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Landwirtschaft

Wütende Bauern hindern Habeck am Verlassen einer Fähre

In ganz Deutschland protestieren Landwirte - teils mit umstrittenen Methoden.

In ganz Deutschland protestieren Landwirte - teils mit umstrittenen Methoden. Foto: Stefan Puchner/dpa

Bauern protestieren gegen den geplanten Abbau von Subventionen. Zwar kam die Ampel ihnen doch etwas entgegen. Doch Minister Habeck bekommt den Unmut dann ganz persönlich zu spüren. Am 8. Januar sollen weitere Proteste folgen - auch im Kreis Stade.

Von dpa Freitag, 05.01.2024, 08:55 Uhr

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Ockholm/Berlin. Wütende Bauern haben Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) an der Nordseeküste am Verlassen einer Fähre gehindert. Sie hätten am Donnerstag den Anleger in Schlüttsiel blockiert, sagte ein Polizeisprecher. Habeck habe deshalb wieder auf die Hallig Hooge zurückkehren müssen. Erst in der Nacht erreichte der Wirtschaftsminister das Festland mit einer weiteren Fähre, wie die Flensburger Polizei und ein Ministeriumssprecher am Freitagmorgen bestätigen.

Nach Angaben der Polizei handelte es sich um mehr als hundert Demonstranten. Rund 30 Beamte seien im Einsatz gewesen. Sie hätten auch Pfefferspray eingesetzt, sagte ein Polizeisprecher. Von Verletzten ist nichts bekannt. Bundesregierung und Politiker von Grünen, FDP und CDU kritisierten die Protestaktion. Die Bauern sind empört wegen des von der Ampel-Koalition geplanten Abbaus von Subventionen.

Bauern haben Vizekanzler Robert Habeck in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert.

Bauern haben Vizekanzler Robert Habeck in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert. Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Bundesregierung bezeichnete die Blockade der Ankunft von Habeck auf dem Anleger als beschämend. „Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein“, schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Plattform X, vormals Twitter. Die Blockade von Habecks Ankunft im Fährhafen Schüttsiel „ist beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders“, hieß es.

Reaktionen aus der Politik

Die Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, zeigte sich entsetzt: „Es ist erschreckend, was dort passiert ist und empört mich zutiefst. Es ist eine völlige Grenzüberschreitung und ein Angriff auf die Privatsphäre von Robert Habeck“, teilte sie mit. Dies habe nichts mit friedlichem Protest in einer lebendigen Demokratie zu tun. „Ein solches Handeln ist durch nichts zu rechtfertigen. Vom Bauernverband erwarte ich, dass er diese Angriffe in aller Schärfe verurteilt und sich von solchen Aktionen distanziert.“

Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf der Plattform X (ehemals Twitter): „Dass man auch mal wütend ist: geschenkt. Aber klar ist: Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren.“

Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf X: „Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten.“ Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) erklärte auf X, weite Teile der Gesellschaft teilten aus guten Gründen den Konsens, dass man zivilisiert miteinander umgehen und streiten. „Ich messe da immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen: Gewalt und Nötigung sind verachtenswert & schaden auch dem Anliegen.“

Umweltministerin Steffi Lemke schrieb auf X: „Das ist das Gegenteil von dem, was ich heute in der durch Hochwasser gebeutelten Region Mansfeld-Südharz erlebte - Solidarität, Zusammenhalt, Respekt, Zusammenarbeit unterschiedlichster Gruppen für den Schutz der Bevölkerung. Ich erwarte eine Klare Distanz durch @Bauern_Verband.“

Der frühere CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte auf X, es werde hier eine Grenze überschritten. „Wer die Ampel inhaltlich laut kritisiert, darf jetzt nicht schweigen. Das geht so nicht!“

Aktionswoche ab Montag

Am Donnerstag reagierte die Bundesregierung auf die massiven Bauernproteste wegen des geplanten Abbaus von Subventionen: Die Koalition will auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichten. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll gestreckt und in mehreren Schritten vollzogen werden. Der Deutsche Bauernverband hält die Maßnahmen aber für unzureichend - und hält an einer ab Montag geplanten Aktionswoche fest.

Eine Sprecherin Habecks sagte der Deutschen Presse-Agentur am Abend zu dem Vorfall am Fähranleger, der Minister sei gerne bereit gewesen, mit den Landwirten zu sprechen. „Leider ließ die Sicherheitslage ein Gespräch mit allen Landwirten nicht zu, das von Minister Habeck gemachte Gesprächsangebot mit einzelnen Landwirten wurde leider nicht angenommen.“ Laut Polizei beruhigte sich die Lage schnell, nachdem die Fähre abgelegt hatte. Anzeigen lagen am Abend nicht vor. „Landfriedensbruch steht schon im Raum“, sagte ein Polizeisprecher auf die Frage, ob trotzdem ermittelt werde.

Proteste auch im Landkreis Stade geplant

Auch im Kreis Stade haben Landwirte ihrem Unmut Luft gemacht - zuletzt mit einer stark umstrittenen Aktion. An mehreren Stellen im Landkreis wurden Galgen mit einem Ampelsymbol aufgestellt. Am Fuß des Galgens steht: „Die Ampel muss weg“. Der Protest der Landwirte soll zeigen, dass „die Schmerzgrenze überschritten“ ist.

Der Stader Kreislandwirt Johann Knabbe bezeichnete die Aktion als „Ausdruck des demokratischen Protestes“. Der Sparkurs der Ampel-Regierung treffe die Landwirte massiv. Die Bundesregierung will den Landwirten Steuervergünstigungen beim Agrardiesel und der Kraftfahrzeugsteuer streichen, und das bedrohe die Existenz vieler Kollegen, so Knabbe.

Mit zwei Treckerkollonen über die Bremer Straße (B75) und die Cuxhavener Straße (B73) hatten rund 50 Bauern mit ihren Treckern im Dezember den Verkehr im Süden Hamburgs lahmgelegt.

Mit zwei Treckerkollonen über die Bremer Straße (B75) und die Cuxhavener Straße (B73) hatten rund 50 Bauern mit ihren Treckern im Dezember den Verkehr im Süden Hamburgs lahmgelegt. Foto: Lenthe-Medien

Etwa eine Woche zuvor hatten Treckerkolonnen für Verkehrschaos in Stade gesorgt: Mitten im Berufsverkehr tuckerten sie mit ihren Fahrzeugen durch die viel befahrenen Straßen.

Die Landwirte aus dem Landkreis Stade haben zudem einen „heißen Winter“, unter anderem mit weiteren Protestaktionen am 8. Januar, angekündigt.

Wie groß wird der Bauernprotest? Noch viele Fragen offen

Verbandspräsident Joachim Rukwied fordert die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP zur Rücknahme von Einsparplänen beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer auf. Am Donnerstag verkündete Nachbesserungen seitens des Bundes hält er für unzureichend. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) will sich kommende Woche den Protesten anschließen.

In den sozialen Netzwerken hat die geplante Aktionswoche bereits für viel Aufregung gesorgt. „Der Deutsche Bauernverband distanziert sich aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppe, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen“, schrieb der Bauernverband bei Instagram. Ein Generalstreik, von dem in den Netzwerken die Rede ist, ist in Deutschland rechtlich so gut wie unmöglich. Sowohl im Bauernverband als auch im BGL sind Arbeitgeber organisiert - sie können zu einem Protest aufrufen, ein rechtlich geschützter Streik ist das dann aber nicht.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur anstehenden Aktionswoche:

Was genau plant der Bauernverband?

Als Reaktion auf die Sparpläne der Bundesregierung hat der Verband zu einer Aktionswoche ab dem 8. Januar aufgerufen. Sie soll am 15. Januar in einer Großdemonstration in Berlin gipfeln. Was genau an den einzelnen Tage passieren wird, ist bisher im Detail offen. Für Montag sind etwa Kundgebungen und Sternfahrten angekündigt.

Die Bundesregierung wollte den Landwirten Steuervergünstigungen beim Agrardiesel und der Kraftfahrzeugsteuer streichen, um Löcher im Haushalt zu stopfen. Am Donnerstag kündigte sie an, die geplanten Kürzungen der Subventionen teilweise wieder zurückzunehmen. Die Kfz-Steuerbefreiung soll demnach bleiben. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel werde nicht in einem Schritt vollzogen, hieß es.

Besänftigen ließen sich die Landwirte davon nicht. „Dies kann nur ein erster Schritt sein“, betonte Rukwied. „Unsere Position bleibt unverändert: Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch.“ An der Aktionswoche halte der Verband fest.

Bereits vor Weihnachten demonstrierten Landwirte gegen die Pläne, teilweise kam es dabei zu Behinderungen des Verkehrs. „Die Steuererhöhungspläne der Bundesregierung müssen zurückgenommen werden“, forderte Verbandspräsident Joachim Rukwied zuletzt. Bei einem großen Protest am 18. Dezember in Berlin kamen nach Verbandsangaben mehr als 3000 Trecker in die Hauptstadt, die Polizei sprach von 1700 Traktoren.

Was planen die Spediteure?

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung fordert Entlastungen bei der Maut und beim Diesel-Kraftstoff und mehr Geld für Straßen, Brücken und Parkplätze. Der Verband will sich daher den Aktionen der Bauern anschließen. „Wir beginnen die Aktionswoche am 8. Januar mit Demonstrationen in den Landeshauptstädten“, hieß es. Auch hier fehlen bisher Details.

Welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Das ist angesichts der noch lückenhaften Informationslage schwierig abzuschätzen - ein großes Chaos auf den Straßen ist aber bisher nicht absehbar. Voraussichtlich wird es vereinzelt und regional zu Beeinträchtigungen kommen, vor allem Demonstrationen mit Traktoren erzeugen in der Regel allein wegen der Größe der Gefährte viel Aufmerksamkeit und tendenziell auch Staus. Es ist auch möglich, dass die Landwirte mit den Traktoren vereinzelt Straßen blockieren werden. Große Auswirkungen für den Alltag der meisten Menschen in Deutschland sind aber nicht zu erwarten.

Welche Rolle spielt dabei die Lokführergewerkschaft GDL?

Die GDL steckt aktuell in schwierigen Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn und wird absehbar in den nächsten Tagen zu einem längeren Streik auf der Schiene aufrufen. Mit den Plänen von Bauern und Spediteuren hat das aber nichts zu tun, es gibt lediglich eine zufällige zeitliche Überschneidung. Auch die Ziele der Organisationen sind völlig unterschiedlich: Der GDL geht es um mehr Geld für gut 10.000 DB-Beschäftigte, nicht um Kritik an der Ampel-Regierung.

Ob Aktionen der Bauern zeitgleich zu einem GDL-Streik für Chaos im Verkehr sorgen, ist ebenfalls völlig offen und hängt von den genauen Plänen der beiden Organisationen ab - die im Detail aber noch nicht bekannt sind.

Generalstreik - ist das in Deutschland überhaupt möglich?

Nein, Generalstreiks sind in der Bundesrepublik so gut wie ausgeschlossen und der Begriff für die anstehenden Ereignisse fehl am Platz. Das Streikrecht ist in der Bundesrepublik ein hohes Gut. Entscheidend ist dabei aber, dass sich der Streik auf den Abschluss eines Tarifvertrags bezieht, nicht auf politische Ziele oder Ideen. „Die Rechtsprechung in Deutschland sagt klar, dass für politische Ziele Streiks nicht möglich sind. Auch Generalstreiks für politische Ziele sind ausgeschlossen“, sagte Ernesto Klengel vom Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Deutschen Presse-Agentur.

Bei Streiks für Tarifverträge sind die Teilnehmer rechtlich geschützt, ein solcher Arbeitskampf darf beispielsweise nicht als Kündigungsgrund angeführt werden. Bei Protesten oder Demonstrationen während der Arbeitszeit gilt dieser Schutz nicht. Wer also kommende Woche die Arbeit niederlegt, um sich mit den Bauern gegen die Politik der Bundesregierung zu solidarisieren, riskiert Konsequenzen.

„Man kann, auch als Unternehmerverband, natürlich zu Demonstrationen aufrufen. Rechtlich ist das aber eine ganz andere Ebene als ein Streik“, erklärte Klengel. „Ein unrechtmäßiger Streik oder Generalstreik könnte für die Verbände Schadenersatzforderungen zur Folge haben. Deswegen distanzieren sie sich wahrscheinlich gerade von dem Begriff.“ (dpa/set)

In ganz Deutschland protestieren Landwirte - teils mit umstrittenen Methoden.

In ganz Deutschland protestieren Landwirte - teils mit umstrittenen Methoden. Foto: Stefan Puchner/dpa

J
Jochen Mextorf
07.01.202409:04 Uhr

Das ist ja das Bezaubernde an/in dieser Bananen-Republik: vom Buchautor bis zum Steinewerfer kann jeder in die höchsten politischen Funktionen aufsteigen. Spezielle Fachkenntnisse stören nur, sie verhindern den Hirn-Einkauf von außen: Wo lassen sie denken?

D
Dirk Burmester
05.01.202418:04 Uhr

Die Aktion von gestern am Fähranleger war aber auch nicht in Ordnung!

H
Helmut Wiegers antwortete am
06.01.202414:08 Uhr

Es wurden aber keine Steine geworfen und Polizeibeamte verprügelt. Die Landwirte haben sich also gesitteter benommen als ein späterer Vizekanzler.

D
Dirk Burmester
05.01.202417:20 Uhr

Die Ampel, insbesondere die linken „Grünen“ ist das schlechteste, was für unsere Regierung möglich ist. Die machen die Wirtschaft und die Bürger kaputt!

C
Carl-Heinz Thor Straten Wolf
05.01.202409:57 Uhr

Es ist auch beschämend was die Ampel durch Gesetze versucht durchzusetzen, die haben nämlich nichts mit den Regeln des demokratischen Miteinander zu tun. Egal ob Habecks Heizungsgesetz oder jetzt der geplante Abbau der Subventionen.

A
Alexander Schöcke antwortete am
05.01.202419:36 Uhr

Subventionen abbauen hat nichts mit demokratischem Miteinander zu tun?

J
Jochen Mextorf antwortete am
05.01.202415:14 Uhr

Beschlüsse wurden gefasst vom zweitgrößten Parlament der Welt.

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