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Statistik belegt

Senioren sind bei Autounfällen häufiger Schuld

Bei älteren Autofahrern gibt es oft andere Unfallursachen als bei jüngeren. (Symbolbild)

Bei älteren Autofahrern gibt es oft andere Unfallursachen als bei jüngeren. (Symbolbild) Foto: dpa-Bildfunk

Mehr Vorfahrtsfehler, häufiger schwere Verletzungen: Das Alter wird beim Autofahren zum Risiko. Diese Statistik sogt für Debatten.

Von Lukas Fortkord Mittwoch, 27.11.2024, 00:45 Uhr

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Wiesbaden. Ältere Menschen sind statistisch gesehen vergleichsweise selten in Verkehrsunfälle mit Personenschaden verwickelt. Sind sie aber daran beteiligt, tragen sie deutlich häufiger die Hauptschuld als jüngere Fahrer und Fahrerinnen. Demnach waren im Jahr 2023 in mehr als zwei Dritteln der Fälle (68 Prozent) über 65-Jährige die Hauptverursacher. Das teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit.

Diese Quote stieg demnach im Alter weiter: Bei den 75-Jährigen und älter waren laut den Statistikern drei Viertel der Unfallbeteiligten auch die Hauptverursacher (76 Prozent). Zum Vergleich: Bei den unter 65-jährigen Autofahrerinnen und -fahrern wurde nur gut der Hälfte (55 Prozent) die Hauptschuld an einem Unfall zugewiesen.

Ältere Menschen sterben häufiger durch Autounfälle

Allerdings seien ältere Menschen gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung insgesamt seltener in Verkehrsunfälle verwickelt als jüngere, hieß es von den Statistikern. Ältere sterben jedoch deutlich häufiger durch Unfälle als jüngere. Die Wahrscheinlichkeit für über 65-Jährige, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, ist höher als bei Jüngeren. Im Jahr 2023 verunglückten insgesamt 53.093 Menschen im Alter von 65 oder mehr Jahren im Straßenverkehr. 1.071 von ihnen wurden getötet, weitere 11.485 schwer verletzt.

„Mehr als jeder dritte Verkehrstote ist über 65“, sagte Kirsten Lühmann, Präsidentin der Deutschen Verkehrswacht. Das sei dramatisch. Es gebe verschiedene Gründe für die hohen Zahlen: Im Alter würden etwa Verletzungen schwerwiegender. „Was bei einem jungen Menschen vielleicht mit einem einfachen Armbruch und vier Wochen Schonzeit gemacht ist, ist bei einem älteren Menschen dramatisch mit langer Liegezeit und Folgeschäden verbunden, teilweise auch bis zum Tod.“

Überforderung ein Problem?

Zum anderen lasse die körperliche Leistungsfähigkeit nach - das spiegele sich auch im Verkehrsverhalten wider. Untersuchungen der Verkehrswacht hätten ergeben, dass ältere Autofahrerinnen und -fahrer in einfachen Verkehrssituationen nicht schlechter reagierten als jüngere. Schwierig werde es bei komplexen Situationen, in denen mehrere Sachen gleichzeitig auf Fahrer einprasselten, etwa an unübersichtlichen Kreuzungen.

In Stade landete eine Seniorin ohne Fremdbeteiligung mit ihrem SUV am Salztorswall auf der Seite.

In Stade landete eine Seniorin ohne Fremdbeteiligung mit ihrem SUV am Salztorswall auf der Seite. Foto: Vasel

Auch Unfallursachen bei Autounfällen unterscheiden sich bei älteren Menschen von denen der jüngeren Altersgruppen. Fahrerinnen und Fahrern im Seniorenalter werde häufiger vorgeworfen, die Vorfahrt anderer Fahrzeuge missachtet zu haben. Auch Fehlverhalten beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren komme häufiger vor. Zu schnell oder unter Alkoholeinfluss gefahren zu haben, komme dagegen seltener als bei Jüngeren vor.

Zu viel Verkehr?

Christopher Spering, Unfallchirurg an der Universitätsmedizin Göttingen, sieht das Problem auch im Verkehrsraum Deutschland. Der sei völlig überfüllt. „Dieser überfüllte Verkehrsraum sorgt dafür, dass sich Menschen zunehmend nicht mehr sicher bewegen können, weil sie nicht mehr so schnell reagieren und ihre Sinneswahrnehmungen sie überfordern können“, sagte er.

Der große Faktor seien aber nicht die autofahrenden Senioren, sondern die „ungeschützten Verkehrsteilnehmer“, also Fußgänger und Radfahrer. Da komme auch die Elektromobilität ins Spiel, „die jetzt zum Beispiel 80- oder 90-Jährigen ermöglicht, mit einem Pedelec zu fahren, das sie auf eine Geschwindigkeit beschleunigt, die sie selbst per eigener Muskelkraft gar nicht mehr schaffen könnten“, sagte Spering. Auch da fehle oft die Fähigkeit, frühzeitig zu reagieren oder angepasst zu fahren - die Folge seien zum Teil schwere Unfälle.

Ein weiteres Problem laut Spering: Medikamente, damit wir mobil bleiben können im Alter. Früher seien Menschen schneller und öfter an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall gestorben, heutzutage werde dem Risiko bei Herzrhythmusstörungen schon präventiv mit einem Blutverdünner begegnet. „Wenn ein älterer Mensch auf den Kopf stürzt, kann das schon tödliche Folgen wie massive Hirnblutungen haben, aufgrund dieser Medikation.“

  • Hohes Verletzungsrisiko: Ältere Menschen schlecht geschützt

Ältere Autoinsassen haben einer Untersuchung zufolge ein deutlich höheres Verletzungsrisiko als jüngere Menschen. Für Pkw-Insassen der Altersgruppe 50 plus sei das Verletzungsrisiko bis zu dreieinhalbmal so hoch wie bei den Jüngeren, ergab eine Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV). „Alle schweren Crashkonstellationen sind für Insassen jenseits der fünfzig deutlich gefährlicher“, betonte Leiterin Kirstin Zeidler in Münster.

Die UDV hatte untersucht, wie stark etwa Alter, Geschlecht und Körpergröße von Insassen die Verletzungsschwere bei Unfällen beeinflussen. Zwar würden Autos immer sicherer und lediglich rund 14 Prozent der verunglückten über 50-jährigen Pkw-Insassen verletzten sich mäßig schwer bis kritisch - 2023 sei hier von rund 8.000 Personen auszugehen. Zu bemängeln sei aber, dass sich Gurte und Airbags wenig weiterentwickelt hätten und für die wachsende ältere Gruppe „nicht ideal“ seien.

Für Pkw-Insassen der Altersgruppe 50 plus ist das Verletzungsrisiko bis zu dreieinhalbmal so hoch wie bei den Jüngeren.

Für Pkw-Insassen der Altersgruppe 50 plus ist das Verletzungsrisiko bis zu dreieinhalbmal so hoch wie bei den Jüngeren. Foto: Christoph Reichwein/dpa

Solche Rückhaltesysteme arbeiten laut UDV meist mit maximaler Intensität und unabhängig von Unfallschwere oder Alter der Insassen. Dabei würden Kräfte entwickelt, die bei Älteren schneller zu schweren Brustkorbverletzungen führten, „weil Knochen brüchiger und die Muskulatur schwächer“ seien. Zeidler betonte laut Mitteilung, besser seien „adaptive“ Rückhaltesysteme. Je nach Crashszenario übten diese nur so viel Kraft wie nötig zum Schutz der Insassen aus. Die Expertin kritisierte zudem: „Die seit über 30 Jahren gebräuchlichen Crashtest-Dummys bilden die alternde Bevölkerung nicht ausreichend ab.“ Die modernste Dummy-Generation nannte sie aber einen Schritt in die richtige Richtung.

Auch Sitzplatz und Fahrzeuggröße sowie die Körpergröße der Insassen beeinflussen die Unfallfolgen, wie die Studie weiter ergab. Insassen in Kleinwagen würden deutlich schwerer verletzt als in größeren, schwereren Fahrzeugen. Und in kleineren Autos säßen häufiger Frauen, in größeren hingegen öfter Männer.

Kurse für besseres Fahrverhalten

„Die Leistungsfähigkeit ist etwas, was bei älteren Menschen einfach nachlässt, und zwar bei so gut wie allen“, sagt die Verkehrswacht-Präsidentin Lühmann. Sie plädiert deshalb für eine Anpassung des eigenen Fahrverhaltens. Bei teils kostenlosen Kursen der Verkehrswacht gebe es etwa Tipps für das Fahren im Alter. Etwa dieser: „Wenn Sie sich im Alter beim Schulterblick nicht mehr so umdrehen können, dann ist der Tipp, dass man die Kurve weiter ausfährt“, sagt Lühmann. Wird die Kurve weiter ausgefahren, könne man auch mit einem geringeren Schulterblick hinten mehr sehen.

Diskussionen um Führerscheinentzug bei älteren Menschen hält sie für überzogen. Freiwillige Abgaben, wenn der Fahrer sich selbst nicht mehr in der Lage sieht zu fahren, seien aber umso wichtiger. Doch Seniorinnen und Senioren - insbesondere auch auf dem Land - müssten mobil bleiben können.

Lühmann hält es deshalb für unabdingbar, den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) weiter auszubauen. „Die Alternative zum Auto kann nur der ÖPNV sein. Und solange der nicht ausgebaut ist, wird die Bereitschaft älterer Menschen auf dem Land, freiwillig ihre Fahrerlaubnis abzugeben, sehr niedrig bleiben.“

  • Umfrage: Mehrheit will Prüfungen für ältere Autofahrer

Für ältere Autofahrerinnen und Autofahrer sollte es aus Sicht vieler Menschen in Deutschland verpflichtende Feedback-Fahrten geben. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbandes hervor. Demnach sind 85 Prozent der 1207 Befragten der Meinung, dass Senioren ab dem Alter von 75 Jahren verpflichtend eine Fahrt mit einem Experten unternehmen sollten, der ihnen Rückmeldung gibt.

90 Prozent sagen von sich selbst, dass sie den Führerschein eines Tages freiwillig abgeben würden, die meisten würden dies demnach aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen (84 Prozent) tun.

Der Anteil älterer Menschen hinter dem Steuer nimmt aufgrund des demografischen Wandels immer mehr zu, wie der Geschäftsführer des TÜV-Verbandes, Joachim Bühler, betonte.

Die EU-Kommission hatte jüngst vorgeschlagen, dass ältere Menschen ihren Führerschein öfter als jüngere Menschen erneuern lassen müssen – und dafür medizinische Tests vorzulegen sind. Das Europäische Parlament hat dies aber abgelehnt. Es soll weiter die Entscheidung der Mitgliedsstaaten sein, ob sie verpflichtende regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen von Autofahrern einführen wollen.

Fahrfit im Alter: Wann ist Schluss mit dem Autofahren?

Um als älterer Mensch lange sicher Auto fahren zu können, sollte man sich immer selbstkritisch hinterfragen und auf mögliche Defizite achten, rät Katharina Lucà. Schaffe ich das noch mit dem Schulterblick? Kann die Verkehrszeichen noch richtig gut erkennen oder habe vielleicht auch Probleme in der Dunkelheit?“, nennt die ADAC-Sprecherin Beispiele. „Das sind definitiv Dinge, da sollte man schon in sich reinspüren“.

Auch generelle Unsicherheit, langsamere Reaktionszeiten am Steuer oder die steigende Häufigkeit von Beinaheunfällen sollten wachrütteln. Dann ist eine Untersuchung beim Hausarzt sinnvoll, um abzuklären, welche Defizite man hat oder wie diese noch behoben, korrigiert oder durch entsprechende Tipps und Maßnahmen kompensiert werden können. Schlimmstenfalls ist zu überlegen, ob die Fahrtauglichkeit noch gegeben ist.

Auch kann eine sogenannte freiwillige Rückmeldefahrt eine sinnvolle Maßnahme sein, die eigenen Fahrkünste im Alter neutral und im realen Verkehr checken zu lassen. Die Fahrten werden oft von Fahrschulen durchgeführt. Angebote gibt es auch etwa über Automobilclubs, Prüforganisationen und Landesverkehrswachten.

Im Prinzip ist das eine Kontrollfahrt im eigenen Auto im eigenen Umfeld. „Ein qualifizierter Fahrlehrer sitzt wie bei einer Fahrprüfung auch daneben und beobachtet“, sagt Katharina Lucà. Am Ende gibt es ein Protokoll mit Verbesserungstipps beim Fahren und Hilfestellungen.

Nicht mehr fit fürs Lenkrad mit 60 und voll der Fahrprofi mit 80?

Eine konkrete Altersangabe für Checks oder Rückmeldefahrten? Damit tut sich Lucà schwer. Auch jüngere Menschen können in ihrer Fahrtauglichkeit ganz oder phasenweise - etwa bei Krankheiten - eingeschränkt sein. Allerdings lassen körperliche Fähigkeiten generell mit dem Alter nach. Aber das sei sehr, sehr individuell. „Es gibt Menschen, die sind beispielsweise mit 60 vielleicht schon nicht mehr in der Lage, gut Auto zu fahren, und andere sind mit 80 aber noch topfit, was Bewegung, Sehen und Reaktionszeit angeht“, sagt Lucà. (dpa/tmn)

C
Carl-Heinz Thor Straten Wolf
27.11.202408:58 Uhr

Arbeiten bis 67, und man weiß ja nicht einmal wohin es sich noch entwickelt, das soll aber so okay sein, wie passt das bitte zusammen wenn für jenseits der 50 jährigen das Risiko dreieinhalb mal größer ist ? Die meisten werden wohl, zu mindestens aus den ländlichen Regionen, mit dem Auto zur Arbeit fahren. Hier jetzt verbindlich Tests zu machen nenne ich mal Abzocke. Ca. 50 Euro Neuausstellung Führerschein, ca. 120 Euro augenärztliches Gutachten, Gutachten vom Hausarzt auf Fahrtüchtigkeit kommt drauf an wie gut sie ihn kennen aber so um die 100 Euro werden es wohl, das waren die Preise vor 10 Jahren, und die Voraussetzung für den Führerschein KL 2 alle 5 Jahre. In dem Artikel oben wird aber genau dies gefordert, nur für Führerscheine der KL 3 und somit eine beachtliche Mehreinnahme.

J
Jochen Mextorf
26.11.202421:34 Uhr

Bei körperlicher Fitness (Reaktion, Sehvermögen) ist es ausschließlich eine Frage des Trainings, also nicht nur Aldi, Arzt und Apotheke, sondern 8-10 Tsd. km jährlich auch außerhalb der Ortschaft. Das Alter allein ist nicht ausschlaggebend.

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