Innenministerin gegen allgemeines Böllerverbot in Niedersachsen

Feuerwerk explodiert am Himmel über dem Maschsee und dem Neuen Rathaus in Hannover. Foto: Michael Matthey/dpa
Für Daniela Behrens wird dieses Silvester das erste als Innenministerin. Trotz der Ausschreitungen beim vergangenen Jahreswechsel hält sie ein Böllerverbot für wenig zielführend. Das sehen nicht alle Deutschen so, wie eine Umfrage zeigt.
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Hannover. Rund einen Monat vor Silvester hat sich Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens gegen ein allgemeines Böllerverbot ausgesprochen. „Ich beobachte durchaus mit Sorge, dass jährlich Tausende Menschen Verletzungen durch Feuerwerkskörper erleiden und damit zum Jahreswechsel auch die Rettungskräfte und die Polizei immer stark gefordert sind“, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Zudem hätten Böller eine unrühmliche Rolle bei den Silvesterkrawallen im vergangenen Jahr gespielt. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger friedlich und verantwortlich mit dem Feuerwerk am Silvesterabend umgeht“, sagte Behrens.

Daniela Behrens (SPD), Innenministerin Niedersachsens, spricht sich gegen ein generelles Feuerwerksverbot aus. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Fraglich sei auch, ob ein Verbot die Krawallmacher überhaupt treffe, weil diese häufig ohnehin verbotenes Feuerwerk einsetzten. „Ich halte daher die Einrichtung von Feuerwerksverbotszonen durch die Kommunen, insbesondere durch die größeren niedersächsischen Städte, für zielführender“, sagte Behrens. Die Polizei werde die Einhaltung dieser Verbote am Silvesterabend konsequent durchsetzen.
Umweltschützer und Polizeigewerkschaft fordern Böllerverbot
In der vergangenen Silvesternacht war die Polizei in Niedersachsen zu 3245 Einsätzen ausgerückt. Dabei wurden 34 Angriffe auf Angehörige der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste festgestellt.
Unter anderem die Umwelthilfe und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) machen sich für ein bundesweites Böllerverbot stark. Sie verweisen dabei auf die Zahl der Verletzten an Silvester, den Aufwand für die Einsatzkräfte, Schadstoffe in der Luft und Panik bei Tieren. Einen offenen Brief für ein „böllerfreies Silvester“ haben laut Umwelthilfe bereits mehr als 166.000 Menschen unterschrieben.
„Angesichts der enormen Schadstoffproduktion, den Müllansammlungen, dem hohen Unfallrisiko, dem Stress für viele Menschen und Tiere und nicht zuletzt den Angriffen auf Sicherheitskräfte im letzten Jahr plädieren wir für zentral organisierte Feuerwerke, wie es in vielen anderen Ländern auch üblich ist“, teilte die GdP Niedersachsen mit.
Nur wenig Rettungseinsätze wegen Feuerwerk
Die Johanniter-Unfall-Hilfe erklärte, Feuerwerksverbote seien mit Blick auf die Umwelt und den Tierschutz eine Überlegung wert. Unfälle mit Feuerwerk machten allerdings einen eher geringen Anteil der Rettungseinsätze an Silvester aus. „Hier steht weiterhin an erster Stelle der ungehemmte Konsum von Alkohol“, so die Johanniter.
Der Landesverband privater Rettungsdienste in Norddeutschland (LPR Nord) lehnt ein allgemeines Böllerverbot ab. In bestimmten Bereichen, etwa Ballungsgebieten, halte man ein Verbot von Pyrotechnik für angemessen. Ein generelles Verbot treffe aber auch diejenigen, die friedlich die Silvestertradition feierten.
Umfrage: So stehen Deutsche zum Böllern
Das große Böllern und Raketenzünden zum Jahreswechsel sieht die Mehrheit der Menschen in Deutschland einer Umfrage zufolge negativ.
Entschiedene Gegner des Feuerwerks sind ein Drittel der Bundesbürger (34 Prozent), wie das Meinungsforschungsinstitut Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ermittelte. Weitere 19 Prozent sagten, dass sie Böller und Raketen „eher nicht“ mögen. „Voll und ganz“ für das traditionelle Silvesterfeuerwerk sind demnach 14 Prozent.

Viele Menschen sind laut einer Umfrage keine Fans vom großen Böllern und Raketenzünden an Silvester. Foto: Sebastian Willnow/dpa
Am stärksten ist die Ablehnung von Silvesterfeuerwerk in der Gruppe der Menschen über 55 Jahren: 46 Prozent der Älteren mögen Böller und Raketen überhaupt nicht. Am beliebtesten ist die Knallerei in der Altersgruppe 35 bis 44. Männer mögen Böller und Feuerwerk in allen Altersgruppen mehr als Frauen, wie die repräsentative Befragung ergab.
„Bestimmt“ haben lediglich 8 Prozent der Befragten vor, in diesem Jahr selbst Böller oder Feuerwerk zu zünden. Weitere 9 Prozent wollen das „wahrscheinlich“ machen, 11 Prozent „vielleicht“. Dass sie an Silvester bestimmt keine Feuerwerkskörper zünden wollen, sagen 55 Prozent der Befragten. Weitere 13 Prozent wollen dies „wahrscheinlich nicht“ tun.
Hälfte gegen Böller in Händen von Laien
Genau die Hälfte der Befragten (50 Prozent) ist gegen Böller und Feuerwerk in privaten Händen. Für ein ausnahmsloses Verbot von Silvesterfeuerwerk in Deutschland plädiert ein Viertel (24 Prozent).
Dass es nur organisiertes Feuerwerk geben sollte, wie etwa auf der Feiermeile am Brandenburger Tor in Berlin, finden weitere 26 Prozent. Für privates Feuerwerk bei gleichzeitigen Böllerverbotszonen etwa in Altstädten - so wird es derzeit in etlichen Städten geregelt - sind 31 Prozent. Dass Böller und Feuerwerk an Silvester überall im Land ohne Ausnahmen erlaubt sein sollten, finden 14 Prozent.
Sorge vor Krawall mit Böllern
Polizisten ist das private Feuerwerk zunehmend ein Dorn im Auge. Nötig sei „eigentlich schon lange“ ein bundesweites Verbot von privatem Feuerwerk verbunden mit einem Verkaufsverbot, sagt etwa der Berliner Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Stephan Weh. Zentrale Profi-Feuerwerke sollten die „Privatböllerei“ in der Hauptstadt ersetzen.
Der Hintergrund: In der letzten Silvesternacht randalierten in mehreren Berliner Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten junge Männer mit Böllern und Raketen. Dabei warfen und schossen sie auch Knallkörper auf Polizisten und Feuerwehrleute. Ähnliche Szenen spielten sich auch in anderen Großstädten ab.
Viele Feuerwehrleute berichteten, solche Angriffe in den Silvesternächten seien in vielen Städten „normal“ geworden. Auch bei Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost sowie bei Halloween-Ausschreitungen wurden zuletzt Böller auf Einsatzkräfte geworfen.
Die meisten feiern drinnen
Silvester feiern um Mitternacht auf der Straße inmitten von Böllern und Raketen - so macht das der Umfrage zufolge nur eine Minderheit in Deutschland (22 Prozent). 66 Prozent verbringen die Stunden des Jahreswechsels lieber innerhalb der eigenen vier Wände oder im Haus von Verwandten und Freunden. Weitere vier Prozent stoßen in einem Restaurant oder einer Bar aufs neue Jahr an.
Erschreckte Tiere, Müll, Verletzungsgefahr
Die Sorge, Haus- und Wildtiere zu erschrecken, spricht für 44 Prozent der Befragten mit am stärksten gegen Böller und Raketen. Den Müll auf den Straßen nennen 39 Prozent als eines ihrer drei stärksten Gegenargumente, die Verletzungsgefahr 30 Prozent.
Weitere häufig genannte Nachteile: die Belastung von Notfallmedizinern und die Feinstaubbelastung der Luft (je 27 Prozent) sowie die Belastung von Feuerwehr und Polizei (23 Prozent). „Für mich spricht nichts gegen Böllern und Feuerwerk an Silvester“ sagen 7 Prozent.
„Angstbesetzter Abend“ vs. „Lichtblick“
Insbesondere das Thema Feinstaubbelastung ist für das Umweltbundesamt Grund zur Sorge: Jährlich würden rund 2050 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt werden, hieß es auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Der größte Teil davon in der Silvesternacht. Diese Menge entspricht in etwa einem Prozent der gesamt freigesetzten Feinstaubmenge in Deutschland.“ Das Einatmen von Feinstaub gefährde die menschliche Gesundheit – und zwar bei kurzfristig hoher wie auch bei langfristig erhöhter Belastung.
Das Umweltbundesamt spricht sich allerdings gegen ein generelles Verbot von Silvesterfeuerwerk aus, „da Traditionen und Bräuche Teil unseres Lebens sind und dies auch bleiben sollen.“ Man rufe jedoch dazu auf, einen Beitrag zur Verminderung der Feinstaubbelastung und des Lärms in der Silvesternacht zu leisten.
Für ein Verbot hingegen ist die Deutsche Umwelthilfe. Es bedürfe eines umfassenden Verkaufs- und Verwendungsverbotes für Pyrotechnik, forderte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. „Die Bundesregierung muss hier eine klare Linie ziehen und nicht die Verantwortung auf die 11.000 Kommunen abwälzen.“ Attacken gegenüber Einsatzkräften, Tiere in Todesangst, Müll und Gesundheitsgefährdung machten Silvester für viele zu keiner Feier, sondern einem „angstbesetzten Abend“.
Der Bundesverband Pyrotechnik hält dagegen: „Insbesondere in Zeiten hoher Belastungen ist das Feuerwerk zum Jahreswechsel für viele Menschen von besonderem Wert. Feuerwerk bedeutet einen Lichtblick und markiert einen kurzen und besonderen Moment der Ausnahme vom Alltag“ - so sehen es die Hersteller.
Deutlich mehr Feuerwerkskörper importiert
Einen guten Monat vor Silvester zeichnet sich ein kräftiges Feuerwerk zum Jahresende ab. Laut Statistischem Bundesamt sind in den ersten drei Quartalen deutlich mehr Feuerwerkskörper importiert worden als in den von Corona und Lockdowns gekennzeichneten Vorjahren. Rund 24 400 Tonnen bedeuteten fast die vierfache Menge des Vergleichszeitraums im Vorjahr, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag berichtete. 95 Prozent der Waren kamen aus China. Das Vor-Corona-Niveau aus dem Jahr 2019 mit 29 800 Tonnen wurde aber nicht wieder erreicht.
Anders sieht das bei den Exporten aus: 4900 Tonnen Böller und Raketen bedeuteten ein deutliches Plus zum Vorjahr (2700 Tonnen) und zum Jahr 2019 (2000 Tonnen). Mit einem Anteil von 73 Prozent waren die Niederlande größter Abnehmer des in Deutschland hergestellten Feuerwerks. (dpa)