Schicksalstage für die Ukraine: Wie kann Europa noch helfen?
Keine erzwungene Kapitulation: Der französische Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Friedrich Merz wollen versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Foto: Thomas Mukoya/Pool Reuters/AP/dpa
US-Präsident Trump hat die Ukraine und die Europäer mit seinem neuen Friedensplan geschockt. Kann daraus trotzdem noch eine Chance für eine gerechte Beendigung des Krieges werden?
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Johannesburg. Der Ernst der Lage ist herauszuhören, als Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Johannesburg beim G20-Gipfel vor die Kameras tritt. Kurz vorher hat er mit den europäischen Staats- und Regierungschefs über die Friedensinitiative von US-Präsident Donald Trump beraten. Über jenen Plan, der nicht nur den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sondern auch seine europäischen Verbündeten schockiert. Japan und Kanada reihen sich ein. Es sind quasi alle zusammengetrommelt, die die Ukraine in der entscheidenden Phase des Abwehrkampfes gegen Russland nicht im Stich lassen wollen.
Es geht darum, den für die Ukraine schlichtweg inakzeptablen Friedensplan vielleicht doch noch in die richtige Spur zu bringen. Und das unter massivem Zeitdruck. Bis Donnerstag will Trump ein Ergebnis. Sein Vorschlag sieht zum Beispiel vor, dass die Ukraine auch bislang noch verteidigte Gebiete an Russland abtritt, ihre militärischen Fähigkeiten beschränkt und die Nato einen Verzicht auf jegliche Erweiterung erklärt. Das käme einer Kapitulation gleich.
Erzwungene Kapitulation, diktierter Frieden?
Für die Europäer ist der Umgang mit dem amerikanischen Plan ein hochriskanter Drahtseilakt. Sie sehen das große Risiko, dass sich die Sicherheitslage für sie noch einmal verschlimmern könnte, sollten dem Aggressor Russland nun weitreichende Zugeständnisse gemacht werden.
Zugleich sind viele Staats- und Regierungschefs zu Hause mit kriegsmüden Wählerinnen und Wählern konfrontiert, die die kostspielige Unterstützung für die Ukraine mehr und mehr infrage stellen. Mittlerweile wurden von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten knapp 190 Milliarden Euro mobilisiert.
Kritisch wird auch gesehen, dass seit einer Lockerung von Reisebeschränkungen zahlreiche junge ukrainische Männer ihre Heimat in Richtung EU verlassen, um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. Warum soll man das Land weiter unterstützen, wenn nicht einmal junge Ukrainer für die Zukunft ihres Landes kämpfen wollen, lautet die Frage.
Kaum Druckmittel gegen Trump
Problem für die Europäer ist, dass sie gegen US-Präsident Trump kaum Druckmittel in der Hand haben. Etliche Spitzenpolitiker haben in der Vergangenheit offen zugegeben, dass der Versuch, die Ukraine ohne die USA zu unterstützen, vermutlich aussichtslos wäre. Ganz einfach, weil dafür die notwendigen militärischen Fähigkeiten fehlten. So gelten zum Beispiel amerikanische Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot auf absehbare Zeit als unverzichtbar, um den ukrainischen Luftraum gegen ukrainische Drohnen und Raketenangriffe zu verteidigen. Ähnliches gilt für die US-Geheimdienstinformationen und weitreichende Raketenwerfer.
Hinzu kommt, dass der kostspielige und riskante Versuch, es doch zu versuchen, der Bevölkerung in etlichen Ländern vermutlich sehr schwer zu vermitteln wäre. Innerhalb der EU können weitreichende Pläne für mehr Unterstützung für die Ukraine schon heute nicht mehr durchgesetzt werden, weil sie eine einstimmige Zustimmung erfordern und Länder wie Ungarn und die Slowakei blockieren.
Europäer wollen Trump zum Umdenken bringen
Die Europäer wollen deswegen nun versuchen, Trump davon zu überzeugen, dass die Umsetzung des vorliegenden Plans auch für Amerika eine brandgefährliche Sache wäre. Dabei können sie etwa argumentieren, dass sie China motivieren könnte, sich gewaltsam Taiwan einzuverleiben.

Von Europäern wird Trump vorgeworfen, zu stark auf Forderungen von Russlands Präsident Wladimir Putin einzugehen. (Archivbild) Foto: Jae C. Hong/AP/dpa
Hoffnung ist dabei, dass es so laufen könnte wie im Sommer. Auch damals hatte es nach dem persönlichen Treffen von Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin in Alaska schon die große Befürchtung gegeben, dass der Ukraine eine Zustimmung zu einem Friedensvertrag aufgezwungen wird. Die Europäer schafften es dann aber, Trump zu einem Umdenken zu bringen. Ein geplantes zweites Treffen in Budapest kam bislang nicht zustande. Stattdessen ließ Trump sogar neue Sanktionen gegen russische Energieunternehmen verhängen.
Widersprüche bei Urheberschaft des Plans
In der Nacht kam es zu einem ungewöhnlichen öffentlichen Widerspruch über die Urheberschaft des Plans. Zwei US-Senatoren erklärten, Außenminister Marco Rubio habe sie in einem Telefonat unterrichtet, dass der Plan gar nicht in Washington entstanden sei. Der republikanische Senator Mike Rounds erklärte, der Plan sei von einem Repräsentanten Russlands an die US-Regierung herangetragen worden. Der parteilose Senator Angus King sagte unter Berufung auf das Gespräch mit Rubio, der Plan sei „im Wesentlichen die Wunschliste der Russen“.
Kurze Zeit später widersprach ihnen der Minister aber auf der Plattform X und betonte, dass die USA Urheber des Plans seien. Dieser diene „als solider Rahmen für die laufenden Verhandlungen“. Er sei von den USA erstellt worden und basiere auf „Anregungen der russischen Seite, aber auch auf früheren und aktuellen Beiträgen der Ukraine“, schrieb Rubio.
Erste Kontaktaufnahme am Sonntag
Aber wie geht es nun konkret weiter? Heute gibt es die erste direkte Kontaktaufnahme zwischen den USA und der Ukraine und ihren wichtigsten europäischen Verbündeten auf Ebene der außenpolitischen Berater der Staats- und Regierungschefs. Für Deutschland reist Merz‘ Top-Diplomat Günter Sautter nach Genf. Zuvor hatte am Abend der Nationale Sicherheitsrat unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers zum Thema Ukraine getagt, wie Regierungssprecher Stefan Kornelius mitteilte. Großbritannien und Frankreich sind in Genf auch dabei, außerdem die EU-Kommission und wohl auch Italien.
Nach diesem Treffen wird man etwas klarer sehen, ob es Chancen gibt, die US-Friedensinitiative auf ein breiteres Fundament zu stellen, das auch die Europäer mittragen können. Sie gehen vorbereitet in das Treffen und haben am Samstag Änderungsvorschläge nach Washington geschickt.
Es liegen also zwei Dokumente auf dem Tisch, wenn am Sonntag die Verhandlungen in Genf beginnen. Dann bleiben bis zu der von Trump gesetzten Frist nur noch vier Tage Zeit. Einen Hoffnungsschimmer gab es am Samstagabend. Trump verneinte in Washington die Frage einer Reporterin, ob sein Friedensplan denn nun das letzte Angebot sei. „Wir versuchen, die Sache auf die eine oder andere Weise zu beenden“, fügte er hinzu.

Der Krieg in der Ukraine hat bereits Hunderttausende Opfer gefordert - US-Präsident Donald Trump will ihn beenden. Um jeden Preis? (Archivbild) Foto: Vlad Kravchuk/AP/dpa