es und es wurde windig. Eine Absage aber stand nicht im Raum. Foto: dpa

Ab Dienstagmittag regnete es und es wurde windig. Eine Absage aber stand nicht im Raum. Foto: dpa

Schon sehr früh nahm das Paar in der „Elphi” seine Plätze ein, in der zweiten Reihe ganz außen, der Altkanzler am Gang. In der Reihe davor: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) als Bundesratsvizepräsident, schräg dahinter in Reihe drei sein schleswig-holsteinischer Kollege Daniel Günther (CDU).

Es sei „okay”, dass Schröder als Altkanzler beim Festakt dabei sei, sagt Günther. „Trotzdem ist es für mich immer ein verstörendes Gefühl, wenn man einen Menschen trifft, der sich so verirrt hat in seinen politischen Ansichten, dass das schon befremdlich ist für jemanden, der mal Bundeskanzler unseres Landes war und für Deutschland den Eid geleistet hat.”

Als Bundespräsident Frank Walter-Steinmeier den Großen Festsaal der „Elphi” betritt und in der Mitte der ersten Reihe Platz nimmt, scheinen sich seine und Schröders Blicke zu treffen. Steinmeier grüßt, Schröder lächelt, grüßt zurück - fast erleichtert.

Verwunderung gibt es unter den Journalisten auch über das stark gerötete linke Auge des Altkanzlers. Was damit sei, wird er beim Rausgehen gefragt. „Nur entzündet”, gibt er zurück und geht weiter.

Erzbischof Heße fordert Reform des europäischen Asylsystems

Kanzler Olaf Scholz warb deshalb über die Plattform X (vormals Twitter) dafür, neue Entwicklungen als Gelegenheit zur Gestaltung zu begreifen. „Wo Neues am Horizont auftaucht, bieten sich immer auch Chancen.” Dem Mut der Ostdeutschen sei viel zu verdanken. „Sie schenkten unserem Land seine Einheit in Frieden und Freiheit. Auch in herausfordernden Zeiten wie diesen geht es darum, Horizonte zu öffnen.”

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (M, r) und seine Frau verlassen einen Festakt.

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (M, r) und seine Frau verlassen einen Festakt.

Zuvor hatten sich die gesamte Staatsspitze und zahlreiche Gäste bereits zu einem ökumenischen Gottesdienst im Hamburger Michel eingefunden, wo Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs ebenfalls den Zusammenhalt in der Gesellschaft beschwor. „Lasst uns zusammenhalten, was derzeit in Politik und Gesellschaft so auseinanderdriftet”, mahnte die Bischöfin des evangelischen Sprengels Hamburg und Lübeck in ihrer Predigt.

Hamburgs katholischer Erzbischof Stefan Heße rief in seiner Predigt bei dem Festgottesdienst zur Solidarität mit Flüchtlingen auf und forderte eine Reform des europäischen Asylsystems. „Wir brauchen einen besseren Flüchtlingsschutz und eine faire Verantwortungsteilung zwischen allen EU-Mitgliedsstaaten - kurz gesagt: Wir brauchen eine menschenwürdige und eine solidarische Flüchtlingspolitik.”

Die Feierlichkeiten hatten bereits am Montag mit einem großen Bürgerfest begonnen. Rund um Rathaus und Binnenalster kamen dazu nach Angaben des Sprechers des Bürgerfestes schon am ersten Tag mehr als 300.000 Besucherinnen und Besucher zusammen. Bei der „Nacht der Einheit” konnten sie bis zu später Stunde an vielen Orten der Innenstadt ein Programm aus Live-Musik, Tanzaufführungen und Ausstellungen verfolgen. 

Gegendemo der linken Szene stört Einheitsfeier in Hamburg

Gegen die Feierlichkeiten gab es am Abend allerdings auch eine Demonstration mit mehreren Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Bereits kurz nach dem Start stoppte die Polizei den Zug, wie dpa-Reporter berichteten. Die Demonstranten aus der linken Szene hatten ein Transparent enthüllt, auf dem Deutschland vulgär beschimpft wurde.

Besucherinnen und Besucher auf dem Bürgerfest auf der Mönkebergstraße. Foto: dpa

Besucherinnen und Besucher auf dem Bürgerfest auf der Mönkebergstraße. Foto: dpa

Insgesamt hätten die Demonstranten zwei Plakate mit mutmaßlich strafbarem Inhalt gezeigt, teilte die Polizei in einer Bilanz zum Einsatz mit. Der Zug sei daher gestoppt worden. „Einsatzkräfte forderten die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf, das Zeigen der Transparente zu unterlassen“, hieß es. Nachdem die Demonstranten dem und der Aufforderung, ihre Vermummung abzulegen, nachgekommen seien, hätten die Teilnehmenden ihre Route fortsetzen können.

Die insgesamt 750 Menschen versammelten sich zur Abschlusskundgebung im Stadtteil St. Pauli. Die Polizei leitete eigenen Angaben zufolge mehrere Strafverfahren wegen der Plakate, der Vermummung und vereinzelt gezündeter Pyrotechnik ein.

Anlässlich von 33 Jahren Deutscher Einheit äußerten sich zahlreiche Politiker. So sagte etwa CDU-Chef Friedrich Merz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die Deutsche Einheit sei staatsrechtlich zu 100 Prozent vollendet. „Emotional ist sie das noch nicht.“ Merz verwies zudem auf aus seiner Sicht berechtigte ostdeutsche Kritik, etwa in Sachen Repräsentation: „Dass wir nach wie vor in den Führungsetagen der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Politik, der Medien immer noch den Osten unterrepräsentiert haben, wird von ostdeutscher Seite zu Recht kritisiert.“ (dpa)

Bereits kurz nach dem Start stoppte die Polizei den Zug. Foto: dpa

Bereits kurz nach dem Start stoppte die Polizei den Zug. Foto: dpa

Die Binnenalster illuminiert. Foto: dpa

Die Binnenalster illuminiert. Foto: dpa

"Achtung Hinweis - Aufgrund von Wind sind Schutzmaßnahmen nötig. Die Veranstaltung wird fortgeführt" steht auf einer Anzeigetafel nahe dem Rathaus. Foto: dpa

"Achtung Hinweis - Aufgrund von Wind sind Schutzmaßnahmen nötig. Die Veranstaltung wird fortgeführt" steht auf einer Anzeigetafel nahe dem Rathaus. Foto: dpa

Polizeifahrzeuge stehen auf der gesperrten Ludwig-Erhard-Straße vor der Hauptkirche St. Michaelis (Michel).

Polizeifahrzeuge stehen auf der gesperrten Ludwig-Erhard-Straße vor der Hauptkirche St. Michaelis (Michel).

Peter Tschentscher (SPD)spricht zur Offiziellen Eröffnung des Bürgerfests zum Tag der Deutschen Einheit auf einer Bühne an der Binnenalster.

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Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor einer Gruppe von Alphornbläser. Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor einer Gruppe von Alphornbläser. Foto: Christian Charisius/dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei einem Bürgergespräch in der Handelskammer in Hamburg.

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Polizeibeamte gehen an den Absperrungen am Maritimen Museum in der Hafencity entlang. Foto: Marcus Brandt/dpa

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Bundeskanzler Olaf Scholz (M) winkt auf seinem Weg vom Bürgergespräch in der Handelskammer.

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