„Klaasohm“-Nacht auf Borkum: Polizei zieht Bilanz

Die Klaasohms ziehen über die Insel von Haus zu Haus. Foto: Lars Penning/dpa
Eine Empörungswelle spüllte eine Jagd und Schläge gegen Frauen ans Licht. Nach heftiger Kritik wagte die Insel die Neuauflage - und wird dabei streng überwacht.
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Borkum. Nach heftiger Kritik an dem Nikolausbrauch Klaasohm auf der Nordseeinsel Borkum, bei dem es zuletzt zu gewaltsamen Übergriffen auf Frauen gekommen war, ist das Fest in diesem Jahr laut der Polizei friedlich verlaufen. „Wir konnten keine Körperverletzungsdelikte oder körperliche Übergriffe feststellen, die mit dem diesjährigen Klaasohm-Fest in Verbindung stehen“, sagte Malte Hagspihl, Sprecher der Polizeidirektion Osnabrück am frühen Freitagmorgen. Nach Schätzungen der Beamten hatten bis zu 600 Besucherinnen und Besucher friedlich in den Straßen der Insel gefeiert.

Zahlreiche Polizeiautos verlassen die Fähre in Emden. Polizei beendet mit der Rückreise den Einsatz auf Borkum. Foto: Lars Penning/dpa
Klaasohm wird unter den Borkumern auf Plattdeutsch auch der „hoogste Fierdag“, also der „höchste Feiertag“ genannt. Bei dem Nikolausbrauch wollten die Insulaner bislang eigentlich lieber unter sich bleiben, lange wurde um den Brauch auch ein Geheimnis gemacht – bis ein Bericht des ARD-Magazins „Panorama“ vergangene Woche gewalttätige Übergriffe auf junge Frauen bei einem vergangenen Fest auf der ostfriesischen Insel dokumentierte.
Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos) setzt darauf, dass die Zusage der Borkumer Jungens gilt. Dazu habe der Verein, wie in den Vorjahren schon, seinen Mitgliedern eine klare Ansage gemacht. „Das ist verboten und das ist dieses Mal noch eindringlicher gemacht worden“, sagt der Bürgermeister der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen das nicht mehr, auch wenn es früher so war. Wir distanzieren uns da ganz klar von.“
Frühere gewalttätige Übergriffe hätten dazu geführt, dass schon in den vergangenen zehn Jahren ein Umdenken begonnen habe. „Was wir uns vorwerfen müssen ist, dass wir da nicht mit Nachdruck hinterhergegangen sind“, sagte Akkermann. Nun werde es keine Gewalt mehr geben.

In einem Beitrag des ARD-Magazins „Panorama“ berichten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen. Foto: Lars Penning/dpa
Klaasohm-Übergriffe: Polizei zeigt Präsenz auf Borkum
Bei dem diesjährigen Fest am Vorabend vor Nikolaus waren die Borkumer daher nicht mehr unter sich: Die Polizei rückte mit zusätzlichen Kräften auf die Insel an und Dutzende Journalisten und Fernsehteams kamen, um zu berichten.

Nach vorläufigen Schätzungen der Polizei waren rund 500 Menschen auf den Straßen unterwegs. Bis zum späten Nachmittag sei „alles störungsfrei“ abgelaufen. Foto: Lars Penning/dpa
Ein Sprecher bestätigte zudem, dass Ende November dieses Jahres vier Anzeigen wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung bei der Polizei gestellt wurden. Sie bezogen sich auf Vorfälle, zu denen es an Klaasohm 2023 auf der Insel gekommen sein soll. Bislang seien diese Anzeigen nicht bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. „Hintergrund ist, dass die Verfahren noch laufen“, sagte Hagspihl. „Es kommt ein und dieselbe Person als Tatverdächtiger in Betracht.“
Der Verein Borkumer Jungens, der den Brauch veranstaltet, erklärte, den „Brauch des Schlagens“, der bis dahin ein Teil der Klaasohm-Tradition war, abzuschaffen. „Was ich Ihnen auf jeden Fall versichern kann ist, dass wir Gewalt gegen Frauen ab jetzt nicht mehr tolerieren“, bekräftigte Maxi Rau, der Vereinsvorsitzende vor dem Beginn des Fests auf einer Pressekonferenz.

Oldermann Maxi Rau ist Vorsitzender des Verein Borkumer Jungen (VBJ). Foto: Lars Penning/dpa
Klaasohm-Veranstalter: Werden Schläge nicht mehr tolerieren
Rau gab zu, selbst bei einem früheren Fest Frauen mit einem Kuhhorn geschlagen zu haben. „Ich habe mich entschuldigt“, sagte der Vorsitzende auf die Nachfrage eines Journalisten, ob er sein Verhalten hinterfragt habe.

„Klaasohm? Jetzt erst recht! Starke Borkumer Frauen für starke Borkumer Traditionen!“, steht auf dem Zettel. Foto: Lars Penning/dpa
Passiert sei dies 2018, als Rau selbst als einer von sechs sogenannten Klaasohms für die Tradition ausgewählt wurde. Ob es eine Entschuldigung bei einzelnen Frauen gab, blieb offen. Der Verein Borkumer Jungens veranstaltet den Brauch.
Reden mochte von den Inselbewohnern an diesem Abend kaum jemand über ihren in die Kritik geratenen Brauch. Dabei hatten am vergangenen Wochenende rund 200 Frauen auf der Insel ihre Solidarität mit dem Fest gezeigt und demonstriert.
Die Berichterstattung über die Schläge von Frauen habe die Insel unter einen Generalverdacht gestellt, kritisierten Insulaner. Diesem Verdacht trat der Bürgermeister entgegen. Er betonte, dass es außerhalb der Gruppe der Klaasohms keine Gewalt bei den Festen gegeben habe. „Dieser Eindruck, dass sich Frauen hier verängstigt über die Insel bewegen müssen, das ist nicht richtig.“ Die Folge der Berichte seien viele Anfeindungen, Drohungen und auch Urlaubsstornierungen gewesen, mit denen die Insel nun umgehen müsse.
Getöse in den Straßen und Sprung von einer Säule
Zwar wurde mit Kuhhörnern offenbar nicht mehr geschlagen, die Hörner blieben aber bei dem Fest überall gegenwärtig: Ab dem Nachmittag wurden die sechs ausgewählten Klaasohms in ihren Vereinslokalen abgeholt und in eine Halle geführt. Viele Borkumerinnen und Borkumern, die Kuhhörner an Kordeln umgebunden hatten, begleiteten den Zug mit lautem Tuten.

Der Lütje Klaassohm wird am Donnerstagnachmittag abgeholt. Foto: Lars Penning/dpa
Auch viele Familien, junge Mädchen und Kinder waren auf den Straßen unterwegs. Trotz Nieselregen und wenigen Grad über dem Gefrierpunkt war die Stimmung ausgelassen. „Moije Klaasohm“ riefen sich Borkumer auf Plattdeutsch zu, was so viel heißt wie „Frohes Klaasohm.“
Am frühen Abend kam es - der Tradition folgend - dann in einer Halle unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu einem symbolischen Kampf der Klaasohms. Danach liefen die Klaasohms unter großem Getöse auf festgelegten Routen durch die Stadt. Zu diesem Teil gehörte bislang auch der „Brauch des Schlagens“ mit den Kuhhörnern, den es nun nicht mehr gibt.

Zahlreiche Insulaner stehen für die Kämpfe an. Foto: Lars Penning/dpa
Die Klaasohms kehrten dann etwa bei der Feuerwehr und in einem Seniorenheim ein, um Moppe zu verteilen, ein Honigkuchengebäck. Außerdem machten sie Station in 26 privaten Häusern, deren Eigentümer sie eingeladen hatten. Danach sprangen sie wieder auf die Straße, rissen ihre Kuhhörner in die Höhe und zogen weiter. ..
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Das Fest erreichte seinen Höhepunkt schließlich gegen Mitternacht: Die Klaasohms sprangen waghalsig von einer meterhohen Säule und ließen sich in eine johlende Menschenmenge fallen. Bürgermeister Akkermann sagte danach: „Das war eines der schönsten Klaasohm-Feste, die ich erlebt habe.“ Nachdem klar kommuniziert worden sei, das Gewalt nicht toleriert werde, habe sich das Fest auf den eigentlichen Kern konzentriert. „Die Borkumerinnen und Borkumer haben heute ein Zeichen gesetzt, wie sehr sie dieses Fest lieben.“

Die Klaasohms springen zum Abschluss nacheinander von der Säule des Vereins Borkumer Jungens. Foto: Lars Penning/dpa
Historikerin: Klaasohm-Tradition weiter verändern
In dem „Panorama“-Beitrag hatten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen berichtet. Bei einer Umfrage in der Fußgängerzone sagte eine Seniorin mit Rollator: „Ich habe auch Schläge gekriegt.“ Sie sei kein Fan. Warum das Fest so wichtig sei, müsse der Reporter die Männer fragen. „Es ist ein reiner Männertag“, sagte die Frau.
Eine solche Diskussion hält auch die emeritierte Historikerin an der Universität Oldenburg, Katharina Hoffmann, für nötig. Dass der „Brauch des Schlagens“ abgeschafft wird, begrüßt die Wissenschaftlerin, die unter anderem 2020 zu Klaasohm geforscht hatte. „Die Borkumerinnen und Borkumer sind spät dran. Aber es ist gut, dass sie jetzt diesen Schritt gemacht haben. Dennoch ist es wichtig, sich weiterhin mit dem Brauch auseinanderzusetzen und ihn weiter zu verändern“, sagte Hoffmann der dpa.

Ab dem Nachmittag wird auf der rund 5.000 Einwohner zählenden Nordseeinsel das traditionelle Fest Klaasohm gefeiert. (Archivbild) Foto: Sina Schuldt/dpa
Denn allein ohne das Schlagen sei der Brauch aus ihrer Sicht „nicht unschuldig und unproblematisch“. Mit dem Fest werde nicht nur eine gewaltvolle Form von Männlichkeit verknüpft, auch werde eine Binarität der Geschlechter, weiblich und männlich, hergestellt. „Was ist mit den Leuten, die sich nicht so eindeutig verorten“, fragt die Forscherin, die auch eng mit dem Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung verbunden ist.
Hoffmann sagte, es wundere sie, dass viele Borkumer betonten, das Fest sei wichtig für die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl auf der Insel. „Das ist schon sehr irritierend, dass man ein solches Fest braucht, um zu spüren, wer man ist und wozu man gehört.“ Die Frage, die damit verbunden ist, sei: „Wer ist überhaupt Borkumer, wer ist Borkumerin? Gehören dazu Geflüchtete und Arbeitsmigrantinnen, die regelmäßig auf Borkum arbeiten?“ Eine Diskussion darüber, wie das Fest weiter reformiert werden kann, hält Hoffmann für nötig.
Krampus und Klausen als Touristen-Events
Eine Installation im Frühjahr im Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg mit dem Titel „Männerfeste - Moderne Bräuche in Deutschland“ analysierte neben Klaasohm noch andere Männerrituale. Denn während in der Arbeitswelt Frauen gegen Diskriminierung gerichtlich vorgehen können, halten sich im Bereich von Bräuchen und Traditionen weiterhin Männerbünde, die Frauen ausschließen und die eigene Überlegenheit zelebrieren.
Ostfriesisches Brauchtum
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In der Nacht zum Nikolaus oder am Nikolaustag treiben auch im Allgäu furchteinflößende Gestalten in Fellgewändern mit Tierköpfen oder Kappen mit Ochsenhörnern ihr Unwesen. Beim sogenannten Klausentreiben geht es laut der offiziellen Internetseite des Allgäus darum, böse Nachtgeister zu vertreiben. Statt Geistern würden heute vorwitzige Zuschauer gejagt.
Früher dienten die wilden Hiebe auf Passanten und Gegenstände nach Angaben des Klausenvereins Sonthofen dem Zweck, alles zu vertreiben, was sich bewegte oder verdächtig wirkte. „Heutzutage findet dies natürlich gesittet unter Beachtung bestimmter Regeln und Richtlinien durch die Klausen statt“, heißt es auf der Internetseite des Vereins. Die Klausen sind verkleidete junge Männer. In einigen Orten gibt es aber auch einen vergleichbaren Brauch für Frauen. Beim Bärbeletreiben treiben an Hexen erinnernde verkleidete Frauen ihr Unwesen und sind auch mit Ruten bewaffnet.
Krampus heißt eine gruselige Gestalt in Begleitung des Nikolaus in Österreich und Oberbayern. In vielen Gemeinden werden rund um den 6. Dezember Krampusläufe veranstaltet, junge Männer tragen Holzmasken, zottelige Fellkostüme und Glocken. Körperverletzungen kommen bei diesen Volksfesten immer wieder vor, dabei werden auch Krampusse von Zuschauern attackiert. Laut des Vereins Tourismus Oberbayern München sind die Krampusläufe heute zivilisierter als früher, dennoch gehe es dort immer noch rau zu.