„Überfällig“: Europarat ebnet Weg für Wolfsabschuss

Die Debatte um den Wolf wird emotional geführt - auch im Kreis Stade (Archivbild). Foto: Sina Schuldt/dpa
EU-Politik mit großen Auswirkungen auf den Landkreis Stade: Der Schutzstatus soll herabgesetzt werden. So fallen die ersten Reaktionen aus.
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Straßburg/Landkreis. Der Europarat ebnet den Weg für ein schärferes Vorgehen gegen Wölfe. Der zuständige Ausschuss stimmte einem entsprechenden Antrag der EU-Staaten zu, den Schutzstatus abzusenken. Bevor dies in Deutschland gelten kann, muss aber noch das EU-Recht geändert werden.
Der Europarat ist von der EU unabhängig. Eine unmittelbare Wirkung ergibt sich noch nicht. Das heißt: Zunächst muss die EU-Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie die entsprechende Richtlinie geändert werden soll, was daraufhin im EU-Parlament und im EU-Ministerrat erneut zu verhandeln und zu beschließen ist. Voraussichtlich geht es dann ab Ende 2025 oder Anfang 2026 um Umsetzung und Konkretisierung in Deutschland.
Hintergrund des Antrags ist, dass sich nach EU-Angaben die Zahl der Wölfe in Europa innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt hat. Die Zahl der in der EU vom Wolf getöteten Nutztiere, meist Schafe und Ziegen, wird auf mindestens 65.500 pro Jahr geschätzt.
In der Berner Konvention von 1979 gilt der Wolf bislang als „streng geschützt“. Das bedeutet, dass die Staaten Maßnahmen zur Erhaltung des Wolfs ergreifen müssen und die Tiere nicht absichtlich getötet werden dürfen. Ziel des Antrags war es, den Wolf „umzulisten“ - von „streng geschützt“ in „geschützt“.
Bundesregierung hat Meinung geändert
Dies beinhaltete zwar immer noch strenge Regeln, eine Jagd auf problematische Wölfe wäre dann aber unter bestimmten Umständen einfacher möglich. Mit der Zustimmung zu dem Vorhaben änderte die Bundesregierung ihren Kurs in der Wolfspolitik.
Begründet wurde dies damit, dass sich die Wolfsbestände in den vergangenen Jahren immer mehr erholt hätten. Außerdem häuften sich zuletzt Risse von Nutztieren wie Schafen und Rindern. Abwehrmechanismen wie etwa hohe Zäune werden von Wölfen immer wieder überwunden.
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Reaktionen auf EU-Vorhaben
„Für unsere Region ist das eine überfällige Entscheidung, die den Weg für ein regionaldifferenziertes Bestandsmanagement öffnet“, sagt Corinna Lange, Landtagsabgeordnete aus Deinste, am Dienstag. „Die Weidetierhaltung und insbesondere die Schafhaltung sind hier nicht nur wirtschaftlich bedeutend, sondern entscheidend für die Stabilität der Deiche und den Schutz vor Sturmfluten.“
In Niedersachsen wurde der Wolf bereits ins Jagdrecht aufgenommen. Dennoch standen nach Ansicht von Lange Schäfer bisher oft vor rechtlichen Unsicherheiten, wenn es um den Schutz ihrer Herden ging. Mit der Herabsetzung des Schutzstatus wird es nun möglich, rechtlich verbindliche Lösungen zu schaffen, die den Erhalt der Weidetierhaltung mit dem Artenschutz in Einklang bringen. Jetzt müssten die Bundesregierung und die EU-Kommission „schnell handeln, um die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen“, so Lange.
Nah dran am Geschehen auf der politischen Ebene in Brüssel sind die Europa-Abgeordneten David McAllister (CDU) und Tiemo Wölken (SPD). „Als EU-Parlament werden wir diese Reform konstruktiv begleiten. Ich werde mich dafür einsetzen, dass in Regionen mit gesunder Population ein Bestandsmanagement rechtssicher möglich wird, um die Sicherheit von Menschen, den Herden- und den Deichschutz zu gewährleisten“, sagt Wölken dem TAGEBLATT bereits im September. „Der Wolf ist schon vor langer Zeit von einer bedrohten zu einer bedrohenden Art geworden“, kommentierte Parlamentskollege David McAllister.
Abschussgenehmigung im Kreis Stade nach Klage unzulässig
Zuletzt hatte der Landkreis Stade versucht, eine Jorker Wölfin zu schießen. Dies hatte nach Klage von Wolfsschützern das Verwaltungsgericht in Stade abgelehnt. Eine Beschwerde des Landkreises wies das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg ab.
Nutztiere gerissen
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Die Genehmigung zur Tötung des Wolfs im Alten Land war nach zwei Wolfsattacken auf dem Deich auf Hahnöfersand im März und April vom Landkreis erteilt worden. Viele Deichschafe wurden dabei getötet. Mit Hilfe von DNA-Analysen war festgestellt worden, dass für beide Angriffe dasselbe Raubtier verantwortlich gewesen war.
Wendelin Schmücker vom Förderverein der Deutschen Schafhaltung sprach von einem dringend notwendigen Schritt. Die Schäden durch Wolfsübergriffe seien im vergangenen Jahr um fast 30 Prozent gestiegen, erklärte er: „Unsere Schäfer stehen am Rande ihrer Belastbarkeit.“ Nun müsse schnell die entsprechende Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) auf europäischer Ebene geändert werden, die von Deutschland vollständig in nationales Recht integriert werden müsse.
Naturschützer sprechen von „Scheinlösung“
Der Naturschutzbund Niedersachsen (Nabu) kritisierte die Entscheidung als nicht wissenschaftlich basiert und rein politisch motiviert. Vor zwei Jahren sei der Antrag der Schweiz auf Abstufung des Wolfes abgelehnt worden. Die wissenschaftliche Einschätzung zum Wolfsbestand habe sich seitdem aber nicht geändert.
Nabu-Experte Frederik Eggers bezeichnete die Entscheidung als „Scheinlösung“, die die Probleme der Weidetierhaltung nicht lösen werde. Notwendig seien vielmehr flächendeckende, standortangepasste Herdenschutzmaßnahmen sowie wirtschaftliche Perspektiven für die Weidetierhaltung. „Darüber hinaus braucht es vor allem funktionierende Regelungen, wann und in welchem Rahmen ein Wolf mit auffälligem Verhalten getötet werden kann.“
Wolf war ausgerottet
Nach Angaben der Artenschutzorganisation WWF wurde der Wolf in Westeuropa und damit auch in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet. Er überlebte demnach nur im Osten und Süden Europas. Seit einigen Jahren erholen sich die Bestände allerdings.
Nach Angaben der EU stieg die Zahl der Wölfe in Europa von 11.193 im Jahr 2012 auf 20.300 im Jahr 2023. In Niedersachsen gibt es derzeit 54 Rudel, drei Wolfspaare und vier Einzelwölfe. Im Landkreis Stade gibt es wohl drei Wolfsrudel. Für Oldendorf und Drochtersen gibt es dazu Bestätigungen. Für Harsefeld fehlt diese noch, sie gilt aber als wahrscheinlich. (dpa)