Darum soll bei Airbus die Nachtschicht ausfallen

Verhandlungsführerin Lena Ströbele fordert Bewegung bei den Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie. (Archivbild) Foto: Marcus Brandt/dpa
Die Friedenspflicht in der deutschen Metall- und Elektroindustrie läuft ab. Schon um 0.01 Uhr soll das Werkzeug vielerorten fallen gelassen werden. Worum es im Tarifkonflikt geht.
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Hamburg/Bremen/Kiel. Überschattet von drastischen Sparplänen beim Autobauer VW beginnt die IG Metall mit flächendeckenden Warnstreiks in der deutschen Metall- und Elektroindustrie. Die jeweils mehrstündigen Ausstände sollten in einzelnen Betrieben schon um Mitternacht beginnen, wie die Gewerkschaft in Frankfurt angekündigt hat. Die Friedenspflicht in den Tarifverhandlungen für rund 3,9 Millionen Beschäftigte ist am Montag abgelaufen.
Gestreikt wird ab der Nacht zum Dienstag unter anderem beim Flugzeughersteller Airbus, beim Kranhersteller Liebherr in Rostock, beim Kabelproduzenten NKT in Nordenham und bei Krones in Flensburg.
Bei Tarifverhandlungen in der Vergangenheit haben die ersten Beschäftigten bereits um 0.01 Uhr in ihren Nachtschichten „den Hammer fallengelassen“.
Nächtliche Proteste sind auch am VW-Werk in Osnabrück geplant, wo die neue IG-Metall-Tarifvorständin Nadine Boguslawski sprechen wird. Das von der Schließung bedrohte Werk fällt nicht unter den VW-Haustarifvertrag, sondern gehört zum Flächentarif. Hier wird die enge Verknüpfung der Tarifrunde mit den Problemen beim größten deutschen Autobauer sichtbar. Nach Angaben des Betriebsrats stehen Werksschließungen und Massenentlassungen auf der Agenda des Vorstands, der die Pläne im Detail zunächst nicht bestätigt hat.
IG Metall: Flächendeckende Warnstreiks für mehr Kaufkraft
Hauptargument der IG Metall für deutliche Lohnsteigerungen ist die fehlende Kaufkraft der Beschäftigten nach Jahren mit hoher Inflation. Die Erste Vorsitzende Christiane Benner erklärte dazu: „Das magere Angebot der Arbeitgeber verkennt den Ernst der Lage. Unsere 3,9 Millionen Kolleginnen und Kollegen in der Branche brauchen mehr Geld. Mit der zusätzlichen Kaufkraft stärken wir auch die Konjunktur.“
Der Arbeitgeberverband Nordmetall fordert in der dritten Verhandlungsrunde der Metall- und Elektroindustrie einen zügigen Abschluss. „Wir haben mit unserem frühen Angebot eine gute Basis gelegt, aber jetzt muss Bewegung in die Verhandlungen kommen“, sagte die Nordmetall-Verhandlungsführerin Lena Ströbele der Deutschen Presse Agentur. Ein zügiger Abschluss gelinge nur, wenn man nicht pauschal auf dem eigenen Standpunkt beharre, sondern die Lage realistisch bewerte.
„Wir haben unsererseits mit dem Angebot, was wir gemacht haben, gezeigt, dass wir dafür bereit sind“, betonte Ströbele. Die Arbeitgeber haben flächendeckend ein erstes Angebot vorgelegt, das bei einer Laufzeit von 27 Monaten in zwei Stufen auf eine Steigerung um 3,6 Prozent kommt. Die erste Stufe von 1,7 Prozent solle dabei erst im Juli 2025 greifen.
Zudem müsse klar sein, „dass mit mehr Streik sich die Gesamtlage in unserer Wirtschaft nicht verändert“, so die Verhandlungsführerin. Eine bessere wirtschaftliche Lage könne nicht „herbeigestreikt“ werden. Arbeitgeber wie Gewerkschaften hätten eine Verantwortung, für alle Beteiligten eine faire Lösung mit langer Planungssicherheit zu schaffen.
Nicht bis fünf nach zwölf warten
„Alle Unternehmerinnen und Unternehmer, die da momentan betroffen sind, hätten nichts lieber als eine bessere wirtschaftliche Lage“, erklärte Ströbele. Doch derzeit stecke die deutsche Wirtschaft in einer strukturellen Krise. So habe sich der Beschäftigungsabbau zuletzt weiter beschleunigt und 28 Prozent der Metall- und Elektrobetriebe planten mit Kurzarbeit. Gleichzeitig gingen Insolvenzen hoch und die Auftragslage runter.
Dies seien Probleme, denen sich die Tarifparteien stellen müssten – mit einem schnellen und tragfähigen Abschluss bei den Verhandlungen, aber auch durch Botschaften in Richtung der Politik. Dazu gehöre etwa Bürokratieabbau, Steuerentlastungen für Unternehmen sowie eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Ströbele unterstrich: „Die Themen bleiben die gleichen, die wir jetzt auch schon viel zu lange diskutieren.“
Nach Ansicht der Verhandlungsführerin werde in Deutschland allerdings immer eher „auf fünf nach zwölf“ gewartet, bevor Themen anders angegangen werden: „Das können und sollten wir uns nicht weiter leisten.“
Forderungen der Gewerkschaften
Vom Angebot der Arbeitgeber sind die Forderungen der IG Metall hingegen noch weit entfernt. Sie fordert bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für die Beschäftigten 7 Prozent mehr Geld und überproportional 170 Euro im Monat mehr für die Auszubildenden. Außerdem will sie mehr Beschäftigten die Wahlmöglichkeit zwischen freier Zeit und Bezahlung eröffnen.
Ungeachtet der Warnstreiks gehen die Verhandlungen in elf Regionen parallel weiter. Den Anfang der dritten Verhandlungsrunde machen die Tarifgebiete Küste und Niedersachsen bereits an diesem Dienstag. Die übrigen Gebiete folgen bis zum 5. November. In den Gesprächen wird geschaut, wo eine Annäherung möglich scheint. Wenn sich ein Pilotbezirk herauskristallisiert, wird dort stellvertretend zu Ende verhandelt. Dabei können sich auch die zentralen Einheiten einschalten, also der Dachverband Gesamtmetall in Berlin und der Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Wenn es ein Ergebnis gibt, wird dies in den folgenden Tagen auf die anderen Tarifgebiete übertragen.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat davor gewarnt, mit den Warnstreiks unrealistische Erwartungen bei den Beschäftigten zu schüren. Präsident Stefan Wolf sagte dem Portal T-Online: „Ich habe den Eindruck, die IG Metall hat verstanden, was auf dem Spiel steht. Da sich die wirtschaftliche Lage quasi wöchentlich verschlechtert, dürfte sie auch ein Interesse an einem schnellen Abschluss haben.“ Für die Beschäftigten bedeute das Angebot nach jetzigem Stand eine Reallohnsicherung und sei daher eine gute Verhandlungsgrundlage.
Wie wahrscheinlich sind reguläre Streiks?
Zum jetzigen Zeitpunkt sind reguläre Streiks sehr unwahrscheinlich, auch wegen des bereits früh in der zweiten Runde vorgelegten Angebots. Der letzte reguläre Streik mit vorheriger Urabstimmung datiert aus dem Jahr 2002, als laut Zählung der Arbeitgeber 166 Betriebe in Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg bestreikt wurden. Die IG Metall betont zwar stets ihre volle Streikkasse, geht aber selten diesen letzten Schritt. In der Tarifrunde 2022 hat der damalige Verhandlungsführer Roman Zitzelsberger nach eigenem Bekunden mit Urabstimmung und Streik gedroht.