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Deo-Missbrauch

Nächste Mutproben-Videos im Internet sorgen für Lebensgefahr

Auf der Haut führen die Deo-Sprühstöße zu Kälteverbrennungen. Teils wird der Inhalt bewusst in den Mund gesprüht und eingeatmet. Foto: dpa

Auf der Haut führen die Deo-Sprühstöße zu Kälteverbrennungen. Teils wird der Inhalt bewusst in den Mund gesprüht und eingeatmet. Foto: dpa

Erst Chili, jetzt Deo-Challenge: In den sozialen Netzwerken schlagen weitere gefährliche Nachahmervideos hohe Wellen. Erste Todesfälle unter Jugendlichen würden untersucht, warnt eine Bundesbehörde. Die Videos schockieren.

Montag, 25.09.2023, 07:00 Uhr

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Sich Deospray bis zur absoluten Schmerzgrenze auf eine Hautstelle sprühen oder es gar einatmen: Vor solchen gefährlichen, mitunter lebensbedrohlichen Mutproben warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Der Hintergrund: Derzeit kursiert in sozialen Medien eine sogenannte Deo-Challenge, bei der insbesondere Jugendliche Fotos und Videos von sich machen, wie das Institut berichtet.

„Inzwischen werden medial auch schon Todesfälle von Jugendlichen in Deutschland mit der Deo-Challenge in Verbindung gebracht.” Vom Nachahmen sei unabhängig vom Alter abzuraten. Die Aktionen seien stark gesundheitsgefährdend und könnten lebensgefährlich sein.

Massive Hautschädigungen möglich

Wenn man sich Deo lange auf eine Hautstelle sprühe, könnten im Extremfall innerhalb weniger Sekunden Temperaturabsenkungen auf bis zu -30 Grad erreicht werden, hieß es. Neben Schmerzen drohten massive Hautschädigungen, das betroffene Hautareal könne absterben.

„Kälteverbrennungen sind ein Spezialfall von Erfrierungen und zeigen ähnliche Symptome wie „klassische” Verbrennungen. Kommt eine sehr kalte Substanz mit der Haut in Kontakt, gefriert das Wasser in den betroffenen Hautzellen. Es bilden sich Eiskristalle, die dazu führen, dass die Proteine in diesem Bereich denaturieren, also ihre Struktur verändern und somit ihrer Funktion nicht mehr nachgehen können, erklären die Experten.

„Schmerzrezeptoren in der Haut funktionieren dann nicht mehr, was dazu führt, dass kein Schmerzsignal an das Gehirn mehr übermittelt werden kann, so dass das Besprühen fortgesetzt wird, obwohl schon eine massive Hautschädigung vorliegen könnte.”

In einer zweiten Variante der Mutprobe werden Aerosole von Deospray eingeatmet. Das kann laut BfR „unmittelbar zu Bewusstseinsverlust, Herzversagen und Atemlähmung führen”. Schwere Verläufe könnten tödlich enden oder zu einem dauerhaften Hirnschaden führen.

„Lebensbedrohlich“: Hot Chip Challenge führt zu Notarzteinsätzen

Zuvor hatte das Bundesinstitut bereits vor Mutproben mit bestimmten Chips oder anderen extrem scharfen Lebensmitteln gewarnt. Das Institut ging explizit auf die in sozialen Medien kursierende „Hot Chip Challenge“ ein. Die Herausforderung besteht darin, besonders scharfe Maistortilla-Chips zu essen, die stark mit Carolina Reaper gewürzt sind, der angeblich schärfsten Chilisorte der Welt. Im Internet gibt es zahlreiche Videos von Menschen, die an der Mutprobe teilnehmen.

Die Chips sollen dabei bis zu 500-mal schärfer sein als Tabasco-Soße. Das Problem: Die Chips sind auch bei örtlichen Supermärkten und natürlich auch bei Online-Versandhändlern in unterschiedlichsten Ausführungen erhältlich.

7 Tipps: So schützen Eltern Kinder vor riskanten Mutproben

Für Likes und anerkennende Kommentare überschreiten Jugendliche Grenzen. Das beunruhigt vor allem Eltern. Wie kommen sie gegen möglichen jugendlichen Gruppenzwang an, und wie können sie ihre Kinder schützen? 7 Tipps von Experten:

1. Eltern sollten selbst bei keinen Challenges mitmachen

„Wenn ich will, dass mein Kind keine gefährlichen Challenges annimmt und sich auf TikTok und Co. inszeniert, sollten Eltern selbst auch bei keinen Online-Herausforderungen mitmachen - und seien sie vermeintlich noch so harmlos“, empfiehlt Kira Liebmann, Gründerin der Akademie für Familiencoaching im bayerischen Maisach. Wenn Eltern Kindern etwa Eier auf den Kopf hauen, sollten sie bedenken: „Wenn ich es mache, könnte es das Kind nachmachen. Oder schlimmer, mich versuchen zu übertrumpfen“, so Liebmann.

2. Guten Draht bereits in Friedenszeiten legen

Ihr zweiter Tipp setzt bereits in der Vorpubertät an, wo Eltern noch einen guten Draht zu ihren Kindern haben: „Halten Sie bereits in friedlichen Zeiten Verbindung und Kontakt zu dem Kind.“ So könne man stets fragen, was gerade Trend ist und was sie so für Videos drehen.

„So hat man die Chance, den Draht auch in schwierigen Zeiten weiter zu nutzen. Fängt man damit zu spät an, stößt man auf taube Ohren. Das Kind reagiert dann ablehnend unter dem Motto „Was willst Du denn?““, sagt die Pubertätsexpertin. Für sie sollte es normal sein, mit dem Kind über Medien zu sprechen.

3. Ruhe bewahren und Gespräch suchen

Geraten Eltern in Panik, dass ihr Kind bei lebensgefährlichen Challenges mitmachen könnte, empfiehlt Kira Liebmann, Ruhe zu bewahren und sich im Netz fortzubilden, was gerade für Challenges angesagt sind. Sie würde dann das Gespräch suchen und etwa fragen: „Ich habe von der Deo-Challenge gelesen. Wie findest du das? Hast du die auch schon gemacht?“

4. Keine pauschale Unterstellungen, jeden Quatsch mitzumachen

Eltern sollten sich zudem ihren Jugendlichen genau anschauen. Denn nicht alle setzen ihr Leben aufs Spiel. „Man sollte sich bewusst sein, die Challenges sind keine Massenphänomene, sondern Einzelphänomene“, beruhigt die Erziehungsexpertin.

Eltern sollten sich fragen: „Neigt mein Kind überhaupt dazu? Wenn man ihm unterstellt, jeden Quatsch mitzumachen, dann könnte es dazu führen, dass es erst den Kick sucht“. Sei das der Fall, sollte man mit der Schule Kontakt aufnehmen. Dort könnten Vertrauenslehrer helfen, über die Gefährlichkeit aufzuklären, wenn Eltern das Kind nicht mehr erreichen.

5. Von klein auf lernen, auch „Nein“ zu sagen

„Trotz allem Gruppenzwang, bei dem sich Jugendliche beweisen wollen, sollten sie von klein auf ermutigt werden, auch Nein zu sagen“, rät Liebmann. Dass klappe um so besser, wenn man den Kindern vorlebt, auch öfter „Nein“ zu sagen oder „Das will ich nicht“ anstatt alles zu erdulden. Im Gespräch könne man erklären, dass die Videos kein harmloser Spaß sind, und das Kind nicht Sachen machen muss, nur um vor den Freunden gut dazustehen.

6. Gründe für die Challenge hinterfragen

Die Initiative „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“ empfiehlt Eltern zudem, im Gespräch die Gründe zu hinterfragen, warum User überhaupt an Challenges teilnehmen. Empfinde das Kind Druck, bei allen Trends mitzugehen und sich im Netz zu inszenieren, solle man Kinder bestärken, anders zu sein: Es muss nicht überall mitziehen.

7. Like-Funktion ausschalten sorgt für Entlastung

„Gemeinsames Reflektieren mit dem Kind helfe ihm zu verstehen, dass vor allem innere Werte bei zwischenmenschlichen Beziehungen zählen, nicht bloß die Anerkennung über soziale Netzwerke“, erklären die Medienexperten. Ihr Tipp: Manchmal empfinden Kinder es auch als Entlastung, wenn die Sichtbarkeit von Likes bei ihnen selbst oder generell bei allen Beiträgen ausgeschaltet wird. (dpa/tmn)

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