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Razzien gegen völkische Siedler im Norden – Verbot durchgesetzt

Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen ein Objekt. Foto: dpa

Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen ein Objekt. Foto: dpa

Vergangene Woche hat die Innenministerin eine Neonazi-Gruppierung verboten. Jetzt geht es gegen völkische Siedler. Durchsuchungen gab es auch in Niedersachsen. Reichen die Strukturen bis in den Kreis Stade?

Mittwoch, 27.09.2023, 17:15 Uhr

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine weitere rechtsextremistische Vereinigung verboten. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten am Morgen 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern sowie Räume des Vereins „Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung” in zwölf Bundesländern, wie das Innenministerium in Berlin mitteilte. Bei den Razzien seien unter anderem Schusswaffen, ABC-Schutzanzüge, Gold, Bargeld und extremistische Schriften sichergestellt worden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Das Verbot gegen die Vereinigung, die dem Milieu der völkischen Siedler zugerechnet wird, sei mehr als ein Jahr vorbereitet worden. Maßgeblich seien hierbei Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewesen. 

Eine Lehrerin, die den völkischen Siedlern nahestehen soll, unterrichtet in einer Stader Grundschule.  Strafrechtlich liegt gegen die Frau zwar nichts vor - dennoch prüft die Landesschulbehörde den Fall jetzt.

Wer oder was ist „Die Artgemeinschaft”?

Faeser beschrieb in einer Mitteilung „Die Artgemeinschaft” als „sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung”. Die Ministerin begründete ihre Entscheidung auch mit dem Kindeswohl.

Sie sagte: „Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen.” Zu den antisemitisch gefärbten Kinderbüchern, die von der Vereinigung vertrieben wurden, gehörten nach Angaben aus Sicherheitskreisen mehrere Titel aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dazu zählt etwa das Buch „Pudelmopsdackelpinscher”.

Laut Bundesinnenministerium umfasst das Verbot auch alle Teilorganisationen der Bewegung, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden rund 150 Mitglieder hat. Dazu gehörten sogenannte „Gefährtschaften”, „Gilden”, „Freundeskreise” und ein Verein namens „Familienwerk”.

Durchsucht wurde den Angaben zufolge in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Ziele der Razzien am frühen Mittwochmorgen seien das „Einfrieren von Vereinsvermögen” und die Sicherstellung potenzieller Beweismittel wie etwa Orden, Fahnen und Büsten gewesen, die dem Nationalsozialismus zugeordnet werden, hieß es bei einer der Durchsuchungen in Baden-Württemberg von einem Sprecher des Landeskriminalamts. Nach Angaben der Bundesinnenministerin waren rund 700 Einsatzkräfte bundesweit an den Razzien beteiligt, darunter auch Beamte der Bundespolizei.

In der vergangenen Woche hatte Faeser die elitäre Neonazi-Gruppierung „Hammerskins Deutschland” verboten. Vor allem durch die „manipulativ indoktrinierende Erziehung ihrer Kinder” und den Vertrieb entsprechender Schriften sei die „Artgemeinschaft” nicht weniger gefährlich als die „Hammerskins”, sagte die Ministerin. Laut NDR sind die „Hammerskins“ auch im Cuxhavener Umland aktiv, umtriebig offenbar im Musik- und Kleidungsvertrieb. 

Wie wird das Verbot begründet?

Zur Begründung des Verbots führte ihr Ministerium aus, die Siedlerbewegung verbreite unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ein gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild. Zentrales Ziel sei die Erhaltung und Förderung der eigenen „Art”, was mit dem nationalsozialistischen Begriff der „Rasse” gleichzusetzen sein.

Der Verfassungsschutz führt Siedlungsbestrebungen von Rechtsextremisten in seinem aktuellen Jahresbericht gesondert auf. In dem Bericht heißt es, Ziel dieser Bewegungen sei zumeist der „Erhalt der Deutschen”. „Deutschsein” werde hierbei vor allem unter Rückgriff auf den ethnischen Volksbegriff im Sinne der völkischen „Blut-und-Boden”-Ideologie definiert.

Einsatz gegen rechtsextreme "Artgemeinschaft" auch in Niedersachsen

In Niedersachsen ging die Polizei im Raum Göttingen gegen die "Artgemeinschaft" vor. Davon sei eine Person betroffen gewesen, teilte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums am Mittwoch in Hannover mit. Details dazu teilte das Ministerium zunächst nicht mit.

Die Zahl der Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung in Niedersachsen sei ausgesprochen überschaubar und klein, sagte der Ministeriumssprecher. Die "Artgemeinschaft" sei aber extrem gut mit anderen rechtsextremen Gruppierungen vernetzt.

Razzien in Schleswig-Holstein

Bei Razzien gegen völkische Siedler hat es auch zwei Einsätze in Schleswig-Holstein gegeben. Die beiden Einsatzorte im Norden waren in Lübeck und im Kreis Stormarn, wie ein Sprecher des Innenministeriums der Deutschen Presse-Agentur sagte. In einem Fall sei eine Verbotsverfügung übergeben worden, im anderen sei eine Durchsuchung erfolgt.

Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) betonte, der Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein und insgesamt im Bundesgebiet werde entschlossen und konsequent bekämpft. Das Vorgehen am Mittwoch sei dafür ein weiterer Beleg gewesen. „Das Verbot dieser zahlenmäßig eher kleinen Organisation macht überdies deutlich, dass der Kampf gegen die Feinde unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Einzelfall nicht von ihrer Zahl, sondern ihrer extremistischen Ideologie abhängt.” (dpa)

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat eine rechtsextremistische Vereinigung verboten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat eine rechtsextremistische Vereinigung verboten.

Einsatzkräfte der Polizei stehen hinter einer Polizeiabsperrung nach einer Razzia in Hesselbronn.

Einsatzkräfte der Polizei stehen hinter einer Polizeiabsperrung nach einer Razzia in Hesselbronn.

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